Boomende TraditionWas den Stierkampf in Bosnien-Herzegowina so einzigartig macht
Ob Altenpflegerin oder etablierter Unternehmer – in Bosnien und Herzegowina schicken ganz unterschiedliche Menschen ihre Stiere bei der Korida in den Kampf. Hier stehen sich zwei Tiere gegenüber und nicht Mensch und Tier. Korida-Enthusiasten sagen, der Stierkampf würde die Menschen in dem multiethnischen Land, in dem vor 30 Jahren der Bosnienkrieg beendet wurde, einen.
Inhalt des Artikels:
- Korida nicht gleich spanischer Stierkampf
- Stierkampf nach dem Bosnienkrieg: Ohne ethnische Spaltung
- Keine Polizeieinsätze wegen nationalistischen Fangruppen wie beim Fußball
- Zufällig zum Stierkampf gekommen
- Training der Kampfstiere: Lange Spaziergänge und Massagen
- Trainer hängen oft an ihren Stieren
Mirjana Franković umarmt ihren Stier nach einem Kampf. Ihr Rocky hat gewonnen! "Ich bin zwar nicht zufrieden, weil der gegnerische Stier nicht wirklich kämpfen wollte, aber Sieg ist Sieg." Während Mirjana Rocky aus der Arena führt, wird die blonde Mittdreißigerin von den rund 2.500 Zuschauern mit Glückwünschen überschüttet. Die Altenpflegerin Mirjana ist in der Szene als Königin der Korida bekannt, des Stierkampfs in Bosnien und Herzegowina. Der Wettkampf in Bronzani Majdan im Norden Bosniens ist einer von Dutzenden, die mittlerweile pro Jahr im Land stattfinden.
Der Stierkampf hat in Bosnien-Herzegowina eine über zweihundertjährige Tradition. "Schon als kleinen Jungen haben mich meine Eltern zur Korida mitgenommen", erzählt der 60-jährige Unternehmer Hajrudin Haseljić, von vielen Bajra genannt. Der Geschäftsmann besitzt einen der größten Fleischbetriebe im Land und ist leidenschaftlicher Korida-Fan. Er stammt selbst aus einer Bauernfamilie und hat vor drei Jahren begonnen, seine eigenen Kampfstiere zu züchten, anstatt sie wie vorher zu kaufen. Voriges Jahr hat er dann im zentralbosnischen Örtchen Kutanja sogar eine moderne Stierkampfarena bauen lassen.
Korida nicht gleich spanischer Stierkampf
Anders als in Spanien werden beim Stierkampf in Bosnien und Herzegowina die Tiere nicht getötet, auch Menschen sind nicht direkt am Kampf beteiligt. Stattdessen treffen sich zwei Stiere in einer meist provisorisch auf einem Feld abgesperrten Arena und gehen dort ihrem natürlichen Drang zur Revierverteidigung nach. Gibt ein Stier auf, gewinnt der andere. Damit sich die Tiere nicht verletzen, werden ihnen die Hörner runder geschliffen.
Inzwischen ist die Korida in Bosnien-Herzegowina ein offizieller Sport mit strengen Regeln, Schiedsrichter überwachen die Kämpfe, damit die Regeln eingehalten werden. Veterinärinspektoren überprüfen die Gesundheitspapiere jedes Tiers, bevor es die Arena betritt.
Der Stier, der gewinnt, erringt nicht nur einen Pokal. Bis zu fünfstellige Preisgelder werden vor dem Wettkampf für die jeweiligen Kontrahenten ausgehandelt. Je mehr Siege ein Stier nach Hause bringt, desto höher die Preisgelder. Diese werden auch dann ausgezahlt, wenn der Stier einen Kampf verliert, allein schon dafür, dass er überhaupt kämpft. Es kommt aber auch vor, dass die Tiere gar nicht miteinander kämpfen wollen und überhaupt nichts passiert. Dann zahlen die Veranstalter den Besitzern zumindest die Transportkosten. Offizielle Wetten gibt es nicht, nur zum Spaß unter Freunden. Die hohen Preisgelder kommen von Sponsoren. Und davon gibt es viele, allen voran den Fleischproduzenten und Kampfstierbesitzer Hajrudin Haseljić.
Stierkampf nach dem Bosnienkrieg: Ohne ethnische Spaltung
Das Spektrum der Stierbesitzer reicht von einfachen Bauern bis hin zu sehr wohlhabenden Unternehmern – aus Bosnien und auch aus dem Ausland. Vor allem die bosnische Diaspora interessiert sich seit einigen Jahren immer mehr für die Korida. Und so steht auf den Parkplätzen der Stierkampfarenen nicht selten neben deutschen Zwölfzylindern auch mal ein Ferrari. Der Korida eilt der Ruf voraus, dass soziale Unterschiede auf ihren Festgeländen keine Gültigkeit hätten.
Bei der Korida fragt auch niemand, welcher Ethnie oder Religion jemand angehört. Das ist etwa 30 Jahre nach Ende des Bosnienkrieges keine Selbstverständlichkeit. Eine solche Frage ist bei der Korida sogar verpönt, erklären Amel Hajrić, Ingenieur für Telekommunikation, und Dževad Masić, pensionierter Bergmann: "Wir filmen Stierkämpfe aus Liebe, da kommen wir irgendwie geistig zur Ruhe. Hier ist ein Treffpunkt von Menschen verschiedener Religionen und Nationalitäten." Schon kurz nach dem Krieg hätten sie diesen Sport gemeinsam genossen.
Amel und Dževad haben vor drei Jahren ein mittlerweile sehr populäres Online-Portal rund um die bosnischen Stierkämpfe ins Leben gerufen, eine App ist in Planung. Bei ihnen laufen alle Termine, wichtige Informationen, Fotos und Bilder zusammen. Ihr Korida-Youtube-Kanal "NarodniPortal" mit fast 350.000 Abonnenten wird weltweit geklickt. Sie senden live von jeder Korida.
Bei der Korida in Bronzani Majdan unterhalten sich die Bosniaken Amel und Dževad in einer Pause zwischen den Kämpfen mit dem Kroaten Stipo, dem Serben Radomir und dem Roma Adis. Mirjana bringt ihnen etwas zu essen. Fleisch natürlich, das es an vielen Ständen zu kaufen gibt.
Keine Polizeieinsätze wegen nationalistischen Fangruppen wie beim Fußball
Die Korida im Örtchen Bronzani Majdan findet in der Republika Srpska statt, dem serbisch dominierten Teil des Landes. Und auch hier hat der Organisator den Fleischunternehmer Haseljić gebeten, seine Ćevapi-Stände aufzubauen, damit auch die muslimischen Gäste und Teilnehmer gut versorgt sind. So gibt es in Bronzani Majdan Halal-Hackfleischröllchen ohne Schweinefleisch neben dem bei der Korida obligatorischen Ferkel am Spieß.
Polizei zur Absicherung des Spektakels ist kaum auszumachen. Da ist sie dennoch, denn ohne sie dürfte die Korida nicht stattfinden. Mirjanas Mann Vjeko erzählt, dass – neben seiner Frau Mirjana – gerade darin der Grund liegt, weshalb er gerne zur Korida geht und selbst mit dem Sport angefangen hat: "Weil es hier keine Unterschiede zwischen uns Menschen gibt. Wir kennen keine Grenzen. Wenn ich nach dem Krieg zu einem Fußballspiel gegangen bin, waren wegen der nationalistischen Hooligans gefühlt 100 Angehörige von Spezialeinheiten der Polizei da. Das war mir zu viel. Hier bei der Korida braucht es gar keine Polizei", erzählt der bosnische Kroate Vjeko. Er selbst stammt aus einer Bauernfamilie und ist mit Tieren aufgewachsen. Heute leben Mirjana und er auf ihrem eigenen Hof.
Zufällig zum Stierkampf gekommen
Vjekos Frau Mirjana dagegen ist als Stadtkind in Deutschland aufgewachsen. Nach der Hochzeit bekamen sie von seinen Eltern ein Kälbchen geschenkt. Das sollten sie eigentlich an den Dorfmetzger verkaufen und das Geld für den Bau eines Hauses verwenden. Aber Mirjana weigerte sich und lernte innerhalb von fünf Jahren alles über Rinderzucht und Stierkampf. "Am Anfang wurde ich ausgelacht und die erste Zeit war hart. Als mein Mann aber merkte, dass ich es ernst meinte, begann auch er mit der Korida. Jetzt hat jeder von uns einen eigenen Kampfstier, aber wir kämpfen nicht gegeneinander", lacht Mirjana.
Am Anfang wurde ich ausgelacht und die erste Zeit war hart. Als mein Mann aber merkte, dass ich es ernst meinte, begann auch er mit der Korida. Jetzt hat jeder von uns einen eigenen Kampfstier, aber wir kämpfen nicht gegeneinander.
Mirjana Franković, Stiertrainerin aus Bosnien
Training der Kampfstiere: Lange Spaziergänge und Massagen
Ein Stier-Champion ist etwa so viel wert wie ein Mittelklassewagen. Da könnte man meinen, einen solchen Stier zu verkaufen würde sich angesichts von Preisgeldern und Verkaufserlös lohnen. Das sei ein Trugschluss, sagen die beiden Kampfstierbesitzer Mirjana und Hajrudin Haseljić. Wer mit dem Stierkampf Geld verdienen will, gebe schnell auf. Schließlich sei die Ausbildung eines Stieres langwierig und teuer. Bis zu vier Jahre dauere es, bis ein Tier bereit für den ersten Kampf sei. Außerdem bekommen die gut und gerne 700, 800 oder 900 Kilogramm schweren Kampfstiere nur bestes Futter. "Etwa ein Kilo Futter aus bestem Getreide und Obst pro 100 Kilogramm Eigengewicht braucht so ein Stier täglich", erklärt Haseljić. Dazu kommt das fast tägliche Training in Form von langen Spaziergängen.
Und ganz wichtig, so Mirjana und Vjeko: Die Tiere brauchen viel Liebe. Beide schmusen mit ihren Champions und Rocky freut sich über jedes Küsschen und viel Kraulen, das kann Mirjana gar nicht genug betonen. Neben der eigentlichen Arbeit auf dem Hof und ihrem Job als Altenpflegerin alle zwei Wochen in Wien hat sie am Ende kaum Zeit für sich selbst.
Trainer hängen oft an ihren Stieren
Verliert ein Stier zu oft hintereinander, lässt Geschäftsmann Haseljić ihn gewöhnlich schlachten. Sein Angestellter Haris, der sich um Kampfstier Šaronja kümmert und ihn trainiert, ist deshalb jedes Mal erleichtert, wenn Šaronja gewinnt.
Der Schlachthof erwartet aber nicht alle Kampfstiere. Häufig darf ein Champion seinen Lebensabend auf dem Hof des Besitzers verbringen, bis er eines natürlichen Todes stirbt, denn die meisten betrachten ihre Stiere regelrecht als Familienmitglieder. So auch Mirjana, die ihren Rocky zusammen mit ihrem Mann auf ihrem kleinen Hof versorgt: "Man kann nicht immer gewinnen. Das ist wie bei uns Menschen. Und wenn er mal verliert, dann ist das Gottes Wille. Hauptsache, es geht ihm gut und ich kann in seine liebevollen Augen schauen."
MDR (usc)
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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Heute im Osten | 07. Dezember 2024 | 07:22 Uhr