Homosexualität auf dem Balkan Sarajevo: Erste Parade von Lesben und Schwulen

07. September 2019, 07:00 Uhr

In der Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina findet am Wochenende das erste Mal eine Gay Pride statt, eine Parade für die Rechte von LGBTQ. Auf dem Balkan ist Homophobie noch immer Alltag und im Gegensatz zu Berlin oder New York sind die Paraden auf dem Balkan keine Feste, bei denen Liebe zelebriert wird, sondern eine Demonstration für grundlegende Menschenrechte.

Über 1.000 Polizisten und private Wachdienste sollen für die Sicherheit der Teilnehmer sorgen, die sich am Sonntag im Zentrum Sarajevos versammeln werden. Bevor die Teilnehmer den Platz betreten, müssen sie durch einen Security Check.

Bereits im Vorfeld regte sich Protest gegen die Parade. Zwei Gegendemonstrationen "für familiäre Werte" sind angekündigt. Einzelne politische Parteien fordern, die Pride abzusagen. Und die islamische Gemeinschaft möchte, dass Gläubige sich nicht einmischen sollen, obwohl sie die Pride eine "Beleidigung" nennen.

Angriffe in Zagreb, Split und Belgrad

Für manche Teilnehmer ist die erste Gay Pride in Bosnien und Herzegowina ein Déjà-vu: Als sich die Community der LGBTQ in Zagreb, Split oder Belgrad in die Öffentlichkeit wagte und die erste Parade in diesen Städten ankündigte, waren Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender Angriffen, Drohungen und Beleidigungen ausgesetzt. Extremistische Gruppen drohten, die Pride zu "zerschlagen". Die katholische Kirche in Kroatien und die orthodoxe in Serbien waren empört und bezeichneten Homosexualität als "Krankheit". Konservative Politiker forderten, die Pride "aus Sicherheitsgründen" zu verbieten.

So wurde die Pride 2009 in Belgrad im letzten Augenblick abgesagt. Ein Jahr später fand sie zwar statt, es kam jedoch zu regelrechten Straßenschlachten zwischen rechts-extremen Gruppen und Polizisten, die die Gay Parade beschützten. Autos wurden in Brand gesetzt, Geschäfte geplündert, Dutzende Menschen wurden verletzt. Die wenigen Teilnehmer der Pride kamen jedoch mit einem blauen Auge davon, sie wurden in Polizeiautos aus der "Schlachtzone" evakuiert.

Belgrade Pride Parade, 2018
Die Gay Pride in der serbischen Hauptstadt Belgrad 2018: Polizisten eskortieren, es bleibt aber friedlich. Bildrechte: imago images / Pixsell

Von Straßenschlacht zum Sonntagsspaziergang

Mittlerweile ist die Parade in Belgrad oder Zagreb kein großer Aufreger mehr. Durch die Ausdauer und den Mut der LGBTQ-Aktivisten wurde das Tabu "Homosexualität" gebrochen. Auch die serbische Ministerpräsidentin Ana Brnabić hat sich offen zu ihrer Homosexualität bekannt.

In Bosnien, wo die Wunden des Krieges in den 1990er Jahren noch nicht verheilt sind und der Nationalismus den Alltag dominiert, steht der Kampf für die Gleichberechtigung der LGBTQ-Bewegung jedoch erst am Anfang. Wie viele andere aus der Region, ist deshalb auch Tanja Javorin aus Zagreb nach Sarajevo gekommen, um die erste bosnische Pride zu unterstützen. Sie erinnere sich an die Angst vor der ersten Pride in Zagreb, erklärte sie dem Internetportal der bosnischen LGBTQ-Community "lgbti.ba". Mittlerweile sei die Pride so selbstverständlich geworden, wie ein "Sonntagsspaziergang durch das Stadtzentrum".

Ähnlich ist die Situation in Belgrad: Kaum jemand regt sich noch wegen der Pride auf. Obwohl gleichgeschlechtliche Ehen verboten sind, homosexuelle Paare keine Kinder adoptieren oder sich für künstliche Befruchtung anmelden können, die Gesellschaften auf dem Balkan weitgehend homophob sind und der Kampf für die Gleichberechtigung der LGBTQ noch längst nicht zu Ende ist - an die Pride einmal im Jahr hat man sich in Zagreb, Belgrad, Skopje, Podgorica und Tirana gewöhnt.

Parade als wirksames Mittel gegen Homophobie

"Einzelne bosnische politische Parteien machen sich in den Medien dafür stark, die legal angemeldete Pride aus Sicherheitsgründen zu verbieten", sagt Selma Kešetović, eine der Organisatorinnen vom "Offenen Zentrum" aus Tuzla, einer Stadt im Nordosten von Bosnien und Herzegowina. Die Pride in Sarajevo sei wichtig, erklärt sie, weil die LGBTQ-Community in der bosnischen Gesellschaft täglich Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt sei. Die Parade habe sich in der Region und der Welt als das wirksamste Mittel erwiesen, diese Gewalt ins Rampenlicht zu stellen und sie zu bekämpfen.

Im Gegensatz zu Berlin oder New York sind die Pride auf dem Balkan kein Fest, keine Party, die die Liebe zelebriert, sondern Demos für grundlegende Menschenrechte. Seinen gleichgeschlechtlichen Partner offen zu küssen oder auf der Straße seine Hand zu halten, ist für viele auf dem Balkan immer noch undenkbar.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 29. Juni 2019 | 17:45 Uhr

Mehr aus Land und Leute

Mehr aus Osteuropa