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Streetart in Polen"Warschauer Banksys" provozieren mit Aufklebern

24. April 2019, 15:39 Uhr

Das Künstlerduo "axzstreetart" sorgt in der polnischen Hauptstadt für Ärger. Mit Aufklebern auf Verkehrsschildern wollen die Künstler die Betrachter eigentlich zum Schmunzeln bringen. Doch als sie Jesus und die Apostel auf ein Schild kleben, ist Schluss mit lustig.

von Olivia Kortas

Dieses Verkehrsschild erregt die Gemüter in Warschau. Bildrechte: MDR/Olivia Kortas

Im Warschauer Viertel Mokotow nehmen Jesus und die zwölf Apostel ihr letztes Abendmahl auf dem Querbalken eines Stoppschilds ein. Hinter der Aktion stecken zwei Streetart-Künstler, die nicht mit so einer großen medialen Aufmerksamkeit gerechnet hatten. So zog die größte Tageszeitung Polens, die Gazeta Wyborcza, einen Vergleich zu einem internationalen Künstler: "Der Banksy aus Mokotow könnte sein Talent bald in ganz Warschau zeigen."

Der "polnische Banksy"

"Als sie uns als den polnischen Banksy bezeichneten, da dachte ich mir: Wow", sagt Piotr Jakubowski * und schüttelt lachend den Kopf. Neben ihm sitzt Magdalena Rybak * und nickt. "Und plötzlich teilten auf Facebook sogar meine Freunde die Bilder unserer Verkehrsschilder", erzählt sie. Bis heute wüssten die nicht einmal, dass Jakubowski und Rybak nachts durch die Hauptstadt schleichen und Verkehrsschilder bekleben. Die beiden Mittzwanziger, die unter dem Künstlernamen "axzstreetart" agieren, wollen nicht mit ihren richtigen Namen genannt werden, weil sie Anzeigen und Geldstrafen befürchten. "Deshalb wählen wir auch Schilder in ruhigeren Vierteln aus. Im Zentrum sind zu viele Kameras", sagt Rybak. (* Name von der Redaktion geändert)

"Wir wollen das prüde Warschau bunter machen"

Die gebürtigen Warschauer kennen sich noch aus Schulzeiten. Beide arbeiten in kreativen Berufen, sind aber keine ausgebildeten Künstler. Es habe sie schon immer gestört, dass die Stadt kaum Raum für Streetart und Kreativität biete. "Wenn irgendwo ein Graffiti auftaucht, verschwindet es schnell wieder", erzählt Rybak. "Wir bekleben die Schilder, weil wir das prüde Warschau etwas bunter machen wollen." Für das Duo zeige die fehlende Kunst auf der Straße die Ich-bezogene Lebensweise in der Stadt. "Es fehlt ein Kollektivgefühl. Das sieht man auch an der Architektur", sagt Jakubowski. "Warschau ist ein riesiges Chaos. Wolkenkratzer stehen neben Häuserblöcken, weil jeder so baut, wie es für ihn gerade bequem ist, ohne auf das Stadtbild zu achten."

Ein Lächeln auf die Gesichter zaubern - das wollen die Streetart-Künstler. Bildrechte: MDR/Olivia Kortas

Kaum Raum für Streetart in Warschau

Polnische Streetart-Künstler sind weltweit gefragt. So zieren zum Beispiel Wandmalereien des Künstlerduos "Etam Cru" Häuser in Los Angeles und werden in Ausstellungen und Festivals in den USA und Europa gezeigt. In Warschau sieht man ihre Kunst jedoch nur selten. Zwar gibt es auch hier riesige Wandbilder, doch viele sind Werbekampagnen, die nach wenigen Wochen wieder übermalt oder nach den Vorstellungen der Stadtverwaltung entworfen werden. Die Künstler haben nur selten freie Hand. Es gibt kaum Plätze, an denen sie im öffentlichen Raum malen und sprayen können.

Am Anfang war alles nur ein Scherz

"Axzstreetart", so Rybak, wolle den Warschauern genau aus diesem Grund einen kleinen Schubser verpassen und sie zum Lachen bringen. Der erste Aufkleber entstand vor drei Jahren. Die Botschaft war damals noch etwas verschlüsselter, nicht jeder konnte sie verstehen. Auf einem Parkplatz-Schild unweit des Warschauer Theaters klebten die Künstler unter das Wort "Koniec" ("Ende") das Wort "Warlikowski". Krzysztof Warlikowski, ein polnischer Theaterregisseur, inszenierte damals das Stück "Ende" am "Nowy Teatr". Für Rybak und Jakubowski war der Aufkleber nur ein kleiner Scherz, sie planten keine weiteren Aktionen.

Das erste Werk der Streetart-Künstler. Es spielt auf ein Theaterstück des Regisseurs Krzysztof Warlikowski mit dem Namen "Koniec" ("Ende") an. Bildrechte: MDR/Olivia Kortas

Spanische Künstler als Inspirationsquelle

Dann zog Rybak für ein Auslandssemester nach Madrid, wo ihr die vielen Aufkleber an Schildern und Wänden auffielen. "In Spanien kaufen professionelle Künstler sogar Straßenschilder, bekleben sie zu Hause und tauschen sie dann aus", sagt sie. Kaum in Warschau zurück, kaufte sie Klebefolie und arbeitete zusammen mit Jakubowski an neuen Ideen. "Unsere Aufkleber sind bei Weitem nicht so professionell. Manchmal schätzen wir nur, wie groß wir sie ausdrucken müssen", berichtet Jakubowski. Auch halte die Folie nicht so gut: Auf einem der Abendmahl-Schilder fehlt bereits der Kopf von Jesus. "Uns geht es nicht um Perfektionismus, uns geht es darum, andere zu inspirieren", meint Rybak.

Christen fühlen sich angegriffen

Allerdings provozieren ihre Werke bislang vor allem hitzige Diskussionen. Vor Ostern kündigte die Stadtverwaltung Warschaus auf Facebook Einschränkungen im öffentlichen Nahverkehr an. Sie bebilderte den Beitrag mit einem Foto des Stoppschilds mit dem "letzten Abendmahl". Eine Nutzerin kommentierte darunter: "Das Publizieren dieser Grafik ist eine Schweinerei! Über Christen lacht ihr schon immer. Ich bin gespannt, ob ihr das gleiche mit Muslimen oder Juden machen würdet? Nein! Weil ihr sie respektiert - und warum? Nur, weil ihr euch vor ihnen fürchtet!" Der Kommentar erhielt viele positive Reaktionen. Später wechselte die Stadtverwaltung das Bild aus: Jetzt sieht man darauf das Symbolbild eines gelben Busses.

Warschauer sollen Ideen weiterspinnen

"Wir sind nicht politisch und es war niemals unsere Absicht, jemanden zu beleidigen", sagt Rybak. Sie glaubt, dass die meisten Warschauer nichts gegen ihre Kunst haben. "Ehrlich gesagt dachte ich, die Aufkleber würden nach einigen Tagen verschwinden. Aber keiner kratzt sie herunter", erzählt sie weiter. Statt der Diskussionen auf Facebook würde sie sich eine Antwort auf der Straße wünschen: "Wir hätten gar nichts dagegen, wenn andere unseren Stil übernehmen und ihre eigenen Ideen auf Verkehrsschilder kleben würden."

Nicht alle Aktionen des Künstler-Duos provozieren. Bildrechte: MDR/Olivia Kortas

Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV:MDR SACHSENSPIEGEL | 01.04.2016 | 19:00 Uhr