Nachwuchs fehlt Krakau: Stadt-Trompeter verzweifelt gesucht

28. Februar 2021, 05:00 Uhr

Musikalisches Talent, sportliche Kondition und einen polnischen Pass: All das braucht man, um Stadt-Trompeter am Turm der Marienkirche von Krakau zu werden. Nun steht fest: Keiner der 35 Kandidaten konnte die Jury überzeugen. Sie alle fielen im Bewerbungstest durch - mangels musikalischer Fähigkeiten und Fitness.

Stadt-Trompeter auf der Marienkirche in Krakau, Polen
Traumhafte Aussicht, doch kein Nachwuchs in Sicht. Bildrechte: IMAGO / VWPics

Es ist der Job mit der wahrscheinlich besten Aussicht auf Krakau. Um an diesen Arbeitsplatz zu gelangen, muss man den 81 Meter hohen Turm der Marienkirche erklimmen, 272 Stufen. Wer es bis hierhin geschafft hat, kann sich glücklich schätzen, denn hinter ihm liegt ein beinhartes Auswahlverfahren, bei dem nur die Besten der Besten übrig bleiben.

Jeden Tag zur vollen Stunde ertönt von hieraus das Trompeten-Signal "Hejnał mariacki", das in der ganzen Altstadt zu hören ist. Nach 24 Jahren im Dienst, hat sich der "Hejnalist" Jan Sergiel in den Ruhestand verabschiedet. Er und seine sechs Kollegen arbeiten abwechselnd in 24-Stunden-Schichten und machen danach für zwei Tage Pause. Eigentlich wollte man der Öffentlichkeit bereits jetzt einen Nachfolger - oder eine Nachfolgerin - präsentieren, doch die Suche gestaltet sich für die Stadt deutlich schwieriger als gedacht.

Die Anforderungen sind hoch

"Hejnalist" in Krakau zu sein, ist nicht einfach nur irgendein Job. Es ist in den Augen der Stadt eine regelrecht hoheitliche Aufgabe. Wer auf dem hohen Turm spielen will, hat einen langen "Parcours" zu bewältigen und muss sich in gleich mehreren Disziplinen behaupten. Um die Bewerbungen kümmert sich traditionellerweise die Feuerwehr. Der Dienst als Stadt-Trompeter ist eng mit ihr verbunden, da das Melden von Bränden früher zu den Hauptaufgaben des Trompeters gehörte. 35 Kandidaten meldeten sich im Januar auf die freie Stelle, darunter auch erstmals drei Frauen.

Marienkirche und Tuchhallen in Kraków / Krakau bei Nacht
Auch nachts wird der "Hejnał" zu jeder vollen Stunde von der Marienkirche geblasen. Der zuständige Trompeter muss dafür 272 Stufen hinauf. Nicht alle schaffen das. Bildrechte: IMAGO / Fotostand

Nur Personen mit polnischem Pass können sich bewerben, auch Vorstrafen sind für die angehenden Stadt-Trompeter tabu. Zuerst wartet auf die Bewerber ein Eignungstest an der Trompete. Doch bereits dieser Test wurde dem Großteil der angehenden Bewerber dieses Mal zum Verhängnis: Nur sechs von ihnen bestanden ihn. Auch alle drei Frauen wurden in dieser Etappe bereits aus dem Rennen geschickt.

Alle Bewerber fielen durch Fitnesstest

Danach müssen die Bewerber einen Fitnesstest aus verschiedenen Übungen bestehen. Hier war auch für die restlichen Bewerber Schluss. Dabei wäre das noch gar nicht der letzte Schritt gewesen, um schlussendlich berufen zu werden. Die Prozedur sieht nämlich noch einen Höhenangst-Test vor, bei dem die Bewerber eine 20 Meter lange Leiter im 75 Grad-Winkel besteigen müssen. Erst dann wären sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden und müssten dann noch bei einem medizinischen Check unter Beweis stellen, dass sie für den Dienst in der staatlichen Feuerwehr geeignet sind.

Nun fragt sich die ganze Stadt, wie es so weit kommen konnte. Ein Sprecher der Feuerwehr äußerte sich in einem Interview erstaunt, weil man die Anforderungen bereits abgesenkt habe und trotzdem keiner der Bewerber sie erfüllen konnte. Das Erstaunen ist auch deshalb so groß, weil sich für den Dienst auch Leute angemeldet hatten, die offensichtlich gar nicht Trompete spielen konnten.

Wahrzeichen von Krakau und ganz Polen

Die Marienkirche ist eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten von Krakau. Die Stadt gilt aufgrund ihrer schönen Architektur und vielfältigen Kultur- und Kunstangebote unter Insidern als die "heimliche Hauptstadt Polens". Millionen von Touristen besuchen die Stadt jedes Jahr. Wann genau der Ruf des Trompeters vom Turm der Marienkirche aus zum ersten Mal erklang, ist unklar. Historiker gehen vom 14. Jahrhundert aus.

Einer Legende zufolge gab es aber schon im Jahre 1241 einen Trompeter auf der Marienkirche. Damals soll der Wächter ein Trompetensignal geblasen haben, um vor den herannahenden Tataren zu warnen. Die Stadttore Krakaus konnten noch rechtzeitig geschlossen werden, der Trompeter selbst aber wurde von einem feindlichen Pfeil getroffen - und konnte deshalb die Melodie nicht zu Ende spielen. Deshalb endet bis heute die Trompetenmelodie an dieser Stelle abrupt.

Der Ruf ertönt nach alter Tradition in alle vier Himmelsrichtungen: Das erste Mal in Richtung Wawel, wo der König residierte, das zweite Mal in Richtung des Bürgermeisters, das dritte Mal zu den Gästen der Stadt und das vierte Mal zu den Marktleuten auf dem Marktplatz direkt unterhalb der Kirche beziehungsweise in Richtung des Chefs der Feuerwehr. Seit 1927 überträgt Polskie Radio jeden Mittag den Krakauer "Hejnał". Und die Trompeter sind mittlerweise zum Touristenmagneten geworten.

Wohl auch deshalb käme ein Verzicht auf die Tradition mit dem "Hejnalist" für die Stadt nicht in Frage. Um doch noch einen Nachfolger für die Position zu finden, soll es eine weitere Bewerbungsrunde geben. Die bisherigen Kandidaten, die nicht schon durch den Trompeten-Test gefallen waren, können bis dahin ihre Fitness verbessern und noch einmal teilnehmen.

Dieses Thema im Programm: MDR TV: Unterwegs bei Sachsens Nachbarn | 14. November 2020 | 18:15 Uhr

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