Oscar-Verleihung in Los Angeles Rumänien: Wenn Korruption tötet

26. April 2021, 15:05 Uhr

Eine Brandkatastrophe in Bukarest, ein korruptes rumänisches Gesundheitssystem - der Dokumentarfilm "Kollektiv - Korruption tötet" zeigt, wie sich Brandopfer, Ärzte und Journalisten gegen ein mafiaartiges System wehren. Bei der Oscar-Verleihung in Los Angeles war der Film in zwei Kategorien nominiert, ging aber leer aus.

Mariana Oprea hat sich die Übertragung aus Los Angeles nicht entgehen lassen, und dabei "sehnlichst" gehofft, dass der rumänische Dokumentarfilm "Kollektiv - Korruption tötet" einen Oscar erhält. Es geht in ihm um eine Brandkatastrophe, die sich wie keine andere Tragödie im kollektiven rumänischen Gedächtnis verankert hat. Seit diesem Abend im Bukarester Musikclub "Colectiv" ist das Leben von Mariana Oprea ein völlig anderes. Mehr als fünf Jahre ist das jetzt her.

Feuerwerk im Saal löst Brand aus

"Hier brennt etwas", sagt der Sänger der Metal-Band "Goodbye to Gravity" nach dem Begrüßungssong und einem Feuerwerk zur jubelnden Menge und blickt zu den Funken, die von der Decke regnen. Er sagt: "Das ist nicht Teil der Show". In Sekundenschnelle breitet sich das Feuer aus, gefolgt von Panik. Im Club gibt es nur einen Ausgang, durch den rund 400 Besucher ins Freie wollen. 27 Menschen sterben im Saal, 180 werden bei ihrer verzweifelten Befreiungsaktion von den Flammen teils schwer verletzt. Chaotisch organisieren Feuerwehr und Rettungskräfte die ärztliche Erstversorgung und den Transport zu den Krankenhäusern, sie sind mit der hohen Zahl der Verletzten völlig überfordert.

Erstklassige Behandlung versprochen

Was die Öffentlichkeit zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Die teils schwer verbrannten Überlebenden können in den Krankenhäusern von Bukarest nicht ausreichend versorgt werden, weil Materialien fehlen und spezielle sterile Räumlichkeiten. Statt die Lage wirklichkeitsgetreu zu bewerten, versprechen Behördenvertreter vor laufenden Kameras "eine Krankenhausbehandlung auf europäischen Standard", wohlwissend, dass sie im eigenen Land gar nicht möglich ist.

37 Brandverletzte sterben in den Tagen danach auf den Intensivstationen an tödlichen Krankenhauskeimen und wegen fehlender Hygienestandards. Weitere Verletzte werden nach tagelangem Zögern in Krankenhäuser nach Westeuropa verlegt. Die Todesnachrichten treiben Tausende vor allem junge Demonstranten auf die Straße. Sie rufen Slogans wie "Korruption tötet", sie werfen der Regierung völliges Versagen im Umgang mit der Tragödie vor, sie zwingen die Führung schließlich zum Rücktritt.

Film "Kollektiv - Korruption tötet" Der rumäniendeutsche Filmemacher Alexander Nanau drehte gut 14 Monate lang für seinen Dokumentarfilm, der für zwei Oscars nominiert ist:

- in der Kategorie "Bester fremdsprachiger Film"
- in der Kategorie "Bester Dokumentarfilm".

Der Film ist noch bis Montag in der ARD-Mediathek abrufbar. An der Produktion war auch der MDR beteiligt.

Patienten-Transfer ins Ausland

Mariana Oprea gehört in jenen turbulenten Tagen zu den Patienten, die ausgeflogen werden. Die Ärzte eines Wiener Krankenhauses diagnostizieren multiresistente Krankenhauskeime, die durch offenen Wunden ihrer Hände schon in die Knochen gewandert sind. Sie können die Infektion stoppen, doch müssen sie ihr sieben von zehn Fingern abnehmen. "Es war ein Schock für mich", sagt Mariana Oprea. Ihr Oberkörper ist mit Brandnarben übersät, sie haben die Form ihres Kleides, das sie beim Konzertabend getragen hatte. In einer Szene des Dokumentarfilms sagt sie, sie habe keine andere Wahl, als nach vorne zu sehen. Sie spielt keine Filmrolle, es ist ihr Leben, dass die Kamera da einfängt.

Mariana Oprea
Mariana Oprea war am 30. Oktober 2015 im Bukarester Musikclub "Colectiv" mit rund 400 anderen Besuchern. Sie konnte dem Feuer im Saal entkommen, mit schweren Brandwunden. Bildrechte: Mariana Oprea

Zurück in den Alltag gekämpft

Was, wenn Mariana Oprea ein Gurkenglas öffnen will oder die Einkaufstaschen tragen muss? Ohne die Hilfe ihrer Mutter, bei der sie lebt, käme die 34-Jährige nicht durch den Alltag. Es gibt Dinge, die ihr nie kompliziert vorkamen, wie Knöpfe schließen oder einen Reißverschluss. Ihr gelingt es jetzt mit drei Fingern, "auch wenn ich über ein Jahr dafür trainiert habe", sagt sie.

Oprea bekommt eine Rente vom Staat, doch würde die studierte Architektin nach der langen Therapiezeit gerne wieder arbeiten. In Bewerbungsgesprächen boten die Firmen ihr immer nur an, sie ohne Papiere anzuheuern, um die Sozialabgaben zu sparen: "Sie sagten: 'Ich würde schließlich nicht die Leistung einer Angestellten mit zehn Fingern bringen'". Oprea lehnte ab, sie will keine Ungesetzlichkeiten mehr akzeptieren. Schon einmal haben sie ihr Leben komplett verändert. Im Musikclub, in dem sich die Brandkatastrophe ereignete, gab es keinen ausreichenden Brandschutz, weil Betreiber und Behörden ihn nicht für so wichtig gehalten hatten. In einem aufwendigen Gerichtsprozess wird gerade ermittelt, wer am Brandunglück die Schuld trägt. Bis ein rechtskräftiges Urteil gesprochen ist, könnte es noch Jahre dauern.

"Hüte dich vor dem Krankenhaus"

Von Missständen gezeichnet ist auch das rumänische Gesundheitssystem: Die Infrastruktur gilt als äußerst marode, zudem herrscht seit langem akuter Mangel an medizinischen Personal, das massenhaft nach Westeuropa ausgewandert ist. "Hüte dich vor dem Krankenhaus", besagt ein geflügeltes Wort in Rumänien, weil man darin sterben kann, statt gerettet zu werden. Intensivmedizinerin Camelia Roiu sagt: "Ich selbst habe Angst, in einem Krankenhaus zu landen, weil einem dort alles Mögliche passieren kann. Unser Gesundheitssystem ist durch die jahrelange Korruption völlig erodiert."

Roiu gehört zu den namhaftesten Ärzten in Rumänien, auch weil sie nach der Colectiv-Tragödie der Presse wichtige Informationen zuspielte, warum die Schwerverletzten auf den Intensivstationen reihenweise starben: "Ich hatte das Gefühl, ich werde wahnsinnig, wenn ich nicht die Wahrheit sage." Allein acht Patienten starben in der Spezialklinik für Brandverletzte in Bukarest, in der die Medizinerin bis heute arbeitet. "Sie starben an multiresistenten Keimen, die sie im Krankenhaus bekommen hatten", sagt Roiu. Die Klinik ist inzwischen renoviert, doch sei die Sterberate auf der Intensivstation immer noch hoch, sagt die Medizinerin: "Die Keime bleiben in den Wänden, in der Kanalisation. Man kann ein solches Krankenhaus nicht renovieren, sondern man muss es von Grund auf neu bauen."

Rumänische Ärztin Camelia Roiu
Die 52-jährige Camelia Roiu legte 2015 die Missstände in ihrem Krankenhaus offen. Bildrechte: Ștefan Dani/ ELLE România

Als Heldin und Nestbeschmutzerin bezeichnet

Roiu probte den Aufstand gegen das einheimische Gesundheitssystem. In den eigenen Reihen gilt sie seither als Nestbeschmutzerin und Störenfried. Sie selbst wirkt resigniert. Die Medizinerin dachte, sie könnte die Realität ändern, "doch die ist nahezu gleich geblieben." Presse und Publikum feierten sie als Heldin, als Aufrichtige, als Unbestechliche, die die Mängel im Krankenhaus schonungslos offenlegte. Die heute 52-Jährige war für viele eine Art Hoffnungsträgerin, dass sich etwas ändern wird, wenn man offen und ehrlich ist.

In Rumänien herrscht seit Jahren Frust und Empörung über das eigene Gesundheitswesen, das chronisch unterfinanziert ist und in dem die Korruption weit verbreitet ist. Viele Rumänen sprechen von mafiaartigen Strukturen. In den vergangenen Jahren gab es Dutzende Ermittlungen gegen Krankenhausmanager und Ärzte, wegen horrend hoher Schmiergeldzahlungen und millionenschwerer betrügerischer Ausschreibungen.

Desinfektionsmittel stark verdünnt

Die Tragödie im Musikclub "Colectiv" zeigt einmal mehr das gewaltige Ausmaß der Korruption. Eine Enthüllungsgeschichte folgte der nächsten, recherchiert von einem Journalistentrio der Zeitung "Gazeta Sporturilor", zu dem Mirela Neag gehört. Das Trio fand heraus, dass ein rumänischer Pharmahersteller zahlreiche Krankenhäuser mit Desinfektionsmitteln beliefert hatte, die bis zur Wirkungslosigkeit verdünnt waren – auch deshalb starben die Patienten reihenweise an Infektionen. Die entscheidenden Hinweise bekam das Trio von Informanten, die sich - ob in Krankenhäusern oder beim Pharmahersteller - nicht länger zu "schweigenden Komplizen" mafiöser Kreise machen wollten.

Bis heute vergeht kein Tag, sagt Journalistin Neag, an dem sie nicht über Unrechtmäßigkeiten informiert und alarmiert würde. Oft sind die Hinweisgeber Angestellte in öffentlichen Behörden, die anonym bleiben wollten. "Wir bräuchten eine Armee von Redakteuren, um all die Recherchen zu Ende zu bringen, die die Öffentlichkeit anstößt. Immer geht es um Unvermögen oder Korruption".

Das Journalistentrio: Mirela Neag, Catalin Tolontan, Razvan Lutac (v.l.n.r.) bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig 2019, auf denen der Film 'Kollektiv - Korruption tötet' Premiere feierte.
Die drei Investigativjournalisten Mirela Neag, Catalin Tolontan und Răzvan Luţac (v.l.n.r.) 2019 in Venedig: Der Dokumentarfilm, der von den drei Reportern handelt, wurde damals bei den Internationalen Filmfestspielen aufgeführt. Bildrechte: Benedetta Bressani

Großes Misstrauen in Behörden

Auch Journalistin Neag hatte sich gewünscht, dass ihre Enthüllungen zu grundlegenden Veränderungen führen würden. "Es hat sich so gut wie nichts geändert", sagt sie, außer ein paar Renovierungen in Krankenhäusern und einer spürbaren Gehaltserhöhung für Mediziner. Geplant war beispielsweise auch der Bau eines neuen modernen Krankenzentrums für Brandverletzte, das es bis heute nicht gibt. "Seit Jahren werden uns neue Krankenhäuser versprochen. All diese leeren Worte führen zu einem großen Misstrauen", sagt Neag, "deshalb schalten die Leute bei Korruptionsproblemen auch lieber die Presse ein, als die Behörden."

Für Oscar nominiert, keinen Preis bekommen

Im Dokumentarfilm "Kollektiv - Korruption tötet" sieht man, wie unermüdlich und geistreich Neag und ihre Kollegen recherchieren. Dass der Film in der Oscar-Endrunde war, verwundert die Journalistin nicht: "Korruption ist ein weltweites Phänomen. Jeder weiß, wovon die Rede ist, deshalb spricht er ein so breites Publikum an." Bei der Verleihung am 25. April ging der Streifen aber leer aus.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 16. März 2021 | 22:10 Uhr

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