Prag
Auf jeden Prager kamen im vorigen Jahr rund acht Touristen. Bildrechte: imago/BE&W

Tschechien Massentourismus verdrängt Alltagsleben in Prag

05. Juli 2019, 15:44 Uhr

Die tschechische Hauptstadt Prag lebt vom Tourismus. Der aber verdrängt in der Altstadt immer mehr das alltägliche Leben - ähnlich wie in Barcelona oder Amsterdam. Auch in Prag wächst inzwischen der Druck auf die Politik, die Touristenströme zu begrenzen - damit das Alltagsleben nicht völlig verschwindet.

Journalist David Černý von der Webseite "Miluju Prahu" ("Ich liebe Prag") steht vor einer Metzgerei in der Prager Altstadt, die dicht gemacht hat. Das Schaufenster ist mit Papier zugeklebt: "Diese Metzgerei ist ein Symbol dafür, was gerade in dieser Stadt passiert ist", sagt Černý. Im Prager Zentrum sei kein normales Leben mehr möglich. Für die Einheimischen gebe es keine Geschäfte des täglichen Bedarfs mehr.

Absinth-Shop statt Metzgerei

"Die Metzgerei ist Weihnachten geschlossen worden – nach 50 Jahren. Jetzt wird hier wohl etwas entstehen, was wir in der Altstadt schon reichlich haben", sagt Černý, der schon sein ganzes Leben in der Altstadt lebt. Er ist hier geboren. Černý schaut sich in der "Na Perštýně"­-Straße um und zählt auf, was er sieht: "Es gibt ein Casino, eine Beef Bar, eine Wechselstube, ein Souvenir-Shop, weiter hinten sind noch ein Absinth-Shop und noch eine weitere Wechselstube."

Schuld ist Černýs Meinung nach die Internetplattform Airbnb, auf der Prager verstärkt Unterkünfte für Touristen anbieten und damit auch das Leben in der Innenstadt immer stärker verändern.

Geschlossene Metzgerei in Prag
Die letzte Metzgerei in der Innenstadt hat Weihnachten dicht gemacht. Bildrechte: Helena Sulcova/MDR

Rollkoffer holpern übers Kopfsteinpflaster

"Für viele lohnt es sich, die eigene Wohnung für Touristen anzubieten. Sie bekommen damit für ihre Wohnung das Drei- bis Vierfache einer gewöhnlichen Monatsmiete", erzählt Černý. Wir gehen weiter in die Michalská Straße, hier wohnt der Journalist. Insgesamt vier Wohnungen gibt es in seinem Haus, David ist der letzte Alteingesessene. "Die Wohnung unter mir wird über Airbnb vermietet, eine andere soll demnächst auf der Plattform angeboten werden, eine dritte Wohnung steht leer." David sagt, seine Straße sei inzwischen wie ein Hotel. Jeden Samstag wird neue Bettwäsche geliefert, hört man Heerscharen von Koffern über das alte Kopfsteinpflaster rollen. Das Business boomt. 

David Černý, Journalist
Journalist David Černý will sich aus Altstadt nicht vertreiben lassen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Wohnungen sind unbezahlbar 

Sucht man nach einer Wohnung in der Prager Altstadt, fällt das Angebot mager aus. Eine 60-Quadratmeter-Wohnung kostet derzeit im Durchschnitt zur Kaltmiete rund 1.040 Euro. Für einen Durchschnittsbürger ist die Innenstadt viel zu teuer, denn der Lohn in Prag liegt bei rund 1.660 Euro. Wer sich eine Wohnung in der Innenstadt kaufen will, muss mit gut 8.000 Euro pro Quadratmeter rechnen.

Privatwohnungen billiger als Hotel

Medienberichte zufolge sollen inzwischen rund 5.000 Wohnungen in der Innenstadt über Airbnb angeboten werden – das wäre ein Drittel aller Wohnungen im ersten Prager Bezirk. In der gesamten Stadt sollen es Schätzungen zufolge gut 13.000 Wohnungen sein, die auf der Internetplattform gebucht werden können. Im Schnitt kostet eine Übernachtung umgerechnet 66 Euro und ist damit billiger als im Hotel, wo man im Schnitt gut 90 Euro pro Nacht bezahlt. 

Bettensteuer pro Übernachtungsgast

An jedem Besucher, der über Nacht in Prag bleibt, verdient die Stadtverwaltung der Hauptstadt mit: Die Bettensteuer liegt derzeit bei rund 82 Cent pro Übernachtung und Person. Hotels müssen die Touristenabgabe längst abführen, nicht so die Internetplattform Airbnb. Wie viele Prager Wohnungen über die Internetplattform vermietet werden, weiß man im Rathaus nicht.

Stadtverwaltung streitet mit Airbnb

Hana Marvanová
Ratsfrau Hana Marvanová Bildrechte: Helena Sulcova/MDR

Ratsfrau, Hana Marvanová, vom Prager Magistrat stieß bei Airbnb auf Unverständnis, als sie im Juni eine Übersicht über alle Gastgeber in Prag forderte, um die Touristenabgabe zu erheben. Tschechische Medien vermuten, dass sich fast die Hälfte aller Prager Airbnb-Gastgeber um die Bettensteuer mogelt. Der Stadt entgingen damit jährlich Einnahmen von rund 4,7 Millionen Euro.

Airbnb will die Frage anders lösen. Das Unternehmen bot an, die Steuer bei ihren Gastgebern selbst einzusammeln. Auf diese Weise führt die Internetplattform die Bettensteuer beispielsweise bereits in der Schweiz ab. Die "persönlichen Daten unserer Gastgeber" werde man aber nicht herausgeben, hieß es vom Unternehmen.

Prag will Mietzeit begrenzen

Doch die Prager Stadtverwaltung gibt noch nicht auf. Sie will das tschechische Parlament dafür gewinnen, einer Novelle zuzustimmen, die Plattformen wie Airbnb zwingen würde, die Identität der Gastgeber preiszugeben. Außerdem hofft Prag, dass das Parlament per Gesetz die jährliche Airbnb-Mietzeit auf eine bestimmte Anzahl von Tagen begrenzt. Prager Wohnungseigentümer könnte das überzeugen, ihr Quartier wieder auf dem Wohnungsmarkt anzubieten, statt an Touristen zu vermarkten.

Bierbikes sollen abgeschafft werden

Bierbike fährt durch Prag
Bierbike - Fahren und dabei Bier trinken Bildrechte: Helena Sulcova/MDR

Doch bis ein solches Gesetz verabschiedet wird, kann noch viel Zeit vergehen. Das weiß man auch in der Stadtverwaltung. Im Rathaus setzt man daher auf die kleinen Schritte: So sollen Spaßfahrräder, die mit einer Bierzapfanlage ausgestattet sind, verboten werden, genauso wie Maskottchen, mit denen sich die Touristen gerne fotografieren. Der Kitsch soll damit aus der Innenstadt verschwinden, gegen Airbnb hat die Stadt aber bislang kein Mittel. 

Keine Lust auf Umzug

Altstädter David Černý wird den Massentourismus wohl weiter ertragen müssen. Von Freunden und Bekannten höre er immer, dass er umziehen solle, wenn es ihm nicht gefalle. Umzug kommt für Černý nicht infrage. Seine Familie lebt seit 300 Jahren in der Prager Altstadt. An dieser Tradition wird auch Airbnb nichts ändern, meint Černý.

Über dieses Thema berichtet MDR AKTUELL auch im FERNSEHEN: TV | 05.07.2019 | 17:45 Uhr

Ein Angebot von

Mehr aus Osteuropa

Mehr aus der Welt