Chemie-Unfall auf der Krim: Atemnot und saurer Regen
Hauptinhalt
Wegen eines Chemie-Unfalls im Titanwerk "Krymskij Titan" in Armjansk werden derzeit alle Kinder aus der Krim-Stadt evakuiert. Als Auslöser für das Unglück gilt die Schließung des Nord-Krim-Kanals durch die Ukraine 2014.
Bereits letzte Woche hatten die Menschen in der 22.000-Einwohner-Stadt Armjansk rostrote, ölige Ablagerungen bemerkt, die sich auf Straßen und in Wohnungen sammelten. Es roch merkwürdig in der Stadt, schließlich mussten sich viele Kinder und Erwachsene beim Arzt melden, weil sie unter Husten und allergischen Reaktionen litten. Zahlreiche Bewohner verließen die Stadt oder schlossen sich in ihren Wohnungen ein. Die örtlichen Behörden spielten unterdessen auf Zeit. Es gebe keine Probleme, hieß es noch letzte Woche.
In den ersten Septembertagen kam eine Untersuchungskommission nun zum Schluss, dass hinter den giftigen Ausdünstungen eine ausgetrocknete Abraumgrube des Chemiewerkes steckt. In der Hitze der letzten Augusttage war das Wasser verdunstet, außerdem hatte "Krymskij Titan" die Grube offenbar überfüllt. Am 4. September wurde der Betrieb für zwei Wochen unterbrochen.
Leidet die Krim unter Wassernot?
Auslöser für den Chemieunfall ist offenbar Wassernot. Denn seit April 2014, kurz nach der Annexion der Krim durch Russland, blockiert die Ukraine den Nord-Krim-Kanal. Er versorgte die Halbinsel früher mit Wasser, auch "Krymskij Titan" profitierte davon. Zwar beteuert die Krim-Regierung, man habe ausreichend Wasser. Doch der Chemieunfall spricht gegen diese Behauptung. Sergej Aksjonow, Regierungschef der Republik Krim, versucht unterdessen, die Panik der Bevölkerung in Grenzen zu halten. "Für einen Ausnahmezustand gibt es keinerlei Gründe." Die Gesundheit der Bürger sei nicht in Gefahr, betont er.
Viele Menschen flüchten
An Aksjonows Beschwichtigungen existieren jedoch berechtigte Zweifel. Denn der Unterricht an den Schulen und Kindergärten von Armjansk ist nicht nur für zwei Wochen unterbrochen worden, derzeit bringt man auch alle Kinder aus der Stadt. Sie werden auf Staats-Kosten in unterschiedlichen Sanatorien untergebracht. Rund 8.000 Menschen sollen in den vergangenen Tagen Armjansk bereits verlassen haben. "Die Stadt ist derzeit einfach leer. Nur sehr wenige Menschen sind noch in Armjansk geblieben", berichtet dem MDR ein Journalist, der vor Ort recherchiert hat.
Das Titanwerk fiel schon früher auf
Bereits im Januar 2018 hatte das offizielle Kiew auf die Arbeit von "Krymskij Titan" aufmerksam gemacht: Das sogenannte Ministerium für zwischenzeitlich okkupierte Gebiete sprach von ökologischer Gefahr nicht nur die Krim selbst, sondern auch für die grenzende ukrainische Region Cherson. Aber auch auf der Halbinsel stand das Unternehmen bereits in Kritik: Im April 2018 musste das Mutterunternehmen von "Krymskij Titan" einem Urteil des Stadtgerichts Armjansk zufolge drei Millionen Rubel, umgerechnet 36.000 Euro, wegen Umweltschäden bezahlen. Interessanterweise gehört das Titanwerk trotz der Krim-Annexion weiterhin dem ukrainischen Oligarchen Dmytro Firtasch, der sich derzeit in Wien aufhält und dem von den USA und Spanien Geldwäsche unter anderem durch Immobiliengeschäfte vorgeworfen wird.
Gegenseitige Schuldzuweisungen
Während Russland und die Krim die Ukraine wegen der Schließung des Nord-Krim-Kanals kritisieren, schimpft die Ukraine über die "unprofessionelle Regierung der Krim". "Wir sind extrem besorgt, dass kein Ausnahmezustand erklärt wurde und dass die Erwachsenen nicht evakuiert werden", heißt es aus dem Büro der ukrainischen Menschenrechtsbeauftragten, die die ukrainische Exil-Staatsanwaltschaft der Krim auffordert, ein Strafverfahren gegen die aktuelle Krim-Führung zu eröffnen. Außerdem habe die Ukraine alle internationalen Organisationen über den Vorfall ausführlich informiert. Und der verdächtige Rauch von "Krymskij Titan" war auch am gestrigen Mittwoch deutlich zu sehen.
Über dieses Thema berichtet MDR AKTUELL auch im: TV | 07.09.2018 | 17:45 Uhr