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WindkraftWindräder im Wald: Entscheidung aus Karlsruhe verringert Druck für Windausbau in Thüringen

10. November 2022, 18:05 Uhr

Ein Verbot von Windrädern im Wald ohne Ausnahmen verstößt gegen das Grundgesetz. Mit dieser Begründung hat das Bundesverfassungsgericht die Regelung des Thüringer Waldgesetzes gekippt. Die Entscheidung nützt den Waldbesitzern, die das Gericht angerufen hatten. Sie erleichtert aber auch den Ausbau der Windenergie im Freistaat. Der war zuletzt schwer ins Stocken geraten.

von Loréne Gensel, MDR THÜRINGEN

Wer in Thüringen Wald besitzt und dieses Waldgrundstück anders nutzen will - etwa als Ackerfläche oder als Bauland - braucht eine Genehmigung der Landesbehörde Thüringenforst. Seit Dezember 2020 enthält das Thüringer Waldgesetz in Paragraf 10, Absatz 1 die zusätzliche Regelung: "Eine Änderung der Nutzungsart zur Errichtung von Windenergieanlagen ist nicht zulässig." Dieser Satz steht auf Wunsch der Thüringer CDU und der FDP im Thüringer Waldgesetz. Er verbietet den Bau von Windrädern auf Waldflächen ohne jede Ausnahme.

Und er ist ab sofort nicht mehr gültig. Waldbesitzer aus Ostthüringen hatten dagegen Verfassungsbeschwerde eingelegt. Am Donnerstag gab das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung bekannt: Dieser Satz ist unvereinbar mit dem Grundgesetz und damit nichtig, sagen die Richter. Praktisch heißt das: Der Satz gilt seit der Veröffentlichung des Urteils nicht mehr. Der unmittelbare Erfolg für die Beschwerdeführer liegt auf der Hand: Das Verbot von Windrädern im Wald hat es unmöglich gemacht, dass sie ihre Flächen genau dafür nutzen und so Geld verdienen. Die betroffenen Flächen sind nach Angaben des Verfassungsgerichtes durch den Borkenkäfer zum Teil so geschädigt, dass sie gerodet werden mussten. Wenn das Umweltamt des Landkreises die Anlagen genehmigt, können die Windräder gebaut werden.

Landtags-Gutachten hatte Bedenken verworfen

Unvereinbar mit dem Grundgesetz ist das ausnahmslose Verbot, entschieden die Richter. Es greife in das in Artikel 14 geschützte Recht auf Eigentum ein, hieß es zur Begründung. Der Freistaat Thüringen habe nicht die Gesetzgebungskompetenz, an dieser Stelle in das Bodenrecht einzugreifen. Ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Thüringer Landtages war im Mai 2020 zu einem anderen Ergebnis gekommen. "Die im Gesetzentwurf enthaltene Regelung begegnet hier unter den zu prüfenden Aspekten keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken", heißt es in der Stellungnahme. Sie bezog sich damals auf den von CDU und FDP gemeinsam vorgelegten Textentwurf.

Ohne Verbot wird der Windausbau leichter

Die Entscheidung der Richter betrifft aber nicht nur Waldbesitzer. Es erleichtert den künftigen Ausbau der Windenergie in Thüringen grundsätzlich ganz erheblich. Bisher stehen auf 0,4 Prozent der Fläche von Thüringen Windräder. Am 1. Februar 2023 tritt das Wind-an-Land-Gesetz der Berliner Ampelkoalition in Kraft. Das macht auch Thüringen eine Ausbau-Vorgabe: 1,8 Prozent bis 2028 und weitere 0,4 Prozent bis 2032.

Windkraft-Ausbau-Vorgabe des Bundes mit dem Verbot nicht zu schaffen

Von der Umweltministerin über die Servicestelle Wind der Thüringer Energie- und Greentec-Agentur und die regionalen Planungsgemeinschaften bis hin zum Landesverband der Windenergiebranche haben alle Experten gesagt: Das ist nicht zu schaffen mit einem Verbot von Windrädern im Wald. Es nicht zu schaffen, würde aber harte Konsequenzen haben: Der Bund hat festgelegt, dass dann alle Länderregelungen pro und contra Ausbau der Windenergie außer Kraft gesetzt werden. Nach welchen Vorgaben dann gebaut wird, entscheidet Berlin.

Der Thüringer Wald sieht an vielen Stellen so aus wie dieses Waldstück bei Mechterstädt. Extreme Wetterbedingungen und Schädlinge haben den Wald flächenweise zerstört. (Archivbild) Bildrechte: MDR/Carmen Fiedler

Nachdem die Regelung jetzt gefallen ist, liegt es wieder in der Hand der regionalen Planungsgemeinschaften, auch im Wald Vorranggebiete auszuweisen. Auf Flächen, die durch extreme Wetterbedingungen und Schädlinge bereits quasi tot sind, sei das sinnvoll, sagen viele Waldbesitzer. Auf Windräder als Einnahmequelle hoffen nicht nur private Eigentümer. Auch Thüringenforst hat schon vor Jahren begonnen zu prüfen, auf welchen Schadflächen Windräder wirtschaftlich betrieben werden könnten. Doch Flächen, die schon als Vorranggebiete ausgewiesen waren, kamen nach dem Verbot im Waldgesetz nicht mehr in Frage. Vor allem in Ostthüringen. Jetzt stehen sie wieder zur Verfügung und die Landkreise können entscheiden, ob sie die beantragten Windräder genehmigen.

Neue Vorranggebiete in Wäldern werden möglich

Der richterliche Beschluss macht es auch leichter, in künftigen Regionalplänen neue Vorranggebiete auszuweisen. Weil Thüringen bundesweit eines der Schlusslichter ist beim Ausbau der Windenergie, sind jetzt auch die regionalen Planungsgemeinschaften unter Druck. Wenn sie nicht unter die Regie des Bundes fallen wollen, müssen sie schnell neue Flächen finden. Das Land arbeitet bereits an einem neuen Rechtsrahmen.

Im Frühjahr 2024 soll ein neues Landesentwicklungsprogramm verabschiedet werden. Das Land und die Planungsgemeinschaften können jetzt wieder mit den Waldflächen planen. Das sichert ein Stück mehr Gerechtigkeit bei der Verteilung der Windräder. Nord- und Mittelthüringen haben schon jetzt mehr Windparks als Süd- und Ostthüringen - dank guter Windverhältnisse im Offenland. Das generelle Verbot von Windanlagen im Wald drohte, dieses Missverhältnis weiter zu verschieben - zu Ungunsten des Nordens und der Mitte.

Bundestag weicht den Landschaftsschutz auf

Am Ende könnte die Entscheidung aus Karlsruhe indirekt auch dem Naturschutz in Thüringen zugutekommen. Der Bundestag hat im vergangenen Sommer das Bundesnaturschutzgesetz geändert. Es enthält jetzt den Passus, dass Errichtung und Betrieb von Windenergieanlagen "im überragenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen". Künftig darf auch in Landschaftsschutzgebieten nach Flächen für Windräder gesucht werden. Für Thüringen heißt das: Die Naturparks geraten als mögliche Standorte in den Blick. Der Druck auf besonders wertvolle Landschaften wächst damit.

Naturschutz könnte von Entscheidung profitieren

Wenn Windräder im Wald nicht mehr grundsätzlich verboten sind, eröffnet das Spielräume für neue Abwägungen. Ob Windräder auf quasi toten Waldflächen besser oder schlimmer sind als in Landschaftsschutzgebieten - diese Frage bietet Stoff für Diskussionen in den Kommunen, in den Planungsregionen und für die gesamte Landespolitik.

Zumal das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluss gerade nicht die Tür geöffnet hat für eine "Verspargelung" der Höhenlagen des Thüringer Waldes. Es setzt mit seinem Beschluss den rechtlichen Rahmen einfach zurück auf die Zeit vor Dezember 2020. Und berührt damit nicht das Recht und die Pflicht der Thüringer Behörden, mit ihren Entscheidungen über Vorranggebiete und Standorte Natur und Landschaft vor Schaden zu schützen. Bisher haben sie lediglich zwei Windräder im Wald genehmigt, die in der Nähe von Gefell in Ostthüringen stehen.

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Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels haben wir geschrieben, dass im Frühjahr 2024 ein neues Landesentwicklungsprogramm vom Landtag verabschiedet werden soll. Das ist so nicht ganz korrekt. Der Landtag muss zum Landesentwicklungsprogramm Stellung nehmen, einer förmlichen Zustimmung des Landtages bedarf es nicht. Wir haben den Abschnitt entsprechend geändert.

MDR (caf)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 10. November 2022 | 10:00 Uhr

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