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Für ein gutes Selfie müssen Touristen in Český Krumlov inzwischen Schlange stehen. Rund zwei Millionen Gäste kommen jährlich in die UNESCO-Welterbe-Stadt mit nur 13.000 Einwohnern. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die Schattenseiten des WelterbetitelsWird Český Krumlov ein Disneyland für Touristen?

06. Juli 2019, 05:00 Uhr

Das Erzgebirge steht neu als "Montanregion" auf der UNESCO-Welterbeliste. Die Hoffnungen in der Region sind groß, schließlich bringt das UNESCO-Label nicht nur Ehre, sondern auch klingelnde Kassen im Gastgewerbe. Doch es gibt auch Schattenseiten: Manche Welterbestätten werden von den Touristen regelrecht zetrampelt - so zum Beispiel Český Krumlov, das langsam zu einem riesigen "Disneyland" wird.

von Cezary Bazydło

Lange Zeit führte Český Krumlov ein trostloses Dasein im Schatten des Eisernen Vorhangs. Die Grenze zu Bayern und Österreich war nur 20 bis 30 Kilometer Luftlinie entfernt. Im Sozialismus war hier im wahrsten Sinne des Wortes das Ende der Welt. Das pittoreske Städtchen verfiel, die bunten Fassaden wurden immer grauer. Erst eine Generalsanierung nach der "Samtenen Revolution" gab der Perle des Böhmerwalds ihren alten Glanz zurück - und half, 1992 den UNESCO-Welterbetitel zu bekommen.

Rund zwei Millionen Besucher jährlich

Die Freude war damals groß. Doch 27 Jahre später wird die Stadt von den Touristen regelrecht zertrampelt. Geschätzte zwei Millionen Besucher kommen jährlich. Damit ist Český Krumlov einer der meistbesuchten Orte der Tschechischen Republik. Der Massentourismus hat das echte Leben aus der Altstadt längst verdrängt und sie zu einer riesigen "Sonderwirtschaftszone" gemacht, die einseitig auf die selfiehungrigen Besuchermassen eingestellt ist.

Es ist eine Stadt voller Häuser, in denen niemand lebt, voller Geschäfte, die niemand braucht, und voller Menschen, die einander aus dem Weg gehen, statt sich zu begegnen.

Kateřina Šedá, Künstlerin

Massentourismus verdrängt echtes Leben

Das belegt ein Blick in die Einwohnerstatistik. Insgesamt sind in Český Krumlov rund 13.000 Einwohner gemeldet - im historischen Stadtzentrum sind es allerdings nur noch etwa 200 Krumauer mit festem Wohnsitz. Tendenz sinkend. Kein Wunder, denn wer will schon vor seinem Wohnzimmerfenster Tausende von Tagestouristen vorbeilaufen sehen, die zu jeder Tag- und Nachtzeit für Lärm und Trubel sorgen?

Einheimische in Český Krumlov klagen über zu viele Geschäfte mit "geschmacklosen Souvenirs", die mit der Stadt oft nichts zu tun haben. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Und selbst wenn man das wollte, wäre man im Alltag ziemlich aufgeschmissen. Denn in der malerischen Altstadt von Český Krumlov fehlt inzwischen fast alles, was man als Einheimischer zum Leben braucht: Schulen, Friseure, Händler. Zahlen zeigen, wie weit die "Touristifizierung" bereits vorangeschritten ist. Ein einziges Lebensmittelgeschäft hat sich in der Altstadt von Český Krumlov gehalten, dafür gibt es rund 30 Geschäfte mit Goldschmuck, rund 40 Restaurants und mehr als 60 Hotels.

Kunstprojekt schafft symbolisch Abhilfe

Inzwischen steigt das Bewusstsein dafür, dass die Tourismus-Monokultur die Authentizität der Stadt gefährdet. Die Künstlerin Kateřina Šedá nennt Český Krumlov eine "gestohlene Stadt" - eine Stadt, die den Einheimischen weggenommen wurde. Um wenigstens symbolisch Abhilfe zu schaffen, holte sie vergangenes Jahr rund ein Dutzend Familien aus ganz Tschechien nach Český Krumlov, die einige Wochen lang versuchen sollten, im historischen Stadtzentrum ein normales Leben zu führen.

Im Rahmen des Kunstprojekts UNES-CO wurden Statisten dafür bezahlt, dass sie sich unter Touristen mischen und normale Alltagstätigkeiten wie die Müllabfuhr vortäuschen. Bildrechte: UNES-CO

Außerdem wurden Statisten dafür bezahlt, dass sie sich unter Touristen mischen und einen ganz gewöhnlichen Alltag vortäuschen - Kinder sollten zum Beispiel auf der Straße Ball spielen oder Fahrrad fahren, Hausfrauen Wäsche zum Trocknen aufhängen, Blumentöpfe gießen und Teppiche ausklopfen. Diese symbolische Wieder-Inbesitznahme wurde gefilmt und live zur Kunstbiennale in Venedig übertragen.

Mit ihrem Kunstprojekt wollte Šedá aber nicht nur auf die Situation in Český Krumlov, sondern auch in vielen anderen Städten hinweisen, die den Welterbetitel tragen. "Ich bin überzeugt, dass das den Stadtverwaltungen und der UNESCO die Augen öffnen wird und zu einer symbolträchtigen Geste für alle diejenigen wird, die wegen der Touristenmassen in ihrer Stadt nicht mehr in der Lage sind, mittags schnell mal zur Post zu gehen", sagte die Künstlerin.

Müssen Touristen bald Eintritt zahlen?

Im Sommer reißen die Touristenströme in Český Krumlov nicht ab. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Noch wird der Zutritt zur Altstadt von Český Krumlov in keinster Weise eingeschränkt. Nur bei außerordentlichen Anlässen, etwa dem im Juni abgehaltenen "Fest der fünfblättrigen Rose", wird Eintritt erhoben. Wobei die Gäste im Gegenzug eine Reihe von Attraktionen wie kostümierte Umzüge und Ritterturniere geboten bekommen. Allerdings zog die Stadt bereits in ihrem Tourismuskonzept von 2017 in Erwägung, generelle Eintrittsgebühren in Zukunft zu erheben.

In der Tschechischen Republik wäre das eine Premiere. In Europa gibt es aber bereits einige andere Städte, die den Massentourismus eindämmen wollen. Venedig will ab September zwischen drei und zehn Euro Eintritt kassieren. Barcelona genehmigt keine Hotelneubauten mehr. Wer Wohnungen an Touristen vermieten will, braucht außerdem eine Lizenz - es gibt sogar eine "Geheimpolizei", die das überwacht. In Dubrovnik dürfen sich maximal 8.000 Gäste gleichzeitig in der Altstadt aufhalten. Man denkt sogar darüber nach, eine Zone "nur für Einheimische" einzurichten – mit Cafés, Arztpraxen und echtem Leben, das in der Altstadt von Dubrovnik inzwischen genauso fehlt wie in Český Krumlov.

UNESCO-WelterbelisteDie Unesco-Welterbeliste gibt es seit 1978. Derzeit führt sie 1.092 Stätten in 167 Ländern. Deutschland zählt aktuell 44 Welterbestätten. 2018 kamen weltweit 19 weitere hinzu, darunter zwei deutsche Bewerber mit dem Naumburger Dom und dem Archäologischen Grenzkomplex Haithabu und Danewerk. In Sachsen ist bislang nur der Muskauer Park Welterbe.

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | Der lange Weg zur Welterbebewerbung | 01. Juli 2019 | 06:15 Uhr