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Katholische KircheDer polnischen Kirche rennt die Jugend davon

22. August 2019, 05:00 Uhr

Polnisch sein wird häufig gleichgesetzt mit katholisch sein. Der Glaube galt lange Zeit als Teil der nationalen Identität. Doch das könnte sich bald ändern. Denn neue Statistiken zeigen, dass jeder dritte junge Pole nichtgläubig oder nichtpraktizierend ist.

90 Prozent aller Polen sind katholisch. In keinem anderen Land der Welt ist der Anteil von Katholiken im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung so hoch. Doch die polnische Jugend hat zunehmend weniger Interesse am Glauben. Das geht aus einer aktuellen Studie des Meinungsforschungsinstituts CBOS hervor. Mittlerweile bezeichnet sich jeder dritte polnische Jugendliche als nichtgläubig oder nichtpraktizierend. Vor zehn Jahren gab nur jeder Fünfte an, nichtgläubig zu sein. Die Hälfte der Jugendlichen in Großstädten praktiziert ihren Glauben nicht mehr und nur noch 35 Prozent besuchen die Kirche am Sonntag. Verglichen mit deutschen Kirchengängern ist das immer noch sehr viel, in Polen zeugen diese Zahlen jedoch von einem Wandel in der Gesellschaft.

Warum sind junge Polen immer weniger gläubig?

Als Ursache dieses Wandels nennt die Untersuchung unter anderem die negative Einstellung gegenüber der katholischen Kirche. Denn die steht aufgrund diverser Skandale und streitbarer Positionen schon länger unter Druck. Zuletzt sorgte eine Doku über sexuellen Missbrauch in der Kirche für große Empörung.

Auch die Wertevorstellungen vieler junger Polen ändern sich zunehmend. Liebe und Freundschaft sind laut Studie die Hauptwerte junger Menschen. Auch Karriere und gute Arbeit sind wichtiger als das Familienleben, das traditionell im Mittelpunkt des Kirchenlebens steht. Jedoch räumen die Wissenschaftler auch ein, dass es kaum möglich ist, herauszufinden, ob ein konkretes Ereignis zum Vertrauensverlust geführt hat. Antoni Głowacki ist einer der Studienmacher: "Wir können nur sehen, dass dies ein systematisches Phänomen ist, dass es nicht neu ist."

Polen demonstrieren für die Trennung von Kirche und Staat (hier in Krakau im September 2018). Bildrechte: imago images / ZUMA Press

Dieser Trend macht sich auch in den Schulen bemerkbar: Immer weniger Jugendliche nehmen mittlerweile am Religionsunterricht in der Schule teil. 2010 besuchten noch 93 Prozent das Fach "Religion", heute sind es nur noch 70 Prozent.

Priester versuchen Trend entgegenzuwirken

Moderne Zeiten: Pfarrer Remigiusz Recław aus Łódź macht Seelsorge auf Youtube. Bildrechte: Mocni w Duchu - Jezuici TV

Wenn die Jugend nicht mehr in die Kirche geht, dann kommt die Kirche eben zu den Jugendlichen, scheint das Motto einiger Priester zu sein. Immer mehr predigen auf YouTube und hoffen so, die Jugend zu erreichen. Einige haben bereits bis zu einer halben Million Abonnenten und bezeichnen ihre Kanäle als "katholisches Netflix". Auch Pfarrer Remigiusz Recław nutzt YouTube, um seine religiösen Botschaften zu teilen. In seine Kirche passen 3.000 Menschen, auf YouTube dagegen schauen seine Botschaften wesentlich mehr Menschen. Er meint, dass man kaum noch Zeit habe, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen.

Die Kirche reagiert auf die Denkweise der Jugend, aber sie reagiert vielleicht zu langsam. Ich persönlich freue mich über jeden, der betet, egal auf welchem Weg. Ich glaube dennoch nicht, dass YouTube eine Antwort auf die Krise der Kirche sein kann.

Remigiusz Recław | Katholischer Priester

Religion ja, Kirche nein

Diese "Krise" haben auch Wissenschaftler schon länger auf dem Schirm, wie etwa der Soziologieprofessor Sławomir Zaręba aus Warschau. Für ihn bedeutet die Abkehr von der Kirche nicht unbedingt eine Abkehr vom Glauben. Es sei vor allem eine Abkehr von der traditionellen Religiosität, die von der institutionellen Kirche geprägt sei, hin zu einer individualisierten Religiosität, die auf eigenen Gedanken und Suchen beruhe. In einem Zeitungsinterview sagte Zaręba, dass er seit Jahren eine "Entkirchlichung" wahrnehme.

Kirche finanziell auf Kirchengänger angewiesen

In Polen gibt es keine Kirchensteuer. Die katholische Kirche finanziert sich zu 80 Prozent über Spenden und Gebühren. Für Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen verlangt sie Geld. Natürlich nicht offiziell, denn theoretisch sind Sakramente auch in Polen kostenlos beziehungsweise nur mit einer Spende verbunden. Allerdings kursieren für diese "Spenden" inoffizielle Preislisten. Wenn die Gläubigen ausbleiben, dann fehlen der polnischen Kirche zwangsläufig auch finanzielle Mittel.

Ähnlich sieht es auch beim Nachwuchs aus: Die Kirche in Polen findet immer schwieriger potentielle Geistliche. Im Olsztyner (dt. Allenstein) Priesterseminar im Nordosten Polens beispielsweise wird es in diesem Jahr erstmalig keinen neuen Jahrgang von Priesteramtskandidaten geben. Dabei hieß das Erzbistum Ermland, wo Olsztyn liegt, einst auch das "Heilige Ermland".

(adg)

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL FERNSEHEN | 12. Oktober 2018 | 17:45 Uhr

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