Ausgrabung Polen: "Nazis und Gold - das funktioniert immer!"
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Zwei Hobbyhistoriker graben Walbrzych nach dem angeblichen Zug mit Nazi-Gold. Während sie buddeln, verdienen andere an der Publicity. Manch einer träumt sogar vom polnischen Loch Ness.

Vor Schloss Fürstenstein bei Walbrzych hat sich eine lange Schlange gebildet. Hunderte Menschen warten auf Einlass zum "Festival der Geheimnisse" - ein Event mit Vorträgen, Diskussionen und Show-Einlagen zu regionalgeschichtlichen Themen. Das Fest findet jedes Jahr statt, aber so einen Ansturm wie am vergangenen Wochenende hat es noch nie gegeben. Das haben die Macher vor allem dem "Goldzug" zu verdanken: Denn um den dreht sich hier alles.
Alles Goldzug - Von Bier bis Pralinen
Wer es nach langem Anstehen endlich bis ins Schloss geschafft hat, kann sich mit einem "Goldzug"-Bier belohnen, das an mehreren Stellen des Restaurants ausgeschenkt wird. Der Verkauf läuft hervorragend. Ein Ehepaar in "Goldzug"-T-Shirts nimmt gleich zwei Dreierpackungen als Souvenir mit. Nebenan wird Eis verkauft und - welche Überraschung - es wird mit dem Goldzug beworben. Einige Meter weiter gibt es "Goldzug"-Tassen und Pralinen.
Nie dagewesene Publicity für Walbrzych
Seit im September 2015 Piotr Koper und Andreas Richter einen versteckten Zug gefunden haben wollen, befindet sich Walbrzych (Waldenburg) im Ausnahmezustand. Der Legende nach haben die Deutschen den Zug mit den Goldreserven aus Breslau beladen, die sie vor der herannahenden Roten Armee in Sicherheit bringen wollten. Die polnische und internationale Presse stürzte sich mitten im Sommerloch gerne auf das Thema. Als dann noch der Denkmalschutzbeauftragte der Republik Polen auf einer Pressekonferenz bestätigte: "Es gibt den Zug zu 99,9 Prozent", kannte die Euphorie keine Grenzen mehr. Kamerateams aus der ganzen Welt kamen in die 120.000-Einwohnerstadt und bescherten ihr eine nie dagewesene Publicity und einen gigantischen Werbeeffekt.
Messergebnisse stellen Fundort infrage
Erst als zwei Geologen von der Bergbau-Universität in Krakau im Dezember 2015 die Messergebnisse von Koper und Richter nochmal überprüften und feststellten, dass an dem vermeintlichen Fundort kein Zug in sieben Metern Tiefe vergraben sein kann, ebbte das Medieninteresse ab. Doch die Legende lebte weiter und beschert der Stadt Walbrzych zusätzliche Einnahmen. Alleine das Schloss Fürstenstein hat dieses Jahr 40 Prozent mehr Besucher als im vorigen Jahr.
Doch jetzt kehrt das Interesse an dem Zug zurück. Denn Piotr Koper und Andreas Richter haben nun nach einem Jahr endlich alle Genehmigungen zusammen, die nötig sind, um die Probegrabungen durchzuführen. Jetzt wird sich zeigen, ob es den Zug gibt oder nicht.
Eine Legende, die die Fantasie anregt
Wenn es nach Dariusz Domagala ginge, müsste der Zug gar nicht unbedingt gefunden werden. Domagala ist der Besitzer des lokalen Fernsehsenders TV Walbrzych, sowie eines Hotels und eines Restaurants auf dem Schloss. Er hat sich die Marke "Zloty Pociag" ("Goldzug") schützen lassen. Sie soll ihm das große Geld bringen. Er betreibt eine Internetseite über den Zug, verkauft "Goldzug"-Kleidung und bietet ein historisches "Goldzug"-Geländespiel für Firmenausflüge an.
"Goldzug" mit Loch Ness-Effekt
Gerade sitzt Domagala in seinem Restaurant, in dem Kellner in "Goldzug"-Schürzen sein "Goldzug"-Bier ausschenken. Er erklärt, warum das Marketing mit dem Zug so gut funktioniert. "Diese Geschichte regt die Fantasie der Menschen an“, erklärt er. "Nazis und Gold — das funktioniert immer." Wenn jetzt wirklich etwas gefunden wird, müsse das nicht unbedingt positive Auswirkungen auf das Geschäft haben. "Interessanter als die Realität ist oft die Fantasie", erklärt er. Er hofft, dass der "Goldzug" für Walbrzych auf lange Sicht einen ähnlichen Effekt haben wird, wie die Legende von Loch Ness, die seit Jahrzehnten Touristen aus aller Welt an einen See in der schottischen Provinz lockt.
Eine Geschichte, die sich schon ausgezahlt hat
Ob der Zug gefunden wird, wird sich einige Kilometer weiter zeigen. Denn dort ist der 65. Kilometer der Bahnstrecke Wroclaw — Walbrzych. Hier, gleich neben den Gleisen, soll der Zug in sieben Meter Tiefe vergraben sein. Auf dem Weg vom Schloss zum mutmaßlichen Fundort fährt man an einer "Goldzug"-Waschanlage und zwei großen Werbeplakaten für das "Goldzug"-Bier vorbei. Das Auto kann man dann auf dem "Goldzug"-Parkplatz abstellen. Hier halten Koper und Richter eine letzte Pressekonferenz ab, bevor es losgeht.
Auch wenn die Experten anderer Meinung sind: Die beiden scheinen immer noch fest an ihren Fund zu glauben. Eine Journalistin fragt, ob sie nervös seien. "Nein", sagt Koper. "Es geht darum, Spaß zu haben und die Wahrheit herauszufinden." Und Richter fügt hinzu: "Alle machen ihre Geschäfte mit dem Zug. Und jetzt kritisieren uns alle."
Denn seit die Geologen die Ergebnisse der beiden angezweifelt haben, werden sie immer wieder angegriffen. Man hält sie nicht mehr für seriös. Aber Richter ist das egal, er ist sich sicher, dass er etwas Gutes für die Stadt getan hat, egal wie die Geschichte ausgeht. "Der Zug hat der Stadt jetzt schon Gold gebracht. Die Hotels, die Restaurants, das Schloss — alle verdienen mehr."
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: MDR Aktuell | 12.08.2016 | 17:45 Uhr