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Der bekannteste unter allen Schnäpsen in Serbien ist der Sliwowitz/Šljivovica – Pflaumenschnaps. Bildrechte: imago images / Panthermedia

SerbienSchnapsbrennen als Volkssport

02. Februar 2023, 23:07 Uhr

Den Pflaumenschnaps – Sliwowitz – darf man in Serbien für den Eigengebrauch zu Hause brennen. Verkaufen dürfen ihn jedoch nur dafür registrierte Firmen. Doch daran hält man sich in Serbien nicht. Selbstgebrannten Schnaps kann man an jeder Ecke bekommen. Und so findet man für einige Euro einen wahrhaftig himmlischen Geschmack auf Erden, meint unser Ostblogger Andrej Ivanji in Belgrad. Für den Staat ist das eine schlechte Nachricht.

Jeder in Serbien kennt jemanden, der Schnaps "für den eigenen Gebrauch" brennt. Wenn man im Herbst durch das Land fährt, sieht man auf nahezu jedem Bauernhof qualmende Schnapsbrennanlagen in jeder Größe. Schnapsbrennen hat in Serbien eine lange Tradition, die Geheimnisse des Handwerks werden von Generation zu Generation weitergegeben.

Schnapslizenz wird so gut wie nie kontrolliert

Für den Eigenbrauch gibt es gesetzlich keine Hindernisse. Will man das selbstgebrannte "Elixier" verkaufen, müsste man sich allerdings als Alkoholhersteller registrieren, alle Qualitätskontrollen über sich ergehen lassen und Abgaben an den Staat zahlen. In der Praxis werden die Zulassungen kaum kontrolliert, so dass man an allen Ecken und Enden selbstgebrannten Schnaps finden kann. Das hat in Serbien Tradition, gegen die auch gesetzliche Beschränkungen nicht ankommen.

Nicht nur Landwirte, sondern auch Städter, die etwa Land mit Obstplantagen geerbt haben, produzieren in ihrer Freizeit oft Schnaps und verdienen sich so etwas dazu. Auch ein guter Freund von mir versuchte sich im Schnapsbrennen. Er wollte Grappa machen – es war eine einzige Schufterei. Unerfahren wie er war, musste er drei Viertel des mühsam Erzeugten wegwerfen. Die wenigen Liter, die ihm gelungen sind, waren aber ein flüssiges Kunstwerk: erlesene Tropfen, die Glück und Hoffnung ins Leben brachten. Trotzdem hat er sich nie wieder darauf eingelassen.

Sliwowitz nunmehr immaterielles Kulturerbe

Ein Bild von 2018: Private Schnapsbrennerei auf einem Hof in Serbien. Bildrechte: imago/Aurora Photos

Serbien ist ein Land der Pflaumen. 2022 wurden mehr als 470.000 Tonnen davon geerntet. Mehr als 60 Prozent der Pflaumen werden zu Sliwowitz verarbeitet, er dominiert dementsprechend den Spirituosenmarkt.

Eine Auszeichung von allerhöchster Stelle gab es am 1. Dezember 2022: Der Sliwowitz, auf Serbisch Šljivovica, wurde von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärt. Damit würden Tradition, die "sozialen Praktiken", das Handwerk und das Wissen um die Herstellung und Verwendung des berühmten Pflaumenschnapses gewürdigt, teilte die Organisation mit. Und weiter: Obstbrände werden in der gesamten Balkanregion produziert, aber nirgends ist der aus Pflaumen hergestellte Schnaps so eng mit dem Leben und den Bräuchen der Menschen verbunden wie in Serbien. Geburten, Taufen, Hochzeiten oder Trauerfeiern sind in Serbien ohne Sliwowitz undenkbar.

Was die UNESCO festgestellt hat, kann ich nur bestätigen. Es gibt wohl keinen Haushalt in Serbien, der neben den üblichen Whiskys und Cognacs nicht auch einen "Selbstgebrannten" anzubieten hat. Meistens ist es ein aus Pflaumen hergestellter Sliwowitz.

Nur bei Pflaumenschnaps ist klar, was drin ist

Bei Festen immer auf den Tisch: Sliwowitz. Im Serbischen heißt Pflaume šljiva. Bildrechte: imago images/guruxox

Überhaupt geht man mit Sliwowitz in Serbien auf Nummer sicher. All die Quitten- oder Aprikosenschnäpse, die einem angedreht werden, sind meistens Obstler mit einem Aromazusatz, also aus Überresten verschiedener Obstsorten gebrannte Schnäpse. Sie sind nicht gesundheitsschädlich, aber eben nicht das, wofür sie ausgeben werden. Kurzum: Für Schnapskenner sind sie ungenießbar, Schnapssäufer sind nicht so wählerisch. Ein Quittenschnaps zum Beispiel, müsste vier bis fünf Mal so teuer sein wie ein Pflaumenschnaps, kostet aber in Kneipen genauso viel wie ein Sliwowitz. So viele Quitten, wie Quittenschnaps in Serbien verkauft wird, gibt es auf dem gesamten Balkan nicht.

Wenn Sliwowitz als Medizin verwendet wird

Zwei Männer auf einem Markt in Serbien, auch bei diesem Gespräch geht es um Obstschnaps. Bildrechte: imago images/Konrad Zelazowski

Um gesund zu bleiben, heißt es in einem serbischen Spruch, nehme man, wenn man frühmorgens aufsteht, einen Würfel Zucker oder einen kleinen Löffel slatko (Süßspeise aus gekochtem Obst, ähnlich wie Marmelade) und lasse ihn auf der Zunge zergehen. So locke man alle Bazillen im Organismus an. Dann nehme man ein Gläschen Sliwowitz, trinke es in einem Zug aus und töte so alle Bazillen. Danach könne man, gegen Krankheiten gewappnet und vor allem munter, zur Arbeit gehen.

Ob diese Sitte heutzutage immer noch verbreitet ist, das weiß ich nicht. Mein 93-jähriger Vater trinkt jedenfalls sein ganzes Leben lang mindestens ein Gläschen Schnaps am Tag. Und nein, er ist kein Alkoholiker, ich habe ihn im Leben nicht einmal angetrunken gesehen. Auch eine Großtante von mir trank täglich Sliwowitz. "Als Medizin", pflegte sie zu sagen. Um dann lachend zu ergänzen: "Quatsch, natürlich ist Schnaps kein Medikament, aber ich mag ihn." Sie ist fast 100 geworden.

Als ich ein Kind war, legte mir meine Mutter bei Halsschmerzen mit Schnaps befeuchtete Tücher um den Hals oder wickelte mir bei hohem Fieber die Füße mit Handtüchern ein, über die sie Schnaps goss. Es wirkte. Ich kann mich aber heute noch an den irritierenden Alkoholdunst erinnern.

Hunderte Millionen Euro entgehen der Steuerkasse

Immer einen Vorrat im Keller: selbstgebrannter Sliwowitz, abgefüllt in Glasballons. Bildrechte: imago/CTK Photo

Es ist, wie gesagt, illegal, als Privatperson selbstgebrannten Schnaps zu verkaufen. Dennoch: Schnapshersteller, ob nun staatlich angemeldet oder nicht, werben offen für ihre Produkte. In Restaurants oder Bars wird Hausschnaps angeboten, kontrolliert wird das meines Wissens und meiner Erfahrung nach, nicht. Selbstgebrannter Schnaps überflutet den Markt.

Deshalb protestierte unlängst der Verband der Schnapserzeuger Serbiens und appellierte dringend an den Staat, die Privat-Schnapsverkäufe zu bekämpfen. Der Verband warf einigen Staatsorganen sogar vor, den Schnapsschwarzmarkt zu befördern, indem sie von nicht registrierten Produzenten Schnaps beziehen würden. Selbstgebrannter werde in staatlichen touristischen Organisationen angeboten und auf hunderten von Volksmessen. Der serbische Haushalt verliere damit jährlich hunderte Millionen Euro an Steuereinnahmen.

Ein himmlischer Geschmack auf Erden für 8 Euro

Ich muss gestehen, auch ich befördere den serbischen Schnapsschwarzmarkt. Eine Flasche erlesenen Sliwowitz, nicht-industriell destilliert und mehrere Jahre in einem Eichenfass gelagert, kostet im Geschäft mindestens 20 Euro. Der Bruder eines Freundes produziert in der Schumadija, in Zentralserbien, dem Mekka der serbischen Pflaumenproduktion und des Sliwowitz, im Schnitt 800 Liter im Jahr. Bis vor kurzem verkaufte er ihn für 6 Euro, wegen der Inflation kostet die Flasche jetzt 8 Euro. Mein Vater behauptet, es sei der beste Sliwowitz überhaupt, ein Meisterwerk des Schnapsbrennens, ein himmlischer Geschmack auf Erden. Und bei niedrigem Blutdruck tue er auch Wunder.

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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 01. Dezember 2022 | 18:15 Uhr