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Butter mit Diebstahlsicherung in einer polnischen Kaufland-Filiale: Die quadratischen weißen Aufkleber sollen das teuer gewordene Lebensmittel vor Langfingern sichern. Bildrechte: wiadomoscihandlowe.pl

Explodierende PreiseInflation in Polen: Butter mit Diebstahlsicherung

02. August 2022, 05:57 Uhr

Das Einkaufen tut in diesen Inflationszeiten weh. Die Preise klettern Monat für Monat weiter in die Höhe, beim Blick auf die Preisschilder kann es einem richtig schwindlig werden. Doch bei unseren Nachbarn in Polen ist die Lage noch schlimmer – so schlimm, dass sich Ladendiebstähle offenbar häufen. In manchen Supermärkten bekommen sogar Alltagsartikel wie Butter nun eine Diebstahlsicherung verpasst.

von Cezary Bazydło, Osteuroparedaktion

In mehreren polnischen Kaufland-Filialen bot sich den Kunden dieser Tage ein ungewohntes Bild: Butterstücke mit einer Diebstahlsicherung. Das berichtet die Branchenzeitschrift "Wiadomości Handlowe" (zu Deutsch "Handelsnachrichten").

Bislang unüblich: Butter mit Diebstahlsicherung

Die Nachricht wurde von vielen polnischen Medien aufgegriffen. Kein Wunder, denn bislang wurden nur teure Spirituosen und die edelsten Fleischsorten wie Rumpsteak auf diese Art und Weise vor Langfingern gesichert. Bei Alltagsartikeln wie Butter lohnt sich das eigentlich kaum, weil eine Diebstahlsicherung rund 1 Złoty (umgerechnet 0,21 Cent) kostet – bei einem Butterpreis ab 7 Złoty das Stück (umgerechnet 1,47 Euro). Doch nun wisse sich die Kette offenbar nicht anders zu helfen gegen eine Welle von Ladendiebstählen, schreibt das Branchenblatt und schlussfolgert: Das Problem müsse enorm sein – was auch Gespräche mit Mitarbeitern anderer Einzelhandelsketten bestätigen sollen.

Kaufland selbst veröffentlicht keine Diebstahlstatistiken. Dass Ladendiebstähle aber insgesamt zunehmen, belegt die Kriminalitätsstatistik der polnischen Polizei. Die Zahl der schweren Ladendiebstähle mit einem Warenwert über 500 Złoty (etwa 105 Euro) ist im ersten Halbjahr 2022 um 27 Prozent gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum gestiegen, die der leichteren – um 13 Prozent. Dabei ist es nur die Spitze des Eisberges, denn die Statistik erfasst nur angezeigte Diebstähle – Schätzungen zufolge werden 95-98 Prozent aller Ladendiebe aber nicht erwischt.

Ladendiebstähle in Polen (laut Kriminalstatistik der Polizei)
ZeitraumSchwere Ladendiebstähle (Gefängnis)Leichte Ladendiebstähle (Geldstrafe)
Januar bis Juni 202113.49194.902
Januar bis Juni 202217.219 (+27 Prozent)106.970 (+13 Prozent)

Eine Entwicklung, die kaum verwundert, wenn man sich die Preisentwicklung in Polen anschaut. Die Inflation dort lag im Juni 2022 bei 15,5 Prozent und damit doppelt so hoch wie in Deutschland. Doch damit nicht genug. Die Preise vieler Lebensmittel haben sich weit über das Inflationsniveau hinaus erhöht – allen voran die Butter, die nun so sehr die Langfinger anzieht.

Enorme Inflation bei Lebensmitteln

Genaue Daten zur Teuerung von Lebensmitteln liefert der Preisindex von UCE RESEARCH und dem Bankenhochschulverbund. Er erfasst die Einzelhandelspreise in rund 40.000 Geschäften. Für Butter mussten Käufer im Juni 2022 rund 48 Prozent mehr hinblättern als noch vor einem Jahr. Bei Fleisch legten die Preise um 31 Prozent zu, bei Obst um 24 Prozent.

Warum werden Lebensmittel teurer?

Fleisch wird wegen steigender Energie-, Kraftstoff-, Futter- und Düngemittelpreise teurer. Eine Rolle spielt auch der Krieg im Agrarland Ukraine, das einen Teil des Getreides liefert, mit dem Schlachttiere gefüttert werden. Dieses Getreide kann momentan nur begrenzt nach Westeuropa exportiert werden.

Kriegsbedingte Getreideengpässe lassen auch die Preise von Mehl und Backwaren steigen – im Verbund mit den steigenden Energiepreisen.

Obstpreise steigen, weil es wegen des Ukraine-Krieges weniger Saisonarbeiter für die Ernte gibt.

Kaffee wird bereits seit einigen Jahren teurer. Grund dafür ist eine Pflanzenpest in Südamerika, wo viele Kaffeebohnen herkommen. Eine Rolle spielen zudem weltweit gestiegene Transportkosten – der Kaffee muss schließlich viele Tausend Kilometer passieren, um nach Europa zu gelangen – und wie bei den anderen genannten Produkten schlägt auch die Energie stärker zubuche – weil der Kaffee geröstet werden muss.

Solche Preissteigerungen reißen ein Loch in die Finanzen vieler Familien. Gleichzeitig sind für viele Polen auch die Wohnkosten exorbitant gestiegen. Der Grund: In Polen ist Wohnen zur Miete unbeliebt. 84,2 Prozent der Einwohner wohnen im Eigentum (in Deutschland: 51,1 Prozent). Familien, die ihre Wohnung mit einem Kredit finanziert haben, müssen jetzt aufgrund der hohen Inflation fast doppelt so hohe Raten an die Bank abführen wie im vergangenen Herbst, denn in Polen werden die Zinsen in der Regel an die aktuelle Inflation angepasst, während in Deutschland feste Zinssätze für beispielsweise zehn Jahre verbreitet sind.

Inflation im Kühlregal: Manche Lebensmittel haben sich in Polen enorm verteuert – allen voran Butter. Bildrechte: IMAGO / NurPhoto

Selbstbedienungskassen erleichtern Diebstähle

Die finanziellen Spielräume werden also immer geringer. Kein Wunder, dass die Versuchung zu stehlen, bei manchen Bürgern sehr groß ist. Dabei kommt ihnen zugute, dass die polnischen Einzelhandelsketten wegen Personalmangels massiv in Selbstbedienungskassen investieren. Lidl Polen hat beispielsweise schon 80 Prozent seiner Filialen damit ausgestattet und installiert inzwischen sogar XXL-Kassen für den großen Wochenendeinkauf. Ähnlich hoch ist die Abdeckung beim Mitbewerber Biedronka.

Das Problem dabei allerdings ist: SB-Kassen fördern Ladendiebstähle – zum einen, weil sie mehr Gelegenheiten zum Schummeln bieten, zum anderen, weil die psychologische Hemmschwelle sinkt. Dies kenne man bereits aus dem Ausland, schreibt das Branchenblatt "Wiadomości Handlowe". Mechanismen der sozialen Kontrolle würden außer Kraft gesetzt, wenn Kunden beim Einkauf kaum mit Personal in Berührung kämen. In den fetten Jahren vor dem Ukraine-Krieg und der explodierenden Inflation war das noch kein Problem, doch das ändert sich gerade.

Wann hört die Inflation auf?

Und das Problem dürfte noch zunehmen, denn Wirtschaftsexperten zufolge liegt das Schlimmste in Sachen Inflation noch vor uns. "Leider werden wir noch mehrere Monate lang mit einer hohen Inflation leben müssen", sagt Stanisław Flejterski, Professor an der Bankenhochschule in Stettin. Der Gipfel der Preissteigerungen bei Lebensmitteln werde Anfang September überschritten, wenn die diesjährige Ernte feststeht, ergänzt Tomasz Kopyściański von der Bankenhochschule in Breslau. Jede weitere Woche des Ukraine-Krieges treibe die Preise weiter an, so der Experte.

Immerhin gibt es aber die Chance zumindest auf eine Verschnaufpause für die Verbraucher. Dies hänge mit den fallenden Palmölpreisen zusammen, bemerkt der Unternehmer und Wirtschaftswissenschaftler Krzysztof Łuczak. Indonesien, der größte Palmölproduzent der Welt, verkaufe gerade große Mengen des Rohstoffs. Dadurch fielen auch die Preise von Raps- und Sojaöl. All diese Speiseöle werden in großen Mengen in der Lebensmittelindustrie eingesetzt. Das könnte die Inflation bei Lebensmitteln generell ein wenig bremsen, so der Experte.

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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 30. Juli 2022 | 06:30 Uhr