Kinder zünden Kerzen an
Auch mitten im russischen Angriffskrieg haben Pfadfinder das Friedenslicht aus Bethlehem in die Ukraine gebracht. Im St. Michaelskloster in Kyjiw wurde es Mitte Dezember in Empfang genommen und von dort aus weiter gegeben. Bildrechte: IMAGO/NurPhoto

Russland-Ukraine-Krieg Weihnachtswunder in der Ukraine

24. Dezember 2022, 13:30 Uhr

Wohl jede Mutter in der Ukraine denkt zu Weihnachten an einen geschmückten Tannenbaum und an ein Geschenk für ihr Kind. Um die Weihnachtsstimmung mitten im Krieg einzufangen, war die Reporterin Olena Ryeznikova in Kyjiw für uns unterwegs.

Olena Ryeznikova
Olena Ryeznikova Bildrechte: Olena Ryeznikova/MDR

Als ich ohne Handyempfang durch Kyjiw* laufe und auf der Suche nach einem Café mit einem Generator bin, denke ich nicht an Weihnachten. Seit vielen Wochen sind die Stromausfälle und der Zusammenbruch des Mobilfunknetzes zum normalen Alltag geworden. 20 Stunden ohne Strom und Heizung tagtäglich. In einigen Regionen im Osten des Landes dauern die Ausfälle sogar mehrere Tage oder Wochen. Ich finde ein Café, das offenbar einen Generator hat. Gleich am Eingang gegenüber der Tür erblicke ich den Tannenbaum. Freude und Wärme durchströmen mich und ich sehe, dass die Inhaber des Cafés neben dem Baum sogar einen Sessel aufgestellt haben, so dass man dort Fotos von seinen Lieben mit dem Baum machen kann. Die Kinder laufen um den Christbaum herum und zählen die Kugeln in den verschiedenen Farben ab.

Olena Ryeznikova ist Dolmetscherin und Sprachwissenschaftlerin aus der Ukraine. Sie lebt in der Region Kyjiw und ist seit Beginn des russischen Angriffskriegs als Journalistin in ihrem Land tätig. An der Europa Universität Viadrina in Frankfurt/Oder hat sie ein Masterstudium im Fach European Studies abgeschlossen. Sie lebt mit ihrem Sohn in der Kyjiwer Region.

Hell erleuchtetes Weihnachtswunder

In der Vorweihnachtszeit fuhr ich mit Freunden durch den Schneeregen in einen Freizeitpark etwa zwanzig Minuten von Kyjiw entfernt. Wir wollten dort an einem Wohltätigkeitsabend für ein Kinderheim in Tschernihiw teilnehmen. Lichterketten und Kerzen, die in anderen Jahren an den Straßenbäumen, Balkons, in Fenstern oder Schaufenstern geleuchtet haben, gab es in diesem Jahr kaum. Der Weg führte uns stattdessen durch dunkle Straßen und an grauen Häusern vorbei.

Am Ende gelangten wir jedoch in ein wahres Weihnachtsparadies, alles war erleuchtet. Das Hotel, alle Bäume, ein Riesenrad und eine Kunsteisbahn mit spiegelglatter Eisfläche. Große Leuchtkugeln standen um einen Platz herum, neben kleinen Buden mit Bratwurst, Glühwein und anderen Leckereien – fast wie ein kleiner Weihnachtsmarkt. Drinnen im Restaurant- und Konzertsaal waren alle Tische besetzt, hier konnten wir in Ruhe und Sicherheit ein kleines Konzert genießen, denn es gab auch einen Luftschutzbunker. Die Kellner brachten Wein, Kaffee, Cocktails und Pizza, um uns herum wurde viel gelacht. Man stieß an und hier und da konnte man hören: "Auf unseren Sieg, auf unsere Streitkräfte!" Wir haben den Abend genossen und wussten, dass Elektriker und Ingenieure so einiges aufgeboten haben, damit es so wohlig warm geworden ist.

Orthodoxes Weihnachten schon am 25. Dezember

So hat sich trotz allem auch bei uns weihnachtliche Stimmung ausgebreitet, aber gefeiert wird in diesem Jahr schon früher als sonst. Bereits 2017 wurde der 25. Dezember in der Ukraine offiziell als Weihnachtstag anerkannt, aus Respekt gegenüber Gläubigen anderer Konfessionen als dem orthodoxen Christentum. Etwa 10 Prozent der Menschen in der Ukraine bekennen sich nämlich zum griechisch-katholischen Glauben. Etwa zwei Drittel sind orthodoxe Christen, die nach dem julianischen Kalender am 7. Januar Weihnachten gefeiert haben, so wie in Russland, Serbien oder Georgien. In diesem Jahr allerdings gibt es für die meisten Ukrainer nur ein Weihnachten – den 25. Dezember.

St. Michael-Kloster in Kiew
Das St. Michaelskloster in Kyjiw ist der Sitz der Orthodoxen Kirche der Ukraine. Bildrechte: IMAGO/ZUMA Wire

Denn auch viele orthodoxe Christen rücken vom julianischen Kalender ab, da der in ihren Augen für die russisch-orthodoxe Kirche steht. Gegen deren Vertreter mehren sich in der Ukraine die Vorwürfe, bereits seit 2014 russische Propaganda verbreitet zu haben und den Krieg im Sinne Moskaus tatkräftig zu unterstützten. Für viele Ukrainer haben sich die Kirchen, die zum Moskauer Patriarchat gehören, ihrer Legitimität selbst beraubt. Am 25. Dezember Weihnachten zu feiern und damit auch in der Religion die größtmögliche Entfernung zu Russland zu zeigen, ist deshalb mittlerweile für sehr viele Ukrainer überaus wichtig geworden.

So vielseitig die Ukraine ist, so reich sind auch ihre Traditionen zu Weihnachten. Fragt man die Menschen im Land, ob man wegen der russischen Großinvasion die Weihnachtsstimmung auf spätere Jahre verschieben und das Weihnachtswunder nicht genießen sollte, hört man immer wieder: "Niemals! Sonst hätte der Feind das erreicht, was er wollte: Uns Angst zu machen und uns einzuschüchtern."

MDR (usc)

* (Anm. d. Red.) Wir haben in diesem Artikel die ins Deutsche übertragene ukrainische Schreibweise "Kyjiw" verwendet. Dafür plädieren viele Ukrainerinnen und Ukrainer, denn die sonst auf Deutsch übliche Schreibweise "Kiew" leitet sich von der russischen Variante des Ortsnamens ab. Und die stehe auch für den russischen Anspruch, die Ukraine zu beherrschen.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | 20. Dezember 2022 | 19:30 Uhr

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