Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben
Sommerurlaub in Kroatien: Auch bei Serben beliebt, allerdings immer noch überschattet vom Erbe der Jugoslawienkriege. Bildrechte: IMAGO / Panthermedia

Ferien als PolitikumSerben in Kroatien: Urlauber als Landesverräter

13. August 2022, 04:04 Uhr

Die Serben lieben Badeurlaub. Doch seit dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens hat ihr Land keinen Zugang zum Meer. Die schönsten Strände der Adria liegen bei den Nachbarn – und einstigen Feinden im jugoslawischen Bürgerkrieg. So wird ein Strandurlaub in Kroatien oder Montenegro schnell zu einem politischen Statement. Denn die Gespenster der gemeinsamen Vergangenheit toben ungezügelt auch in der Hitze.

von Andrej Ivanji, Belgrad

Im Sommer wollen die Serben ans Meer. Man fragt nicht einmal "wo verbringst du den Urlaub?", sondern "wo gehst du ans Meer?" Das war schon so, als die Serben noch als Jugoslawen im eigenen Land Zugang zum Adriatischen Meer hatten. Dann kam 1991 der Bürgerkrieg, Slowenien, Kroatien und später auch Montenegro spalteten sich ab und die Serben sind ohne heimische Meeresküste zurückgeblieben, dafür aber mit bitteren kollektiven Erinnerungen an die früheren Landsleute und giftiger Geschichtsdeutung.

Die Lieblingsdestination der Serben ist mit Abstand Griechenland: Man erreicht es schnell und gemütlich auch mit Bus oder Auto, es ist günstig, die orthodoxen Griechen mögen die Serben, man fühlt sich verbündet auf dem Balkan. Und: Man hat keine belastende gemeinsame Geschichte.

Geschätzt jeder zweite Serbe, der seinen Urlaub im Ausland verbrachte, entschied sich 2021 für Griechenland. Viele fahren auch an die Küste des benachbarten Bulgarien. Diejenigen, die "all inclusive" Urlaub mögen, fliegen in die Türkei oder nach Ägypten.

Hasskampagnen gegen Nachbarländer

Trotz der Hasskampagnen der Regierung strömen serbische Touristen an die kroatische Küste. Bildrechte: IMAGO / Pixsell

Und dann wird es schon komplizierter – der Politik wegen. Vertreter der serbischen Regierung überfluten die Medien mit hassschürenden Parolen gegen die Nachbarländer Kroatien und Montenegro. Und die in Serbien neuentdeckte Urlaubsdestination Albanien hat für so einige Serben gleich zwei Nachteile. Zum einen führt der kürzeste Weg dorthin über das Kosovo, das Serbien nicht anerkennt und als Teil des eigenen Territoriums betrachtet. Zum anderen leben in Albanien nun mal Albaner, und Albaner mag ein serbischer Mainstream-Patriot grundsätzlich nicht.

Kroatienurlaub als politisches Statement

Die kroatischen Strände sind auch dieses Jahr voll von Gästen aus Serbien, allerdings hauptsächlich in der gegen Nationalismus gewappneten Region Istrien. In Rovinj, Poreč, Rijeka, Pula oder auf der Insel Cres als Serbe Urlaub zu machen, könnte fast als politisches Statement gegen die eigene Regierung verstanden werden: Ihr könnt mich mal mit eurem nationalistischen Hassschüren, ich gehe dorthin, wo es mir gefällt.

Und die kroatische Küste gefällt, aus gutem Grund, vielen Serben: Rund 120.000 fuhren im Sommer 2021 nach Kroatien, und auch in diesem Jahr wird es nicht wesentlich anders sein.

Unsere gemeinsame Sprache: Serbokroatisch

Innerhalb von Jugoslawien gehörten die Sonnenstrände von Kroatien für die Serben zum Inland. Bildrechte: IMAGO / Pixsell

Man spricht in Kroatien außerdem, wie auch in Montenegro, fast die gleiche Sprache, der Unterschied zwischen Serbisch, Kroatisch und Montenegrinisch (auch Bosnisch) ist, was immer die Politik oder nationalistisch veranlagte Sprachwissenschaftler einem weismachen möchten, in etwa so groß wie zwischen Deutsch und Österreichisch. Hunderte Schriftsteller aus den vier Staaten unterzeichneten deshalb eine "Deklaration über die gemeinsame Sprache". Einen Dolmetscher braucht man sicher nicht, obwohl aus purer nationalistischer Verbohrtheit tatsächlich serbische Autoren, zum Beispiel, ins Kroatische übersetzt werden.

Dem serbischen Staatspräsidenten Aleksandar Vučić ist diese serbisch-kroatische Fraternisierung im Urlaub allerdings ein Dorn im Auge. Er sprach vor einigen Tagen wieder einmal verachtend über diejenigen Serben, die an die kroatische Küste fahren, und riet ihnen, stattdessen die Gedenkstätte des KZ Jasenovac zu besuchen, in dem Zehntausende Serben, Juden und Roma während des Zweiten Weltkriegs in dem von Hitlers Gnaden unabhängigen Staat Kroatien brutal ermordet wurden. Die serbische Staatspropaganda bezeichnet das heutige EU-Mitglied Kroatien als einen Nachfolgestaat des faschistischen Kroatien.

Serbische Jugendliche feiern gern in den "verfeindeten Nachbarländern, trotz kritischer Bemerkungen aus der Politik. Bildrechte: IMAGO / Pixsell

Auch der jugoslawische Bürgerkrieg spielt hier eine Rolle. Am 4. August 1995 startete Kroatien die militärische Operation "Oluja" (zu Deutsch "Sturm") während derer in wenigen Tagen mehr als 200.000 Serben aus Kroatien vertrieben wurden. Jedes Jahr feiert Kroatien am 4. August die Befreiung von Serbien, während in Serbien die Trauerglocken klingen, von ethnischer Säuberung und dem größten Verbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg die Rede ist. Was habt ihr im verbrecherischen Kroatien zu suchen, lautet die an die Serben gerichtete Botschaft der serbischen Staatsspitze.

Junge Serben feiern in Montenegro

Auch die Beziehungen zum Nachbarland Montenegro sind von der Geschichte überschattet. Nur junge Serben machen sich nicht viel daraus und strömen zahlreich in die montenegrinische Küstenstadt Herceg Novi in der Bucht von Kotor. Das Meer ist blau und warm, die Vegetation ist satt grün, vor allem aber gibt es unendlich viele Strandbars und Cafés sowie Lokale, in denen erst ab ein Uhr nachts Leben einkehrt. Mit Pizza kann man sich schon für zwei Euro sattessen, einen Espresso kriegt man für einen Euro. Es ist der "Ballermann der jungen Serben". Und die Teenager kümmern sich nicht darum, dass serbische Minister und Medien den Präsidenten Montenegros Milo Đukanović allen Ernstes beschuldigen, Kriminelle beauftragt zu haben, auf seinen serbischen Amtskollegen ein Attentat zu verüben.

Herceg Novi ist eine Küstenstadt wie aus dem Bilderbuch - und im Sommer das Mekka junger Serben. Bildrechte: IMAGO / Shotshop

Dabei empfinden es die national gesinnten Serben heute noch als Verrat, dass sich nach allen anderen Völkern im Vielvölkerstaat Jugoslawien auch die ebenso slawisch-orthodoxen Montenegriner von Serben losgelöst hatten. Und jetzt wollen sie auch noch eine eigene Kirche und eine eigene Sprache haben, und überhaupt, sollen angeblich die Serben in Montenegro unterdrückt werden! Trotz dieser negativen Propaganda verbrachten mehr als 300.000 Serben im Vorjahr ihren Sommerurlaub in Montenegro.

Serbischer Urlaub für Serben

Die serbische Regierung scheint nur eine einzige Botschaft an die nach Sonne und Meer lechzenden Bürger zu haben: Was habt ihr überhaupt Geld im Ausland auszugeben?! Sie wirbt für Urlaub in Serbien und gibt dafür auch 200.000 Voucher im Wert von rund 130 Euro aus. Alles schön und gut, aber Serbien hat nun mal kein Meer.

Ein Angebot von

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 13. August 2022 | 07:15 Uhr