Beton statt GrünflächenSerbien: Warum Belgrad immer mehr zur Hitzefalle wird
Tagsüber Temperaturen von über 40 Grad, nachts kaum Linderung. Die Bewohner der serbischen Haupstadt litten diesen Sommer enorm unter der Hitze. Doch die Stadtverwaltung unternimmt nichts, um das Problem in den Griff zu bekommen und die Menschen vor der Hitze zu schützen - im Gegenteil: Gigantische Bauprojekte werden das Problem in Zukunft noch verschlimmern.
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Szenen aus dem Belgrader Sommer: Die Klimaanlage in meinem Wohnzimmer kämpft tapfer Tag und Nacht. In diesem einen Raum ist es aushaltbar kühl. Doch im Rest der Wohnung ist es wie im Ofen. Die Wände strahlen Wärme ab. Die Matratze in meinem Bett ist wie ein aufgedrehter Heizkörper - sobald man sich darauf legt, ist man schon verschwitzt.
Belgrad war in diesem Sommer völlig überhitzt. Fast jeden Tag wurde Alarm geschlagen. Im Stadtteil Vračar, wo ich lebe, verzeichnete der serbische Wetterdienst in diesem Sommer bisher mehr als 30 Tage mit über 35 Grad und 60 "tropische Nächte", in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad fiel. Das sind offizielle Angaben, also Temperaturen, die zwei Meter über einer Grünfläche im Schatten gemessen werden. Doch Belgrader leben nicht im Park in Baumhäusern. Wenn die offizielle Lufttemperatur tagsüber 40 Grad ist, steigt sie unmittelbar über asphaltierten oder betonierten Flächen locker auf über 60 Grad. Diese Hitze wird dann die ganze Nacht abgestrahlt.
Wärmeinseln
In der gelebten Praxis hieß das, dass es weder tagsüber noch in der Nacht irgendwann irgendeine Erleichterung gab. Wenn es dunkel wurde und man endlich vorsichtig das Fenster aufmachte, war es die gleiche heiße, stickige Luft, die man einatmete. Keine frische Brise, keine Abkühlung, nichts. Auch in der Nacht fiel die Temperatur oft nicht unter 30 Grad.
Wenn es heiß ist leiden große Flächen Belgrads unter dem Phänomen der "Wärmeinsel", erklärt Physikprofessor Vladimir Djurdjevic. Die bedeutendste Ursache dafür sei intensiver, zu dichter Häuserbau bei dem massiv Materialen wie Beton, Asphalt, Glas oder Blech verwendet werden und der Grünflächen verdränge, die in einer Großstadt so wichtig für Hitzedämpfung sind. Nicht nur, weil Bäume Schatten spenden, sondern weil sie wie alle Pflanzen Wasser speichern, das sie dann wieder in die Umwelt abgeben – und sie damit kühlen.
Erhöhte Stromrechnungen
Im Lande der verarmten Menschen heißt das Leben in einer Wärmeinsel für viele, dass sie zwischen riesigen Stromrechnungen und Hitzequalen wählen müssen, denn Klimaanlagen sind Energiefresser. Offiziellen Angaben zufolge war der Stromverbrauch in Serbien im Juli und August genauso hoch wie in manchen Wintermonaten. Die serbischen, luftverschmutzenden Kohlekraftwerke liefen auf Hochtouren, und trotzdem musste Serbien Strom importieren.
Nun wurden in diesem Sommer in ganz Europa Temperatur-Rekorde gebrochen, die Auswirkungen der Klimakrise, der globalen Erwärmung sind auch anderswo deutlich spürbar. Und manch eine europäische Stadt macht längst Pläne, wie sie gegensteuern und ihre Bewohner vor den steigenden Temperaturen schützen kann. In Belgrad aber haben die Interessen von Investoren, ihr Profit, absoluten Vorrang. Die Belgrader müssen daher in einer Stadt leben, in der Grünflächen systematisch riesigen Betonklötzen mit teuren Quadratmetern geopfert werden.
So sollen im Stadtteil Mirijevo oder in den Neubelgrader Blocks 60 und 61 große Grünflächen in Wohn- und Geschäftskomplexe verwandelt werden. Verschiedene Bürgerorganisationen protestieren dagegen, doch die Machthaber in Belgrad – Oberbürgermeister Aleksandar Šapić gehört der SNS an, der Partei von Präsident Aleksandar Vučić, die auch in ganz Serbien herrscht – scheren sich nicht um Bürgerproteste, egal ob sie gegen Umweltverschmutzung, das Fällen von Bäumen oder Wahlfälschung gerichtet sind.
Giga-Projekt Belgrad Waterfront
Auch das Riesen-Projekt Belgrade Waterfront, das am Ufer der Save entsteht, und das schon jetzt das Antlitz der Stadt verzerrt hat, soll laut dem neuen Raumplan für die serbische Hauptstadt um weitere 3.270.000 Quadratmeter, größtenteils entlang der Save, erweitert werden. Auf dieser Fläche und drei zentralen Belgrader Bezirken, ist in den nächsten zehn Jahren der Bau von weiteren zehn Millionen Quadratmetern an Wohn- und Geschäftsflächen geplant. Wie sich dieses monströse Projekt auf den Rest der Stadt auswirkt, ist kaum vorstellbar, Kritiker sprechen sogar von einem Urbizid, also einem Stadtmord.
Zudem seien zahlreiche neue Hochhäuser geplant, warnt die Neue Planpraxis, eine auf Stadtentwicklung spezialisierte Organisation, die komplizierte Baupläne in eine für alle verständliche Sprache übersetzt. Konkret sei der Bau von rund 20 über 200 Meter hohen Türmen geplant, dazu sollen rund 100 über 100 Meter hohe und 500 über 50 Meter hohe Hochhäuser entstehen – ein massiver Eingriff in das Stadtbild. Der berühmte serbische Architekt Dragoljub Bakic bezeichnete Belgrade Waterfront daher schon vor vielen Jahren als "urbanistischen Terrorismus".
Auch der Vorsitzende der Architekturakademie in Belgrad, Bojan Kovačević, hat für die nochmalige Erweiterung des ohnehin schon gigantischen Projekts deutliche Worte übrig: Sie sei eine "urbanistische Gewalttätigkeit", eine rücksichtslose Untat gegenüber den Einwohnern der Stadt. "Wie wenig Belgrade Waterfront mit Belgrad zu tun hat, können sie am besten erkennen, wenn sie sich von dem linken Ufer der Save die Umrisse der Stadt anschauen. Das ist absolut ein Fremdkörper", so Kovačević. Eine solche Anzahl an Türmen sei eine primitive Sichtweise auf die Entwicklung der Stadt. Anscheinend habe man sich Dubai oder Abu Dhabi als Vorbild genommen und das sei in einer mitteleuropäischen Stadt völlig verkehrt.
Der Winddamm
Schon jetzt versperrt der massive Bau an der Save, die in Belgrad in die Donau mündet, die Strömung der Winde. Das habe massive Auswirkungen auf das Mikroklima der Stadt, erklärt Iva Čukić, die das Kollektiv Raumministerium, eine Stadtplanungs-NGO, gegründet hat. "Belgrad hatte das Glück an zwei Flüssen zu liegen, die im Sommer wie eine Art natürliche Klimaanlage wirkten", so Čukić. "Jetzt sind Temperaturen im oberen Teil der Stadt erhöht, weil praktisch eine Wand am Ufer der Save errichtet ist. Mit der Erweiterung von Belgrade Waterfornt wird man das noch ärger zu spüren bekommen".
Die Auswirkungen des "Investorenurbanismus", der sich um Interessen der Belgrader nicht kümmert und von Stadtbehörden protegiert wird, wird man übrigens auch im Winter zu spüren bekommen. Denn schon jetzt ist Belgrad in Wintermonaten wegen des Kohlekraftwerks eine der Städte mit der schlechtesten Luftqualität der Welt. Linderung brachten nur die Winde, die von der Save wehten und die verpestete Luft aus der Stadt trugen – und die jetzt an den Bauten der Belgrad Waterfront hängenbleiben. In Zeiten der Klimakrise tun Belgrader Urbanisten also ihr Bestes, um das Leben in der Stadt noch unerträglicher zu machen.
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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Heute im Osten | 14. September 2024 | 07:15 Uhr