TschechienWie der Rentenstreit von Schlagerstar Vondráčková bei den Tschechen ankommt
Die wohl berühmteste Schlagersängerin Tschechiens, Helena Vondráčková, hat gerichtlich eine höhere Rente erstritten. Ihr Fall hat die Debatte über Privilegien früherer Prominenter des kommunistischen Regimes belebt.
Sie ist eine Ikone und gehört seit Jahrzehnten zum tschechischen Schlager: Helena Vondráčková. Sie beeindruckt selbst die junge Generation mit ihren Tanzeinlagen und ihrer Kondition. Und das nicht nur in ihrem Land, auch über die Landesgrenze war sie bereits vor der Wende bekannt. Anlässlich ihres 75-jähriges Geburtstages gibt sie Mitte Juni ein Konzert in Prag. Doch ob sich die Ränge füllen werden?
Denn unlängst sorgte Vondráčková mit einem Gerichtsprozess für Schlagzeilen, der bei vielen Tschechen nicht gut ankam: Sie klagte gegen den Staat, um eine höhere Rente zu erwirken. Hintergrund: Viele ihrer Auftritte vor der Wende wurden zur Rentenberechnung nicht anerkannt, weil Belege aus der Zeit des Sozialismus fehlten. Sie bekam schließlich Recht und ihre Rente soll von den ursprünglichen 8.000 Kronen (340 Euro) auf 13.000 Kronen (550 Euro) erhöht werden. Das liegt noch deutlich unter der tschechischen Durchschnittsrente von 19.438 Kronen (825 Euro), doch Vondráčková ist nicht auf dieses Geld angewiesen. Sie hat sich ihr Vermögen abseits des staatlichen Rentensystems aufgebaut und tritt bis heute auf.
"Mir ging es nicht ums Geld"
Warum klagt Vondráčková dann vor Gericht, obwohl sie finanziell nicht auf die Rente angewiesen ist? Auf ihrem Instagram-Account ließ sie dazu verkünden: "Mir ging es nicht um das Geld, sondern ums Prinzip." Es gehe ihr um elementare Gerechtigkeit. Vondráčková wollte allerdings ihren öffentlichkeitswirksamen Gang vor Gericht auch als eine Art Hilferuf verstanden wissen. Ganze zwei Jahre soll das Prozedere gedauert haben, bis ihr Fall überhaupt an die Reihe kam. Laut Vondráčkovás Ehemann Martin Michal, der gleichzeitig auch ihr Manager und wichtigster Berater ist, kein Einzelfall in Tschechien.
Die tschechische Öffentlichkeit beschäftigt jedoch eine andere Frage viel drängender: Sollten Menschen, die zu den Stützen des sozialistischen Regimes gehört haben und privilegiert waren, überhaupt staatliche Unterstützung in Form einer Rente bekommen? In den Sozialen Medien stritten die Tschechen heftig über die Causa Vondráčková.
Vondráčková soll nicht gierig sein? Sie ist schon lange peinlich mit ihrem ständigen Prozessieren. Der Satz, sie hätte ihr ganzes Leben lang geschuftet, hat mich ziemlich amüsiert. Schließlich war der Sozialismus für sie ein Paradies, im Gegensatz zu Frau Kubišová, die weiß, was es heißt, zu arbeiten und dem Regime unbequem zu sein.
Twitter-Userin Táňa Tatíčková
Wer regimetreu war, durfte ins Fernsehen
Helena Vondráčková hat ihre Popularität auch ihrer Angepasstheit ans Regime zu verdanken. Sie gehörte in den 1960er-Jahren zur damals aufkeimenden Reformbewegung, die später als Prager Frühling bekannt wurde. Zusammen mit Marta Kubišová und Václav Neckář bildeten sie das Trio Golden Kids, das die Aufbruchstimmung rund um den Reformkommunisten Alexander Dubček verkörperte. Nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes vom 21. August 1968 und dem Ende der Reformen wurde die Gruppe aufgelöst. Während sich Kubišová gegen die neuen Machthaber wandte, Berufsverbot erhielt und sich später der Opposition anschloss, passte sich Vondráčková den neuen Gegebenheiten an und konnte ihre Karriere fortsetzen.
Ondřej Konrád, Musikredakteur des öffentlich-rechtlichen Tschechischen Rundfunks, sagt, Vondráčková habe zu den privilegierten Künstlern in der Vor-Wende-Zeit gehört. Schon deshalb, weil sie ohne weiteres Zutritt zum Fernsehen hatte. Das war in der Tschechoslowakei in den 1980er-Jahren eindeutig jenes Medium, welches über Erfolg oder Misserfolg entschied und somit für die Stars unabdingbar war. Das zeigte sich kurz vor dem Ende der sozialistischen Tschechoslowakei, als einige Künstler vorsichtig gegen das Regime Stellung bezogen. Damals, im Frühjahr 1989, kursierte im ganzen Land die von der Charta 77 ins Leben gerufene Petition "Několik vět" ("Ein paar Sätze"), in der unter anderem die Freilassung sämtlicher politischer Gefangener und das Recht auf Versammlungsfreiheit gefordert wurde. Schauspieler und Sänger, die den Text unterzeichnet hatten, wurden vom Staatsfernsehen verbannt und bekamen auch ein Auftrittsverbot in Prag. Das Ausland war dann für sie ebenfalls tabu. Vondráčková gehörte nicht zu den Unterzeichnern des Aufrufs.
Karel Gott als Ausnahme
Nur wenige Stars aus der kommunistischen Zeit konnten nach der Wende an ihre früheren Erfolge anknüpfen. Die einzige Ausnahme war laut Musikredaktuer Konrád Karel Gott. "Gott war in einer sehr starken Position, ihn hatten die Leute eigentlich immer gern. Er selbst hat ja schon während der Samtenen Revolution eine Art "Absolution" bekommen, als er zusammen mit dem verbotenen und früher im Exil lebenden Liedermacher Karel Kryl auf einer der größten Kundgebungen die Nationalhymne sang. Er stand über allen Kategorien, er war ein Superstar", betont Konrád.
Und auch Vondráčková gelang es mit der Zeit, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen und der verstärkten in- und ausländischen Konkurrenz zu trotzen. Auch danach konnte sie sich laut Ondřej Konrád nicht über fehlende Einkünfte beklagen: "Vondráčková hat nach 1989 extrem gut verdient und zwar über die Jahre hinweg. Die Marktwirtschaft machte es möglich, dass man sich die Künstler – wenn man das Geld dafür hatte – einfach für ein Privatkonzert zum eigenen Geburtstag und dergleichen mieten konnte. Das war natürlich auch gutes Geld, oft direkt auf die Hand ausbezahlt."
Ehemaligen Offizieren und Funktionären wird die Rente gekürzt
2022 hat das tschechische Parlament ein Gesetz verabschiedet, welches ehemaligen prominenten Vertretern des kommunistischen Regimes ihre Renten kürzen soll. Es geht jedoch eher um Symbolik, da von dieser Norm maximal 300 Personen betroffen sein könnten. Auch der Kreis der Funktionsträger ist überschaubar: Offiziere der kommunistischen Armee, der Polizei, der früheren Grenztruppen oder Sekretäre der kommunistischen Partei auf allen Ebenen. Ehemalige Stars des kommunistischen Showgeschäfts gehören jedenfalls nicht zu diesem Kreis. Helena Vondráčková bleibt also ihre hart erstrittene Rente sicher.
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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Riverboat | 24. Februar 2023 | 22:00 Uhr