Zugunglück in Kdyňe in Tschechien
Beim Zugunglück im vorigen Jahr in Kdyňe waren 20 Menschen schwer verletzt worden Bildrechte: imago images / CTK Photo

Zugunglücke Ist Bahnfahren in Tschechien noch sicher?

05. August 2021, 17:17 Uhr

In Tschechien ist es erneut zu einem schweren Zugunglück gekommen. Drei Menschen starben, 40 wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Ist Bahnfahren in Tschechien noch sicher?

Diese blonde Frau ist unsre tschechische Ostbloggerin Helena Šulcová.
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Braucht man wirklich einen Mundschutz für die Fahrt mit der Bahn in Tschechien? Sollte man nicht lieber einen Helm aufhaben? Mit diesen Fragen machen sich die Tschechen über die Zahl der Bahnunfälle im Land lustig. Zum Lachen ist die Situation jedoch nicht. In der Tschechischen Republik passieren Zugunfälle am laufenden Band, oft mit dramatischen Folgen.

Bahnunglücke durch menschliches Versagen?

Am Mittwochmorgen hat es erneut einen schweren Unfall gegeben. Auf der Strecke München–Prag kollidierte ein Expresszug mit einem anderen Zug. Bei dem Unglück in Westböhmen unweit der Stadt Domazlice starben laut Polizei drei Menschen. Die Nachrichtenagentur CTK meldete 40 zum Teil lebensgefährlich Verletzte. Bei einem der letzten schweren Unfälle vor einem Jahr in Kdyně, zehn Kilometer von der bayerischen Grenze entfernt, mussten vier der 20 Verletzten mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht werden. Anfang Juli 2020 kamen bei einem Zugunglück im tschechischen Teil des Erzgebirges zwei Reisende ums Leben, darunter ein Deutscher. Bei einem Unfall in der Nähe von Prag starb der Lokführer. "Höchstwahrscheinlich ist menschliches Versagen Schuld an diesen Unglücken", sagte im Juli 2020 der Sprecher der tschechischen Bahninspektion, Martin Drápal, dem MDR. Überprüft wird Drápal zufolge auch der Ablauf der Schicht der Lokführer und ob sie genug Zeit zur Erholung hatten. Ergebnisse kann man erst Ende des Jahres erwarten.

Tschechische Lokführer sind überarbeitet

Seit Jahren spricht man in Tschechien darüber, dass die Lokführer überarbeitet sind. "Es gibt nicht genug Lokführer. Sie müssen Überstunden machen, dies wirkt sich auf die Arbeit aus", sagte der Verkehrsexperte des Verbandes der Gewerkschaften im Dienstleistungssektor und Verkehr, Jindřich Berounský, dem Nachrichtenportal novinky.cz im Juli 2020. Es sei auch keine Ausnahme, dass ein Lokführer gleich für zwei Bahnanbieter arbeite, oft am selben Tag. "Auch Menschen im Rentenalter pendeln innerhalb von einem Tag zwischen zwei Arbeitsplätzen", fügte er hinzu. Grund sei das Geld. Der übliche Lohn eines tschechischen Lokführers liegt bei 46.000 Kronen brutto monatlich - umgerechnet 1.740 Euro. In dieser Summe sind die 36-Stunden-Woche und Überstunden enthalten. Ein Lokführer darf nach dem Tarifvertrag der Tschechischen Bahn maximal acht Überstunden pro Woche machen. In Deutschland verdient ein DB-Lokführer im Schnitt etwa 2.700 Euro brutto monatlich, bei einer 39-Stunden-Woche. Dazu kommen noch monatliche Zuschläge für Nachtarbeit und Überstunden.

Tschechische Bahn: Wir halten uns an Regeln!

In Tschechien gibt es neben der staatlichen Tschechischen Bahn noch weitere (private) Bahnanbieter. Die Tschechische Bahn (ČD) ist jedoch mit Abstand das größte Unternehmen auf der Schiene. Ihre Sprecherin Gabriela Novotná wies auf Anfrage des MDR einen Teil der Vorwürfe zurück. Es gebe Stand Juli 2020 genug Lokführer in der Firma (3.500) und die Schichtplanung unterliege strengen Regeln nach geltenden Gesetzen und dem aktuellen Tarifvertrag. "Auf der anderen Seite, können wir nicht überprüfen, ob die Lokführer tatsächlich die Ruhezeit nutzen, um sich zu erholen oder ob sie für ein anderes Unternehmen arbeiten", so Novotná.

Lokführer: Ich schlafe nicht mal fünf Stunden

Die Eisenbahner meinen aber, dass auch die Schichtplanung nicht immer nach allen Regeln läuft. Erlaubt sind 13 Stunden Arbeit mit vorgeschriebenen Pausen, danach muss der Lokführer sechs Stunden schlafen, bis er wieder fahren darf. Anschließend bekommt er mehrere freie Tage. Soweit die Theorie. Ein Lokomotivführer beschrieb im Tschechischen Fernsehen die Wirklichkeit: "Wir fangen um 9:39 Uhr den ersten Teil der Schicht an und fahren bis 20:09 Uhr. Dann haben wir offiziell sechs Stunden Pause. Bis ich aber vom Zug zum Aufenthaltsraum komme und mich fürs Bett bereitmache, bleiben mir nicht mal fünf Stunden für den Schlaf. Um 2:12 Uhr nachts muss ich weiterfahren."

Verkehrsministerium: Wir ändern das!

Die tschechische Bahnaufsichtsbehörde, zuständig für die Sicherheit auf der Schiene, hat mittlerweile ein Lokführer-Register eingeführt. Wie der Sprecher Martin Novák dem MDR mitteilte, wird damit eine bessere Kontrolle über die Erholungszeiten der Fahrer gewährleistet. Die tschechische Regierung will bis Oktober 2021 eine Novelle des Eisenbahngesetzes durchs Parlament bringen. Das Verkehrsministerium will die Regeln für Pausen zugunsten der Lokführer ändern, gleichzeitig aber auch durchsetzen, dass Lokführern, die sich nicht an die Sicherheitsvorgaben halten, die Lizenz entzogen werden kann. Außerdem soll zeitnah das Europäische Zugsicherungssystem ETCS eingeführt werden. Herzstück ist die Kommunikation von Computern an der Strecke und in den Bahnen, die miteinander kommunizieren. Da die Rechner so genau weiß, wo sich jeder Zug befindet, berechnet er kontinuierlich den Bremsweg. Stellt sich einem Zug ein Hindernis in den Weg, wird er automatisch angehalten. Dadurch wird eine Kollision trotz Fahrfehler verhindert.

Tschechen machen Witze über die Bahn

Die Politiker versprechen zwar Veränderungen, viele Tschechen sind aber skeptisch. "Den Staat wie einen Zug führen," postete ein Facebook-Nutzer im Juli 2020 unter einem Bild von Regierungschef und Unternehmer Andrej Babiš, der vor den Wahlen versprochen hat, den Staat wie eine Firma zu führen. In einem weiteren Post heißt es: Was man jetzt für eine Bahnfahrt mitnehmen sollte sind Fahrkarte, Reiseapotheke, Körperschutz, Helm und ein Testament.

Die Sprecherin der Tschechischen Bahn betont allerdings, dass die Fahrt mit der Bahn sicher sei. Bis zu dem Unfall im Erzgebirge im vergangenen Juli, habe es in den letzten fünf Jahren keinen tödlichen Unfall gegeben, für den die Tschechische Bahn hätte verantwortlich gemacht werden können.

Eisenbahnland Tschechien Tschechien hat auf die Fläche bezogen das dichteste Eisenbahnnetz in der EU. Auf einen Quadratkilometer kommen rein rechnerisch rund 119 Meter Schienen. Selbst in sehr kleine Städte kommt man mit dem Zug, allerdings können die Reisen sehr lange dauern und viele Strecken werden von nur wenigen Zügen am Tag befahren.

(Zuerst veröffentlich am 15.09.2020)

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL RADIO | 04. August 2021 | 10:00 Uhr

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