Russische Influencerin Sofia Makeewa posiert vor Ruinen in der von Russland anektierten ukrainischen Stadt Mariupol
Russische Influencer wie Sofia Makeewa (im Bild) posieren vor Ruinen in der besetzten ukrainischen Stadt Mariupol. Der Trend sorgt auch in Russland bei vielen für Kopfschütteln. (Bildquelle: https://m.vk.com/wall223871138_4450) Bildrechte: Sofia Makeewa/vk.com

Ukraine-Krieg Russland: Instagramer vor Kriegsruinen in Mariupol

28. Januar 2023, 10:57 Uhr

Blogger und Influencer aus Russland entdecken die besetzte ukrainische Stadt Mariupol als Kulisse für Instagram-Fotos. Sie erhoffen sich mehr Aufmerksamkeit und größere Reichweiten ihrer Social-Media-Kanäle. Stattdessen ernten sie jedoch heftige Kritik.

Fotomontage Mann vor Fahne
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Dass russische Rohheit und Tristesse als trendiges Geschäftsmodell funktioniert, hat die Moskauer Bloggerin Katja Snap längst eindrucksvoll bewiesen. Seit einigen Jahren führt die Russin ein eigenes Schmucklabel. In ihrem Onlineshop verkauft sie Armbänder, die an Stacheldraht erinnern, Ringe mit Aufdruck in Form eines Plattenbaus oder eines gesplitterten Lenin-Kopfes. Auf Instagram, wo ihr fast 130.000 Nutzer folgen, lädt die Influencerin düstere Fotos in Schwarz-Weiß vor alten Sowjetbauten, Industrieanlagen, den Ruinen von Tschernobyl oder zuletzt am Roten Platz vor einigen Militärfahrzeugen hoch.

Ukraine-Krieg: Ruinen von Moriupol (Ukraine, von Russland annektiert)
Ruinen im zerstörten Mariupol sind ein anziehendes Motiv für Fotografen. Bildrechte: IMAGO / ITAR-TASS

Diese Art von morbider Ästhetik ist seit Jahren ein Trend unter jungen Menschen in der ehemaligen Sowjetunion. Fotografen, Rapper, Designer und Influencer, die zwischen Plattenbauten und Industrieruinen nach Inspiration suchen, erfreuten sich seit Jahren wachsender Popularität. Auch Katja Snap bespielte diesen Trend geschickt. Doch das jüngste Foto-Set hat viele Anhänger der jungen Russin wütend gemacht. 

Kriegsruinen als Instagram-Hintergrund

In schwarzen Stiefeln, schwarzer Daunenjacke und schwarzem Schal, den die Russin über die Nase hochgezogen hat, posiert sie vor einem zerstörten Plattenbau. Einige Wände sind förmlich zerbröselt, Fenster ausgebrannt, ganze Stockwerke wurden von russischen Panzern weggeschossen. Entstanden sind die Bilder vor wenigen Wochen im russisch besetzten Mariupol. Für einen Tag habe sich Snap einer freiwilligen Helfer-Gruppe angeschlossen, um "die Stadt mit eigenen Augen zu sehen", schrieb sie auf ihrem Telegram-Profil vor der Fahrt nach Mariupol.

Die Russin ist keine Kriegsbefürworterin. Auf ihrem Profil äußert sie sich durchaus kritisch über die Zustände in Russland und den Krieg in der Ukraine. Dennoch löste sie mit dem Post nicht nur einen Shitstorm im Netz aus, sondern auch eine Diskussion darüber, wie weit Blogger und Influencer aus Russland auf der Jagd nach Aufmerksamkeit gehen dürfen.

Russische Influencer "pilgern" nach Mariupol

Dabei ist Snap nur eine von zahlreichen Influencerinnen und Influencern, die in den vergangenen Wochen und Monaten nach Mariupol gereist sind. Für ähnlich viel Aufmerksamkeit sorgte etwa die TikTok-Sängerin Walentina Korobejnikowa. Bekannt wurde sie mit kurzen Liedern und Clips, die sie an ungewöhnlichen und meist verlassenen Orten oder vor Ruinen aufzeichnet, während sie sich selbst mit der Ukulele begleitet. Vor einigen Tagen tauchten in ihrem Profil Fotos von Ruinen aus Mariupol auf, vor denen sie sich nachdenklich in Pose wirft. Allein auf TikTok hat Korobejnikowa mehr als 300.000 Follower.

Auch Influencer, die weniger bekannt sind, nutzen Mariupol als Kulisse, etwa die Bloggerin Sofia Makeewa, die gewöhnlich über ihren Alltag als mehrfache Mutter schreibt. Anfang Januar schrieb sie einen Post über eine Reise, die ebenfalls über einen Freiwilligen-Verband organisiert wurde. Dazu postete Makeewa auf ihrem Profil im russischen Netzwerk VK zehn Fotos von Mariupol, die weder das Verteilen von Hilfsgütern noch andere Hilfskationen zeigen, sondern Ruinen, die Makeewa als Hintergrund für ihre Bilder nutzt.

Ukraine-Krieg: Ruinen von Moriupol (Ukraine, von Russland annektiert)
Zerschossene Wohnhäuser von Mariupol Bildrechte: IMAGO / SNA

Tatsächlich ist der Trend nicht mehr allzu neu. Einer der ersten russischen Blogger, der nach Mariupol gereist ist, war der Fotograf Arsenij Kotow. Wenige Wochen, nachdem russische Truppen die Stadt besetzt hatten, fuhr er ins Kriegsgebiet und setzte die zerstörte Stadt auf seinen Bildern in Szene. Sein Instagram-Profil Northern Friend war weltweit bei Hunderttausenden Fans von sowjetischen Städtelandschaften beliebt. Doch im Krieg stellte sich Kotow auf die Seite der russischen Besatzer und besuchte die Stadt als "neues Territorium", wie er auf seinem Profil schrieb. Wenig später wurde Kotows Instagram-Profil wegen zahlreichen Beschwerden anderer Nutzer blockiert. Nun macht Kotow auf Telegram weiter.

Debatte in Russland: Sind Ruinen-Selfies geschmacklos?

Seit Kotow jedoch zahlreiche Nachahmer gefunden hat, sorgen solche Reisen auch in Russland für hitzige Diskussionen. Blogger und Journalist Lew Lewtschenko kritisierte in einem Text für das Lifestyle-Portal "The Village" solche Blog-Touren als geschmacklose Ästhetisierung von Krieg und Ruinen: "Als sei eine Reise nach Mariupol so etwas wie Extrem-Tourismus." Erschwerend komme hinzu, dass Blogger meist als Mitglieder humanitärer Missionen nach Mariupol fahren, ohne jedoch in erster Linie helfen zu wollen. "Stellt euch einfach ein solches Foto vor dem zerbombten Plattenbau in Dnipro vor, wo eine russische Rakete kürzlich mehrere Dutzend Menschen getötet hat", schrieb Lewtschenko in seinem Text, der tausendfach auf Twitter und Telegram geteilt wurde.

Katja Snap, die Schmuckbloggerin aus Russland, wollte sich der Kritik auf Instagram nicht mehr stellen und löschte ihre Posts wieder. Das Gleiche tat auch Sängerin Walentina Korobejnikowa. Auf Anfragen von Journalisten wollen beiden ebenfalls lieber nicht antworten.

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Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Von Mariupol ins Maritim | 14. Dezember 2022 | 22:00 Uhr

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