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Wo sich früher Menschenmassen durchschoben, sind coronabedingt nur noch wenige Touristen unterwegs. Doch Český Krumlov möchte nicht unbedingt zu den alten Zuständen zurückkehren. Bildrechte: MDR/Olivia Kortas

GrenzöffnungenTourismus in Tschechien: Klasse statt Masse

05. Juni 2020, 11:29 Uhr

Schon ab Freitagmittag sollen Touristen wieder nach Tschechien einreisen dürfen. Doch manch ein Hotspot im Land möchte nicht so weitermachen wie vor der Coronakrise. Das Städtchen Český Krumlov etwa zog jährlich zwei Millionen Besucher an. Oft blieben sie aber nur wenige Stunden. Das soll sich nun ändern. Krumlov möchte mehr touristische Klasse statt Masse.

von Olivia Kortas

Ganz Český Krumlov scheint auf etwas zu warten: Ladenbesitzer stehen vor ihren Geschäften und starren ins Handy oder einfach ins Leere. Einheimische schieben ihre Kinderwagen durch die Stadt und blicken sich verwundert um. Alles ist ruhig und leise. Normalerweise drängen sich um diese Jahreszeit tausende Touristen durch die mittelalterlichen Gassen der Stadt.

Wegen der Corona-Pandemie können die Landesgrenzen im Moment allerdings nur in Ausnahmefällen überquert werden. Zwar ändert sich das für Bürger aus Deutschland, Österreich und Ungarn nun, aber zur Situation, wie sie vor der Corona-Krise herrschte, wollen Kulturschaffende und Politiker in Český Krumlov nicht zurückkehren. Sie wollen weg vom Massentourismus.

Betreiber eines Souvenirgeschäfts in Český Krumlov langweilen sich vor ihrem Laden. Wegen der Corona-Krise kommen aktuell nur vereinzelte Besucher in die Stadt. Bildrechte: MDR/Olivia Kortas

Hana Jirmusová schreitet durch die kühlen Gewölbe des Egon Schiele Art Centrums, dessen Direktorin sie ist, und breitet ihre Arme aus: "Wer sonst hat solche Ausstellungsräume?", fragt sie stolz. Schieles Mutter stammt aus Krumlov, der Künstler besuchte die Stadt häufig und malte sie gerne. "Viele unserer Besucher hatten bisher gar keine Zeit für diese kleine Information, sie wollten nur schnell durchs Museum laufen. Sie kamen 15 Minuten vor Museumsschluss und gingen zehn Minuten später wieder", sagt Jirmusová verärgert.

"Wie heißt diese Stadt eigentlich?"

Krumlov gilt in Tschechien mittlerweile als Freilichtmuseum. Die gut erhaltene Altstadt zieht jährlich zwei Millionen Touristen an. Nur rund 200 der 13.000 Einwohner leben noch im Stadtkern, der Rest meidet die hübschen Gassen voller Schmuck- und Taschenläden lieber. "Seit fünf Jahren kommen vor allem asiatische Touristen, seither sprechen wir vom Massentourismus", sagt Martin Hák, der als stellvertretender Bürgermeister für den Tourismus verantwortlich ist. "Sie kommen mit Bussen und bleiben nur wenige Stunden lang, dann reisen sie ans nächste Ziel."

Vor der Corona-Krise war Český Krumlov besonders bei chinesischen Reisegruppen beliebt. Oft blieben diese jedoch nur wenige Stunden in der Stadt. Bildrechte: Stadt Krumlov/Libor Svacek

Jirmusová hoffte damals, auch die neuen Touristen ansprechen zu können. "Wir haben Beschriftungen in mehreren Sprachen hinzugefügt", erzählt sie. "Aber statt nach zusätzlichen Informationen fragten die Leute oft: Wie heißt diese Stadt hier eigentlich? Die Leute wussten nicht einmal, wo sie sind!" Jirmusová hofft auf einen Neustart nach der Coronakrise – und gewissermaßen auf eine Rückkehr in die 1990er-Jahre. Damals seien vor allem geschichtsinteressierte Deutsche in die Stadt gekommen. "Heute lebt hinter der Grenze eine Generation, die uns nicht kennt", sagt sie. "Das ist eine große Chance für Krumlov."

Kein Fastfood-Tourismus mehr

In Krumlov soll es nie mehr so sein wie in den vergangenen Jahren, sagt auch Martin Hák. Der Tourismus soll regionaler und nachhaltiger werden. "Wir wollen die Tschechen selbst und die Nachbarn, also die Deutschen, die Österreicher, die Polen, die Slowaken und die Ungarn ansprechen", führt er aus. "Sie kennen unsere Geschichte und können sich mit Krumlov identifizieren." Im vergangenen Jahr führte die Stadt Gebühren für Touristenbusse ein, damit zumindest jene wegblieben, denen Krumlov nicht einmal wenige Euro wert war. "Jetzt hilft uns Corona ein bisschen dabei, den Tourismus umzustrukturieren", sagt Hák.

Als stellvertretender Bürgermeister ist Martin Hák auch für den Tourismus in Český Krumlov verantwortlich. Er möchte den Tourismus in seiner Stadt regionaler und nachhaltiger gestalten. Bildrechte: Stadt Krumlov/Tomáš Nosil

Auch mit den anstehenden Öffnungen würden die "schnellen Touristengruppen" erstmal wegbleiben. Und ein weniger volles Krumlov sei ein attraktiveres Ziel für Europäer, so Hák. "Wir wollen das nutzen und die Atmosphäre in der Stadt verändern. Wir haben ja genug Kultur, mit der wir spielen können und wenn uns die Touristen zwei Tage und nicht nur wenige Stunden geben, können wir ihnen etwas bieten." Statt wenigen großen will Hák viele kleine, familiäre Veranstaltungen organisieren. "Ich plane Musikfestivals, Barockfestivals, Straßenfeste und Kinderbetreuung, damit die Eltern sich auch alleine umsehen können", sagt er.

Gastgewerbe ist besorgt

Doch nicht alle sehen einer solchen Zukunft unbekümmert entgegen. Die Hälfte der Leute in Krumlov lebt vom Tourismus, so wie Barbora Pechová. Seit 25 Jahren leitet die 41-Jährige das "Hostel 99", vor 17 Jahren eröffnete sie ein Restaurant. "Klar, zuletzt kamen viele Touristen, die sich spät nachts den Schlüssel für ihr Zimmer holten und wieder abreisten, bevor die Rezeption öffnete", erzählt sie. "Aber es ärgert mich, wenn sich alle über "die Asiaten" beschweren."  Ihrer Meinung nach hätten sich die Restaurant- und Hotelbetreiber an den Massentourismus angepasst und ziehen ihn deshalb auch an. "Auch wir brauchen die vielen Touristen, um durch den Winter zu kommen", sagt Pechová.

Barbora Pechová vor ihrem "Hostel 99" in Český Krumlov. Bildrechte: Olivia Kortas/MDR

Sollte der Massentourismus tatsächlich wegbleiben, dürfte es Pechová dennoch nicht so hart treffen wie andere Gastgewerbetreibende. Auf ihrer Terrasse sitzen vereinzelte Gäste und trinken Bier. Es sind Einwohner von Krumlov. Andere Restaurants bleiben an diesem Nachmittag dagegen leer. "Ich wollte schon immer einen Ort schaffen, an dem sich Touristen und Einheimische wohl fühlen", sagt sie. "Bei uns gibt es eben nicht nur typisch tschechische Speisen zu kleinen Preisen, die sich bei den schnellen Reisegruppen besser verkaufen." Pechovás Ansatz könnte zum Vorbild für das neue Krumlov werden. "Wenn sich Touristen und Leute aus Krumlov in der ganzen Stadt vermischen, wird es auch wieder mehr Spaß machen", sagt sie.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 02. Juni 2020 | 08:27 Uhr

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