Das Attentat von Danzig als politischer Racheakt
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21. Januar 2019, 15:56 Uhr
In Polen wird die Attacke auf den Danziger Bürgermeister als Resultat der "Hass-Sprache" von Politik und Medien gewertet. Paweł Adamowicz wurde während einer Wohltätigkeitsveranstaltung auf offener Bühne niedergestochen. Am 19. Januar 2019 wurde er in Danzig beerdigt.
In Danzig sieht man an vielen Orten Kerzen und schwarz-weiße, mit Trauerflor verzierte Fotos des ermordeten Bürgermeisters. Auch wenn die offizielle Trauer vorüber ist, habe ich den Eindruck, dass die Danziger noch eine Weile Paweł Adamowicz nachtrauern werden.
Dankbarkeit
"Er hat für meinen Sohn ein Stipendium gestiftet. Wie ich später erfuhr, nahm er es teilweise aus seiner Privatkasse. Ich bin so dankbar", sagt mir eine Frau, die vor der Treppe des Danziger Rathauses eine Kerze anzündet. "Er war Bürgermeister der Stadt, die für Freiheit und Solidarität stand. Er hat selbst dafür gekämpft", sagt ein Mann, Mitte 60. Er erinnert sich noch gut an die Streiks gegen die Kommunisten in den 1970er-Jahren und an die hier geborene Solidarnosc-Bewegung. Er steht schon über zwei Stunden vor dem Europäischen Zentrum der Solidarnosc, wo der Sarg von Adamowicz aufgebahrt wurde.
Ein weltoffener Bürgermeister
Das inzwischen international bekannte Zentrum der Solidarnosc war ein Herzensanliegen des Verstorbenen. Es soll nicht nur an die polnische Solidarnosc-Bewegung erinnern, sondern auch symbolisch für Solidarität im heutigen Europa werben. Adamowicz wollte Solidarität auch in seiner Stadt zeigen. Als die Regierung in Warschau die Aufnahme von Flüchtlingen ablehnte, gründete er einen Integrationsrat, in den er die in Danzig lebenden Migranten einlud.
Doch genau dafür bekam er 2017 eine symbolische "Todesurkunde". Die mit Computergrafik erstellten "politischen Todesurkunden" wurden für mehrere liberale Bürgermeister der polnischen Städte von der radikal nationalistischen "Allpolnischen Jugend" angefertigt. Doch die Ermittlungen gegen die Initiatoren wurden eingestellt, weil die Staatsanwaltschaft darin "keine Hass-Sprache, sondern einen Ausdruck der Unzufriedenheit über die Entscheidungen des Bürgermeisters" sah.
Attacken auf den Politiker
Daran hat der Bruder des ermordeten Bürgermeisters während der Totenmesse in Danzig erinnert: "Es ist noch nicht lange her, als die politischen Todesurkunden für meinen Bruder und zehn andere ausgestellt wurden. Später habe ich die richtige Todesurkunde erhalten." Die Falsifikate der Todesurkunden seien als "ein kleiner Hass, vielleicht ein Happening" von der Staatsanwaltschaft abgetan worden, sagt Piotr Adamowicz verbittert.
Die Autoren der "politischen Todesurkunden" hatten gute Gründe zu glauben, dass sie straflos bleiben würden, weil ihre Initiativen in der polnischen Öffentlichkeit immer häufiger auf Gleichgültigkeit oder scheinbare Toleranz stießen. Eines der ersten Beispiele für diese Entwicklung war die Verbrennung einer Judenpuppe während einer Demonstration in Breslau vor drei Jahren. 2017 hatten radikale Nationalisten auf symbolischen Galgen mitten in Kattowitz Fotos von sechs polnischen EU-Parlamentariern aufgehängt, weil die sechs im Streit um die polnische Justizreform auf Seiten der EU standen.
Aggressive Sprache
Auch die politische Sprache verschärft sich. Der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński stuft seine Gegner als "Polen einer schlechteren Sorte" ein, nennt sie "verräterische Mäuler" und bezichtigt sie des Mordes an seinem 2010 bei einem Flugzeugabsturz umgekommenen Bruder Lech Kaczyński. Während der nationalistischen Demonstrationen wird die Opposition regelmäßig als "roter Pöbel" beschimpft, der "mit Hammer und Sichel" zerschlagen werden sollte.
Wenige Stunden nach dem Tod von Paweł Adamowicz sprach man im regierungstreuen öffentlichen Fernsehen von einer aggressiven Sprache, die die liberale Opposition benutze. Zitiert wurde etwa Grzegorz Schetyna, Chef der Bürgerplattform, der die PiS als "Heuschrecke" bezeichnete, die man "vom gesunden Baum unseres Staates entfernen" müsse. Die nationalkonservativen Medien kritisieren zudem ein derzeit in Polen populäres Theaterstück, das die Macht und Intoleranz der Kirche anprangert. In der umstrittenen Inszenierung wird der Papst am Galgen aufgeknüpft und Geld für ein Attentat auf Jarosław Kaczyński gesammelt.
Die politischen Spaltungen
Hat man die gespannte und emotionsgeladene Atmosphäre im Lande vor Augen, dann wird einem bewusst, warum viele Menschen in Polen die Attacke eines offenbar geistig gestörten Mannes auf den Politiker für einen politischen Mord halten. "Der Hass hat dich getötet", konnte man in den Reden während der Totenmesse hören. Der Geistliche, der vom "giftigen Hass auf den Straßen, in den Medien, in den Schulen, im Parlament und in der Kirche" sprach, erntete von den 4.000 Menschen in der Kirche großen Beifall.
Nach der Trauer werden Differenzen größer
Wenn ich die vielen Kerzen und die weinenden Menschen sehe, habe ich ein Déjà-vu-Erlebnis. So ähnlich war die Stimmung in Polen nach dem Tod von Johannes Paul II. 2005. Für eine Woche hatten Politiker, Fußballfans, Katholiken und Nichtgläubige ihre Streitigkeiten beigelegt. Nicht anders war es 2010, nach dem Flugzeugabsturz von Smolensk. Die nationale Trauer trägt wieder etwas Einigendes in sich. Alle Polen, unabhängig von der politischen Überzeugung, zeigen sich betroffen. Doch die Hoffnung, dass die Katharsis länger wirkt, scheint naiv zu sein: Nach jeder Trauer werden die Differenzen zwischen den politischen Lagern meist noch größer.
Über dieses Thema berichtete MDR Aktuell auch im TV: 14.01.2019 | 21:45 Uhr