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CoronaTschechien im Lockdown: Zirkus am Telefon

20. November 2020, 19:19 Uhr

Corona hat die Kultur in Tschechien zum Stillstand gebracht. Um überhaupt über die Runden zu kommen, arbeiten viele Prager Theaterleute inzwischen in Callcentern. Das Ensemble des Kneipen-Zirkus La Putyka hat stattdessen entschieden, selbst ein eigenes Callcenter aufzumachen – irgendwo zwischen Domian, Dada und Doppelsalto. Zweimal die Woche kann jedermann das Ensemble im leer stehenden Theater anrufen und sich eine Portion Lebensmut im Corona-Grau abholen.

von Danko Handrick

Ein leerstehender grauer Theaterraum. An neun Tischen telefonieren Artisten des Zirkus "La Putyka".  Als es noch kein Corona in Tschechien gab, waren die Künstler bekannt für ihr Zirkus- Kabarett. Man hat Grenzen überwunden mit Akrobatik, modernen Tanz, Puppentheater und ganz eigener Poetik. 

Und auch jetzt will man wieder Grenzen überwinden. Die Grenzen des Corona Lockdowns. Menschen die sich in ihrer Quarantäne langweilen und Aufmunterung brauchen, können anrufen und sich ganz einfach ein Märchen vorlesen lassen oder vom Artisten verlangen, dass er sofort auf dem Tisch einen Purzelbaum macht. Ob er es auch wirklich tut, kann man im Livestream beobachten.

Im Zirkus-Callcenter gibt es direktes Feedback

"Wir wollen einfach den Kontakt zu unserem Publikum halten", sagt Jana Stárková, die das Callcentrum "Ustredna78" mit initiiert hat. "Wir dachten uns, die sitzen jetzt ja auch nur Zuhause, weil sie nicht raus dürfen - dann könnten sie uns ja auch anrufen. Wir wollen damit einen anderen Weg finden, als einfach Aufführungen online zu streamen." Die Theaterleute hoffen so, dass das Telefon Feedback gibt und so die Kommunikation wie im Theater ein wenig ersetzen kann.  

Jana Stárková ist Miterfinderin des "Zirkus-Callcenters". Es soll über den Corona-Lockdown hinweg helfen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die Telefone stehen nicht still, wenn sie zweimal in der Woche freigeschaltet sind. Es wird getanzt, gelacht und einer der Künstler gibt einem Anrufenden auch online Jonglierunterricht. Eine Anruferin war von der Stimme eines Künstlers so angetan, dass sich die beiden gleich zu einem Date verabredeten, erzählt Jana Stárková: "Das war schon kurios. Und das Date hat sogar stattgefunden."

Telefon-Zirkus hilft auch Theaterleuten

Ein bisschen Telefonseelsorge, ein bisschen Fernsehgymnastik. Und wer sich nicht an den Hörer traut, kann alles im Livestream mitverfolgen. Hana Vagnerová arbeitet hier als Gastkünstlerin: "Ich habe am Anfang gedacht, wir sind dazu da, um den Anrufern den Tag zu verschönern. Aber das funktioniert auch in die andere Richtung – man fühlt sich viel mehr verbunden mit den anderen – und das in dieser Quarantäne, wo wir alle vereinsamt und isoliert sind. Das ist einfach phänomenal."

Wenn die Anrufer das wollen, tanzt Hanna Vagnerová auch gerne auf den Tischen im Theater. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Seit Wochen sind in Tschechien Schulen, fast alle Geschäfte und Restaurants geschlossen. Vielleicht dürfen die Schüler der ersten beiden Klassenstufen nächste Woche wieder in die Schule. So langsam macht sich der Lockdown auch in den Zahlen der Neuinfektionen bemerkbar.

Leidtragende der Corona-Maßnahmen sind auch in Tschechien vor allem die Künstler. Pro Tag bekommen sie eine Entschädigung von 20 Euro. Zu wenig fürs Überleben, finden auch die Zirkusleute.

Die Telefonseelsorge macht Spaß und doch verbindet eine Hoffnung Künstler und Anrufende: Dass dieser Zirkus doch irgendwann schnell vorbei geht.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL FERNSEHEN | 20. November 2020 | 17:45 Uhr

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