Soziales "Das sind traurige Wünsche": Geschenkaktion für benachteiligte Kinder in Eisenach

23. Dezember 2022, 10:53 Uhr

Üppige Geschenkeberge liegen nicht in jeder Familie unterm Weihnachtsbaum. Damit möglichst alle Kinder in der Stadt beschert werden, hat die Eisenacher Kinderbeauftragte im Jahr 2001 die "Wunschzettel-Weihnachtsstrauß-Aktion" angestoßen. Die Idee: Privatleute erfüllen Kindern aus benachteiligten Familien zum Fest ihren besonderen Wunsch. Was mit 30 Päckchen anfing, hat sich zu einer Großaktion mit fast 600 Geschenken entwickelt. Zum Glück ist mit dem Bedarf auch das Engagement gewachsen.

Was für ein Anblick: ein Kofferraum voller bunter Päckchen – eine richtige Weihnachtsmann-Fuhre, die da im Eisenacher Schlosshof angekommen ist und ausgeladen wird. Besorgt und verpackt haben die 105 Geschenke Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens Bosch. Sie werden in einen Raum in der Stadtverwaltung gebracht, wo noch mehr Päckchen liegen. An allen hängen Wunschzettel.

Ritterschwert und Bär zum Liebhaben

"Lieber Weihnachtsmann, ich wünsche mir einen Bagger und einen Radlader" hat ein Neunjähriger in Schönschrift auf den zuvor gezogenen Linien notiert. Ein anderer wünscht sich "coole Boxhandschuhe" und hat sicherheitshalber dazu gesetzt: "Aber wenn das zu teuer ist, dann würde ich mich über einen Fußball freuen“.

Die krakelige Schrift macht der 12-Jährige mit Verzierungen wett, hat einen Filzstern und Glitzersteine auf seine Karte geklebt. Ein Mädchen wünscht sich eine Barbie, eine andere "einen Bären zum Liebhaben" und setzt dazu: "Frohe Weihnachten lieber Weihnachtsmann". Lego, Barbie, Puppen sind gefragt, auch ein Ritterschwert.

Bedarf gestiegen

Diese Wunschzettel haben Kinder aus sozial oder finanziell benachteiligten Familien geschrieben. Sie wurden von Fachleuten gesammelt, die sie kennen, in Kindergärten und in der Schulsozialarbeit tätig sind, in Frühförderstellen, Tageseinrichtungen und Kinderheimen arbeiten.

Die Eisenacher Kinderbeauftragte Annette Backhaus fragt bei ihnen ab, welche Kinder im Alter bis zu 13 Jahren in die Aktion aufgenommen werden sollten. Und der Bedarf steigt. Backhaus schätzt, dass für drei Viertel dieser Kinder das Päckchen aus der Wunschzettel-Aktion das einzige größere Geschenk zu Weihnachten sein wird.

Netzwerke unterstützen

Die Idee für die Wunschzettel-Aktion hat die Kinderbeauftragte aus Frankfurt am Main übernommen. Beim ersten Versuch war sie nicht sicher, ob es gelingen würde, die zunächst 30 Kinderwünsche zu erfüllen. Doch mittlerweile ist die Aktion eingeführt. Längst werden nicht mehr alle Zettel in Weihnachtssträußen in Geschäften ausgehängt, wie es ursprünglich der Fall war – das wäre kaum machbar, sagt Backhaus. Deshalb ist sie dankbar, dass sich starke Netzwerke entwickelt haben, die ihr ein Stück der Arbeit abnehmen.

Darunter sind auch die Beschäftigten von Unternehmen. In der Vorwoche kamen bereits mehr als 50 Päckchen aus dem Opelwerk. Bei der Wartburg-Sparkasse unterstützen viele das Projekt, aber auch andere Gewerbetreibende. Die größte Zahl kommt von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Bosch in Eisenach.

"Herzzerreißende" Wünsche

Dort hat Jessica Kleine im Jahr 2009 erstmals 20 Wunschzettel unter den Kollegen verteilt. Sie will ein Zeichen für die Kinder setzen, "dass die wissen, okay, manchmal passieren gute Dinge, auch wenn das Leben generell nicht gut für sie läuft". Sie organisiert die Aktion gemeinsam mit Claudia Dießler.

"Herzzerreißend" seien manche Wünsche, sagt die. Auf manchen Zetteln stünden Dinge, "die zum normalen Hausstand eines Kindes gehören wie zum Beispiel ein Winterkleid, eine Strumpfhose oder dicke Socken. Aber auch eine Kuscheldecke oder ein Kuscheltier, wo man sagt: Es kann doch nicht sein, dass ein Kind das nicht hat, aber das ist tatsächlich so."

Gemeinsam im Team

Von "traurigen Wünschen" spricht Jessica Kleine – wenn beispielsweise nur ein Ball auf dem Wunschzettel steht. "Aber da geht natürlich die Maschinerie los, dann wird die Werbetrommel gerührt und dann gibt’s noch was obendrauf", sagt sie und lacht. Eigentlich sollen sich die Wünsche in einem finanziellen Rahmen von 25 bis 30 Euro bewegen. Aber gelegentlich rutscht auch mal ein großer Wunsch durch.

Was damit passiert? "Den erfüllen dann die Mitarbeiter in einem Team", sagt Claudia Dießler. So haben sie schon mal ein Puppenhaus, eine Puppenküche oder – in diesem Jahr - eine Kinderdrohne gestemmt. Jessica Kleine hat dafür großes Verständnis. Das seien ganz normale Wünsche für Kinder dieses Alters. "Die sehen an Mitschülern, was in den Kinderzimmern los ist. Und da hängt ja nicht überall ein Preisschild dran."

Ein Gutschein für die Mutter

Bei solchen Wünschen fragen sie aber immer bei der Kinderbeauftragten nach, wohin das Geschenk geht. Auch sonst haben sie oft Fragen: Welche Schuhgröße hat ein Kind? Was ist mit dem "blauen Parfüm" gemeint, das sich ein Junge wünscht? Und womit könnte man einem Mädchen eine Freude machen, das sich lediglich einen Gutschein für die Mutter wünscht, damit die sich Tee kaufen kann?

Schon im November fragen die ersten Kolleginnen und Kollegen an, ob schon Wunschzettel da sind. Sie hätten auch in diesem Jahr noch mehr verteilen können, erzählen sie.

Schnell auspacken und schlimm freuen

Bis zur Pandemie bekamen viele Kinder ihre Geschenke bei großen Weihnachtsfeiern, es gab Programm und zu essen und trinken. Jessica Kleine und Claudia Dießler waren oft dabei. Da habe man Kinderaugen leuchten sehen, sagt Dießler. "Wenn der Weihnachtsmann den Namen aufruft und die kommen dann vor, kriegen ihr Geschenk und freuen sich ganz schlimm." Manchen packten schon vor dem Weihnachtsmann aus – "das ist ganz toll“.

In diesem Jahr bekommen die Kinder ihre Päckchen in den Einrichtungen oder bei Bescherungen mit den Familienhelfern. Von denen bekommen die Weihnachtsfrauen von Bosch gelegentlich auch in Absprache mit den Familien Fotos, die sie intern im Kollegenkreis zeigen dürfen. Auch aus einem Heim für junge Menschen mit Behinderungen kam schon ein Dankesbrief, über den sie sich sehr gefreut haben.

Kein Wunsch geht verloren

Mitte Dezember bekommt Annette Backhaus oft Besuch in ihrem Büro am Marktplatz, wo Menschen ihr liebevoll eingewickelte Päckchen in die Hand drücken. Die versieht sie mit einem dicken Filzstift mit einer Nummer. Denn das Ganze ist auch organisatorisch aufwändig. Kein Wunsch darf untergehen oder falsch zugestellt werden.

Und was passiert mit Wunschzetteln, die verloren gehen oder die keinen Spender finden? Die Kinderbeauftragte führt eine genaue Liste – und kann dank einiger Geldspenden für die Wunschzettel-Aktion ganz zuletzt auch diese erfüllen. Damit kein Kind leer ausgeht und alle spüren: Manchmal passieren gute Dinge.

MDR (co)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Mittag | 23. Dezember 2022 | 12:00 Uhr

1 Kommentar

Hobby-Viruloge007 am 23.12.2022

Wir hatten vor Jahren mal etwas im ähnlichen Rahmen gemacht (soweit ich lese, werden die Geschenke ohne Feier ausgegeben). Sind aber davon wieder abgekommen.
Ich zitiere eine AWO Mitarbeiterin aus einer Jugendauffangeinrichtung (nicht im Zusammenhang mit Weihnachten): Es fehlt den Kindern an Liebe und Zuwendung. Wir könnten den Kindern materiell mehr bieten. Ein höheres materielles Level macht es den Kindern aber nur schwer, in ihrem materiell häufig einfachem Leben zurecht zu kommen.

Wenn es etwas umsonst gibt, dann wird es immer Abnehmer geben.

Die Essenz von Weihnachten ist ja auch nicht der Konsum.

Wir stecken deshalb unsere Energie in Events (und Hilfe zur Selbsthilfe). Wobei es bei uns nie etwas umsonst gibt ...

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