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TourismusUkraine: Araber statt Sex-Touristen

03. September 2021, 18:24 Uhr

Die Ukraine erlebt gerade einen Ansturm reicher Touristen aus Saudi-Arabien. Frauen in Hijabs in Kiew, Lwiw und den Karpaten – für die Ukrainer bislang ein ungewohntes Bild. Die meisten Zimmer in den besten ukrainischen Hotels sind gerade von großen saudischen Familien besetzt. Sie kommen, weil die Corona-Auflagen in der Ukraine weniger streng als in vielen EU-Ländern sind. Außerdem brauchen sie seit kurzem kein Visum mehr für die Einreise. Für die ukrainische Tourismus-Branche ist das ein Glücksfall und eine Herausforderung zugleich.

von Denis Trubetskoy, Kiew

Frauen im Hijab waren bislang ein ungewohntes Bild in der Ukraine. Das ändert sich gerade: Visa-Freiheit und gemäßigte Corona-Auflagen haben die Ukraine zu einem Mekka für saudische Touristen gemacht. Bildrechte: Pressestelle Ressort Bukowel / Pawlo Sarowezkyj

"Dieser Sommer ist für uns echt anders als sonst", erzählt Mychajlo, ein altgedienter Taxifahrer, der am Kiewer Flughafen Boryspil arbeitet. "Wir waren nicht darauf eingestellt, dass auf einmal massenhaft große Familien aus Saudi-Arabien zu uns kommen, die unbedingt Luxus-Minivans brauchen und meist kaum Englisch sprechen."

Ein Saudi gibt rund 3.000 Euro aus

In diesem Sommer kamen nach ersten Schätzungen rund 30.000 Touristen aus der Region - die Zahl hat sich nach Angaben der ukrainischen Grenzbehörde mindestens verzehnfacht. Aus Deutschland kommen im Sommer immer etwa 20.000 Touristen. Sichtbar sind die Saudis auf jeden Fall: an zentralen Orten Kiews ebenso wie in Bukowel in den Ostkarpaten. Dort sind nahezu 50 Prozent der Sommer-Touristen Araber.

Arabische Touristen kommen mit der ganzen Familie und bleiben oft mehrere Wochen im Land. Neben den Metropolen Kiew und Lwiw ist das Skigebiet Bukowel bei ihnen beliebt. Bildrechte: Pressestelle Ressort Bukowel / Pawlo Sarowezkyj

"Der große Unterschied ist, dass Europäer oder zum Beispiel Türken meist nur einen Kurzurlaub machen. Das sind oft junge Leute, die sich für die Kiewer Techno-Szene oder für Themen wie Tschernobyl interessieren. Und dann gibt es auch welche, deren eigentliches Ziel Sextourismus ist", berichtet Ruslan, der bei einem Kiewer Reiseveranstalter arbeitet.

"Bei den saudischen Familien würde es mich nicht wundern, wenn sie bis zu drei Wochen bleiben. Sie wollen einen entspannten Familienurlaub inklusive Shopping und fokussieren sich kaum auf historische und kulturelle Sehenswürdigkeiten." Dafür wählen sie neben den Großstädten Kiew und Lwiw eben die Karpaten und vor allem Bukowel. Nach Schätzungen der Staatlichen Agentur für Tourismusentwicklung besetzen die Saudis bis zu 50 Prozent der Zimmer in den Hotels – viele Hotels in Kiew seien dank diesen Touristen im Moment sogar besser ausgelastet als vor der Pandemie im Sommer 2019. Außerdem schätzt man, dass ein saudischer Tourist während seines Aufenthalts umgerechnet 3.000 Euro im Land ausgibt.

Mittlerweile kein ungewohntes Bild mehr in der Ukraine: Eine arabische Frau mit Hijab Bildrechte: Pressestelle Ressort Bukowel / Pawlo Sarowezkyj

Gemäßigte Corona-Auflagen machen Ukraine attraktiv

Doch woher kommt dieser plötzliche Boom? Eine Rolle spielt die Aufhebung der Visapflicht im vergangenen Jahr. Bislang war die Erteilung von ukrainischen Visa mit extrem viel Bürokratie verbunden. Hinzu kommt das Luftverkehrsabkommen, das im Januar unterzeichnet wurde - inzwischen gibt es jede Woche Dutzende Direktflüge von Riad nach Kiew und saudische Reiseveranstalter werben massiv für den Ukraine-Urlaub. Ein weiterer Grund sind die strengeren Corona-Auflagen in den EU-Staaten und in Aserbaidschan sowie in der Türkei. Die Saudis mögen das gemäßigte Klima in der Ukraine, berichten Reiseveranstalter. Außerdem gefällt ihnen, dass selbst die Großstädte Kiew und Lwiw vergleichsweise grün sind. Und gerade in Bukowel stehen Natur und Bergluft an erster Stelle.

Noch ist die Hotelbranche dabei, sich auf saudische Gäste einzustellen - vielerorts fehlen noch Halal-Gerichte und islamische Gebetsräume. Bildrechte: Pressestelle Ressort Bukowel / Pawlo Sarowezkyj

Herausforderung für ukrainische Tourismus-Branche

Für die ukrainische Tourismus-Branche ist es allerdings eine Herausforderung, sich von heute auf morgen auf die Bedürfnisse der neuen Gäste einzustellen. So gibt es selbst in Kiew nicht mal zehn Arabisch sprechende Guides. Und während das Halal-Menü in Restaurants der Hauptstadt kein Problem ist, ist es in Lwiw und den Karpaten alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Zudem vermissen die Saudis etwa in den Hotels Gebetsräume, wobei viele Einrichtungen inzwischen zumindest die Gebetsteppiche zur Verfügung stellen.

Schaf im Hotelzimmer geschächtet?

Doch die Lage ändert sich schnell. In Bukowel trifft man immer häufiger auf Anzeigen und Speisekarten auf Arabisch. Während des islamischen Opferfestes, das in diesem Jahr Ende Juli gefeiert wurde, boomte die Werbung für den Verkauf von Opfer-Schafen. Seitdem kursiert das Gerücht von einem Schaf, das nach allen Regeln des islamischen Rituals direkt im Zimmer eines Hotels in Bukowel geopfert wurde.

Weil die Saudis kaum Alkohol trinken, dafür aber große Shisha-Fans sind, stehen die Wasserpfeifen inzwischen in den Kneipen und Kaffeehäusern in den Karpaten fast überall zur Verfügung - was wiederum nicht allen ukrainischen Touristen gefällt. "Doch insgesamt gibt es kaum Konflikte. Die Saudis sind ja keine Party-Touristen und kommunizieren ohnehin wenig mit den Einheimischen", sagt Reiseveranstalter Ruslan. "Daher sind die Ukrainer meistens nur verwundert, dass plötzlich so viele Saudis in ihrem Land unterwegs sind, mehr aber auch nicht."

In der Ukraine geht man davon aus, dass viele Araber auch im nächsten Sommer wiederkommen werden. Bildrechte: Pressestelle Ressort Bukowel / Pawlo Sarowezkyj

Hält der Ansturm der Saudis an?

Die Aussichten sind gut, dass viele Saudis auch im Sommer 2022 wieder in die Ukraine kommen werden. Die Tourismus-Branche bereitet sich jedenfalls schon jetzt darauf vor. Für sie waren die Besucher aus Saudi-Arabien in diesem Sommer trotz aller nötigen Umstellung ein absoluter Glücksfall und für manchen Betrieb sogar die Rettung in der Corona-Pandemie.