Annäherung zwischen Russland und der Türkei Taktik oder Liebe? Wenn Putin und Erdogan flirten ...
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18. April 2019, 06:00 Uhr
NATO-Mitglied Türkei streitet sich mit den USA und flirtet mit Russland. Doch das Bündnis mit Moskau ist wackelig.
Wenn in Moskau dieser Tage Nachrichten aus der Türkei eintrudeln, dann sorgen sie für große Zufriedenheit im Kreml. Erst vor wenigen Tagen holte Wladimir Putin sogar zu einer Art verbalem Ritterschlag für seinen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan aus und ließ über seinen Sprecher wissen: Russland begrüße die harte Position des türkischen Präsidenten als Antwort auf den Druck der USA. "Länder, die sich souverän verhalten können, kann man an den Fingern einer Hand abzählen", erklärte Putins Sprecher. Russland und die Türkei gehörten dazu.
Es ist ein russisch-türkischer Waffendeal, der in Moskau für solch lobende Worte sorgt und gleichzeitig die USA zur Weißglut bringt. Die Rede ist vom russischen Luftabwehrsystem S-400, das die Türkei für rund 2,5 Milliarden Euro anschaffen will. Dagegen sträubt sich vor allem Washington. Die Amerikaner führen Sicherheitsbedenken ins Feld. Sie befürchten, Russland könnte nach der Stationierung seines S-400-Systems in der Türkei an sensible NATO-Daten kommen. Um Erdogan von seiner "Einkaufstour" in Russland abzuhalten, griff US-Vizepräsident Mike Pence sogar zu einer Drohung. Er sagte, die Türkei riskiere den Ausschluss vom Rüstungsprogramm des amerikanischen F-35-Kampfjets. Türkische Waffenschmieden sollten daran als Zulieferer beteiligt werden und Aufträge im Wert von etwa zwölf Milliarden US-Dollar bekommen.
Russlands Sieg über NATO
In Moskau sehen darin selbst unabhängige Analysten und Beobachter einen großen Erfolg für den Kreml und Wladimir Putin. "Russland ist einen Schritt von einem betäubenden Sieg über die NATO entfernt", kommentiert etwa der Außenpolitikexperte Wladimir Frolow beim liberalen Onlineportal Republic. In ein paar Monaten werde Russland in der Lage sein, die Einheit der Nordatlantischen Allianz zu knacken und so die Abwehrbereitschaft ihrer südlichen Flanke zu schwächen. "Dafür bekommt Russland auch noch 2,5 Milliarden Dollar und keine neuen Sanktionen".
Vor diesem Hintergrund wirkt das Lob des russischen Präsidentensprechers für die türkische Souveränität wie ein unverfrorenes Anstacheln Erdogans. Zumal in russischen Expertenkreisen oft von Ähnlichkeiten zwischen den Regimes in Russland und der Türkei die Rede ist. Putin und Erdogan lassen sich nur äußerst ungern von außen unter Druck setzen und haben sich schon vor Jahren vom Westen abgewendet. Beide fürchten, die USA und auch Europa würden an einem Regierungswechsel in ihren Ländern arbeiten und die oppositionellen Kräfte unterstützen. So gesehen versteht es der Kreml, mit türkischen Befindlichkeiten zu spielen. Für die Türkei ist die Annäherung an Moskau ein probates Mittel, ihre Unabhängigkeit zu demonstrieren. Und zu zeigen, dass sie Alternativen zum Nato-Bündnis hat.
Partner bei Energie und Militär
Allein in diesem Jahr war Erdogan bereits drei Mal in Russland zu Besuch, zwei Mal in Moskau und einmal in Sotschi. Beide Länder sind wichtige Partner in wirtschaftlichen Fragen. Russlands Nuklearkonzern Rosatom baut derzeit ein Atomkraftwerk in die Türkei, während Gazprom eine Gaspipeline durch das Schwarze Meer Richtung Türkei fertigstellt. Ende des Jahres soll dort erstes Gas fließen. Sogar ein zweiter Strang ist geplant, mit Exportmöglichkeiten nach Europa. Türkische Baukonzerne verdienen ihrerseits gutes Geld mit Großprojekten in Russland, wie etwa mit der Errichtung des kürzlich eröffneten Mercedes-Werks bei Moskau. Im vergangenen Jahr belief sich der Handel der beiden Länder auf etwa 23 Milliarden Euro. Er soll perspektivisch sogar auf das Vierfache steigen, so der Wunsch beider Seiten.
Doch viel wichtiger für Russland ist die Türkei als militärischer Partner – vor allem in Syrien, wo beide Länder seit Jahren aktiv sind. Zwar gilt der syrische Diktator Baschar Assad als Feind Erdogans und Verbündeter Putins. Auch unterhält die Türkei gute Kontakte zu Teilen der syrischen Opposition, die von Russland als Terroristen bezeichnet werden. Dennoch betrachten sich Russland und die Türkei trotz dieser Widersprüche als Partner. Während Russland daran interessiert ist, Assad an der Macht zu halten, will die Türkei keinen islamistischen Unruheherd an ihrer südöstlichen Grenze. Auch will Erdogan möglichst vermeiden, dass in Syrien ein unabhängiges Kurdengebiet entsteht, schließlich stellen Kurden auch in der Türkei die größte Minderheit mit einem Anteil von etwa 20 Prozent an der Gesamtbevölkerung.
Wackelige Allianz
Bisher scheinen die gemeinsamen Interessen Russlands und der Türkei die möglichen Streitpunkte zu überwiegen. Doch das Bündnis der beiden Länder ist trotz der engen Kontakte eher taktischer Natur. Das zeigte sich etwa im November 2015, als die türkische Luftwaffe den russischen Bomber SU-24 abschoss. Dieser stürzte auf syrischem Territorium ab, soll jedoch zuvor nach türkischen Angaben den Luftraum der Türkei verletzt haben. Wenige Tage zuvor hatte die Türkei Russland ultimativ aufgefordert, eine Operation in Nordsyrien zu stoppen. Diese sei nach Ankaras Angaben gegen die turkmenische Minderheit in der Region gerichtet gewesen. Erdogan versteht sich als Schutzherr dieser Turkmenen in Syrien.
Russland reagierte mit Wirtschaftssanktionen, während Moskaus Staatsmedien Erdogan als Komplizen der Terrormiliz IS bezeichneten. Noch wenige Wochen zuvor waren die Beziehungen beider Länder als gut eingestuft worden. Der Zwischenfall ereignete sich just einen Tag vor dem geplanten und daraufhin abgesagten Türkeibesuch des russischen Außenministers Lawrow. Erst ein Jahr später, nach einer schriftlichen Entschuldigung Erdogans, setzte wieder ein Tauwetter zwischen den beiden Ländern ein, das bis heute anhält. Doch das Szenario von 2015 kann sich leicht wiederholen.
Über dieses Thema berichtet der MDR auch im Fernsehen: MDR aktuell | 08.04.2019 | 17:45 Uhr