Sattes Plus für Audi-Arbeiter in Győr

Lohnerhöhungen um 18 Prozent – was die Arbeiter im ungarischen Audi-Werk in Györ mit ihrem Streik erreicht haben, klingt für unsere Maßstäbe gigantisch. Nach sechs Tagen knickte die Unternehmensführung ein – seit dem 30. Januar werden wieder Motoren produziert. Doch der ungarischen Regierung dürfte der Erfolg der Arbeiter sehr wenig gefallen, erklärt unsere Ostbloggerin Piroska Bakos.

Die Mitarbeitern von Audi Hungaria Győr waren am 24. Januar 2019 in einen einwöchigen Streik getreten, nachdem sich Unternehmensführung und zuständige Gewerkschaft seit November 2018 nicht über Lohnerhöhungen hatten einigen können. Etwa 5.000 Beschäftigte traten in den Ausstand und legten die Produktion im Werk komplett lahm. In vielen Audi-Fabriken, aber auch bei Porsche Leipzig, standen die Bänder daraufhin ebenfalls still. 

Ohne Győr geht bei Audi nichts

Audi Hungaria ist einer der weltweit größten Motorenproduzenten. Das Unternehmen produzierte im vergangenen Jahr neben hunderttausenden Autos etwa zwei Millionen Motoren, darunter auch elektrische für den gesamten Volkswagen-Konzern. Das sind 700 Fahrzeuge und  9.000 Motoren pro Tag. Ihr Ausbleiben hatte erhebliche Auswirkungen: In Ingolstadt steht die Produktion mangels Motoren seit dem 28. Januar still und kann erst am 4. Februar wieder anlaufen. In Neckarsulm wurde am 1. Februar nicht gearbeitet. Der andauernde Streik hatte auch das Porsche-Werk Leipzig betroffen. Auch in Bratislava mussten Schichten abgesagt werden. Wieviel der Streik den Konzern kostet, lässt sich noch nicht beziffern. 

Audi bisher ein Symbol der Stabilität

Dass ausgerechnet bei Audi in Győr gestreikt wurde, war für die meisten Ungarn etwas überraschend. Audi gilt als sehr zuverlässiger, stabiler Arbeitgeber, bei dem überdurchschnittliche Löhne gezahlt werden. Audi Hungaria hat in Győr das duale Bildungssystem angeregt und mit der städtischen Fachschule und der technischen Universität eng zusammengearbeitet, um den Nachwuchs im Werk halten zu können. Das deutsche Unternehmen ist auch für die ungarische Politik  enorm wichtig. Mit seinen 13.000 Mitarbeitern ist Audi einer der größten Arbeitgeber des Landes und produziert allein etwa 1 bis 1,5 Prozent des ungarischen Bruttoinlandsproduktes. Die Unternehmensführung hatte immer wieder bestätigt, dass es keine Pläne gebe, die Produktion weiter nach Osten zu verlegen. Ein Grund dafür sei die relativ niedrigen Löhne der Fachkräfte.

"Wir sind genauso gute Fachkräfte"

Das wollte die Unabhängige Gewerkschaft bei Audi Hungaria nun ändern. Eine Studie im Auftrag der Gewerkschaft hatte gezeigt, dass trotz mehrerer Lohnsteigerungen in den vergangenen Jahren in Győr die Mitarbeiter bei Audi in Tschechien 25 Prozent, in der Slowakei 28 Prozent und in Polen sogar 39 Prozent mehr verdienen. Ganz zu schweigen von den westlichen Standorten. Das belgische Werk soll laut der Studie seinen Beschäftigten 3,5-mal höhere Löhne zahlen. Audi Hungaria hält in seinem "HR Blog" dagegen, dass wegen den verschiedenen Geschäftsmodellen der Volkswagen- und Audi-Fabriken in der Region die Gehälter nicht gut miteinander verglichen werden könnten. Die Mitarbeiter sehen es anders. Ein älterer Mitarbeiter sagte dem ungarischen Onlineportal "24.hu", er und seine Kollegen kämpften nicht nur um höhere Gehälter, sondern auch um ihre  Reputation. "Wir sind genauso gute Fachkräfte wie die anderen, egal wo, das sollte sich in unseren Löhnen auch widerspiegeln", sagte er. 

Lebenshaltungskosten auf westlichem Niveau

Ein Arbeiter montiert an einer Autokarosserie.
Produktion im Audi-Werk Győr. Bildrechte: imago/EST&OST

Die durchschnittlichen Bruttolöhne liegen im ungarischen Audi-Werk zurzeit bei etwa 370.000 Forint. Das sind umgerechnet rund 1.200 Euro monatlich. Damit liegen sie immer noch über dem ungarischen Durchschnittslohn, der im September bei 323.000 Forint lag. Allerdings liegen die Lebenshaltungskosten in Győr, das nur 50 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt ist, nahezu auf westlichem Niveau. Deswegen beharrte die Gewerkschaft auf einer Steigerung der Löhne um 18 Prozent und um mindestens 75.000 Forint, umgerechnet sind das etwa 236 Euro. Am 31. Januar 2019 einigte man sich darauf, die höheren Löhne rückwirkend ab 1. Januar zu zahlen. Dazu kommen Zuschüsse, Beihilfen und Prämien. Mitarbeiter von anderen Standorten und auch die IG Metall Bayern unterstützten die ungarischen Forderungen. "Wir wollen gute Löhne und einen gerechten Anteil an den Gewinnen der Konzerne", hieß es in deren Stellungnahme. "Ohne uns würde kein einziges Auto produziert werden. Daran müssen wir die Unternehmen immer wieder erinnern."

Ungarn als Zentrum der Autoindustrie?

Die Geschehnisse im Audiwerk Győr zeigen, wie wichtig die ungarischen Autofabriken für ganz Europa sind: Suzuki, Opel, Mercedes und Audi – alle haben sie Werke in Ungarn. Die Firmen haben in den vergangenen 25 Jahren über acht Milliarden Euro investiert und wollen wie Mercedes und BMW weiter Geld ins Land bringen. Mercedes etwa baut gerade eine zweite Fabrik in Kecskemét, 80 km von Budapest entfernt. Auch BMW zieht bald nach Ungarn. Bis 2023 will die bayerische Firma ihr Werk im ostungarischen Debrecen aufbauen, wo nach derzeitigen Plänen 150.000 Fahrzeuge jährlich produziert werden sollen. Die Unternehmensführung von Audi hatte bereits während der Tarifverhandlungen die streikenden Arbeiter gewarnt, dass zu hohe Lohnforderungen die Stellung des ungarischen Audi-Werkes negativ beeinflussen könnten - der Konzern zum Beispiel wegen der erhöhten Kosten die Elektromotoren-Produktion aus Ungarn abzieht oder das nächste Modell anderswo produzieren lässt. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sich die ungarische Regierung nicht ein einziges Mal über den Streik geäußert hat. Ihr vordringliches Ziel ist es nämlich, Ungarn als wichtigsten Automobil- und Industriestandort Osteuropas zu etablieren. Dafür gewährt sie den Autohersteller enorme Steuervergünstigungen.

Über dieses Thema berichtete MDR auch im TV in "Aktuell": 19.01.2019 | 19:30 Uhr

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