Russland | Belarus Greift Putin nach Belarus?

Der Streit um Energiepreise zwischen Minsk und Moskau erreicht eine neue Qualität. Russland will mehr Integration im Tausch für günstiges Öl und Gas - und vielleicht sogar noch mehr?

Der Präsident von Belarus, Alexander Lukaschenko, gilt als launischer Staatschef. Zumindest wenn es um sein Verhältnis zum Nachbarn im Osten geht. Man lasse sich von Russland nicht erpressen, sagte er vor ein paar Wochen vor russischen Journalisten in Minsk. Niemals, so Lukaschenko, werde sein Land Teil von Russland werden.

Nur wenige Tage später stimmte der weißrussische Präsident ganz andere Töne an. In einer Botschaft an Wladimir Putin, gratulierte er seinem Kollegen zu Weihnachten und Neujahr und sprach von einer "Union der Völker", die seiner Meinung längst Realität ist.

Die Achterbahn: Minsk-Moskau

Tatsächlich gibt es es im Verhältnis zwischen Minsk und Moskau nichts Beständigeres als das auf und ab der Beziehungen. Seit 1997 eint ein Unionsvertrag beide Länder. Darin vorgesehen ist eine schrittweise Integration beider Staaten mit gemeinsamen Parlament, Gerichtshof, Währung und einem Präsidenten. In der Praxis umgesetzt wurde davon kaum etwas. Zwar sind beide Länder wirtschaftlich und kulturell aufs engste miteinander verknüpft. Politisch war die Integration jedoch eine Totgeburt. Dazu kommt, dass Belarus Teil der Östlichen Partnerschaft, einem EU-Projekt, ist und zuletzt seine Beziehungen zur Euroäpischen Union vorsichtig ausgebaut hat. Die EU hob ihrerseits 2016 nahezu alle Sanktionen gegen das Land auf.

Seit wenigen Wochen jedoch sorgt die fast vergessene Union zwischen Russland und Belarus wieder für Schlagzeilen. Eine der wenigen praktischen Folgen des Vertrags von 1997 war, dass Belarus russische Energie-Rohstoffe wie Öl und Gas zu Inlandspreisen importieren konnte. Mit der Weiterverarbeitung und dem Export verdiente das Land Milliarden. Allein im vergangenen Jahr belief sich der Export von Erdöl und Verarbeitungsprodukten auf sieben Milliarden Euro. Mit diesen Einnahmen hat Belarus über Jahre nicht nur seine staatlich geprägte Wirtschaft subventioniert, sondern auch viele Sozialleistungen für die eigene Bevölkerung.

So ist das Durchschnittseinkommen in Belarus nach Angaben der Weltbank etwa doppelt so hoch wie in der Ukraine und nur ein Drittel weniger als im verhältnismäßig wohlhabenden Russland.

Energiepreise sorgen immer wieder für Streit

Dass Russlands Energiebranche das Nachbarland Belarus praktisch bezuschusst, war vor allem den Wirtschaftsliberalen in Putins Umfeld ein Dorn im Auge. Immer wieder kam es zum Streit zwischen den Ländern. Mal stoppte Russland die Öllieferungen, woraufhin sich Belarus bereit erklärte, einen Teil der Exporteinnahmen an Russland zu überweisen. Mal drohte Belarus sich nach Westen zu orientieren, was das russische Öl weiter sprudeln ließ.

Nun erreicht der Konflikt allerdings eine neue Qualität. Vordergründig geht es darum, dass Russland mit einer Steuerreform die de facto Subventionen für seinen Verbündeten dauerhaft beenden will. Bis 2024 will Russland die Exportzölle senken und stattdessen die Ölförderung direkt besteuern. Das soll dazu führen, dass sich die Preise für Rohöl im Inland an den Weltmarkt angleichen. Für Belarus würde das jedoch bedeuten, dass sich der zollfreie Einkauf von Öl in Russland nicht mehr lohnt.

Minsk pocht auf Entschädigung

Allein 2019 fürchtet Belarus Einbußen in Höhe von mehr als 250 Millionen Euro. Danach sollen sich die Einbußen sogar auf Milliarden summieren. Deswegen pocht Minsk auf Entschädigung und will Geld aus Moskau. Russlands Regierung will das Geld aber nur lockermachen, wenn Belarus sich noch näher an Russland bindet.

Bisher können sich Russen und Weißrussen frei in beiden Ländern bewegen, einen Job annehmen oder zollfrei Güter handeln. Auch spielen viele weißrussische Sportclubs, etwa im Eishockey oder Basketball in russischen Ligen. Bei einem Auftritt im weißrussischen Brest erinnerte Russlands Premier Dmitrij Medwedew jedoch an die alten Pläne einer politischen Union mit gemeinsamer Währung, einem gemeinsamen Gerichts- und Rechnungshof.

Gerüchte um russische Übernahme

In Belarus sorgten Medwedjews Äußerungen für Aufruhr. "Das ist politische Erpressung nicht nur von Lukaschenko, sondern vom weißrussischen Volk", meint etwa der weißrussische Ökonom und Oppositionspolitiker Jaroslaw Romantschuk.

Auch in Russland ranken sich seitdem Gerüchte, dass Putin endgültig nach Belarus greifen will. So schrieb etwa der Publizist Leonid Berschidsky, für Putin wäre der Vorsitz über einen Unionsstaat mit Belarus nach 2024 eine Möglichkeit, um weiter an der Macht zu bleiben. Schließlich erlaube ihm die russische Verfassung keine weitere Amtszeit in Folge.

Keine Diskussion über Vereinigung mit Belarus

Ein Szenario, dass auch vielen Russlandbeobachtern nach der Annexion der Krim und dem Krieg im Osten der Ukraine, nicht mehr als völlig aus der Luft gegriffen scheint. So sehr, dass Putins Sprecher Dmitrij Peskow kürzlich dementieren musste, dass eine Vereinigung mit Belarus zur Diskussion stehe. Doch die meisten Experten innerhalb Russlands bleiben mehr als skeptisch. Nicht nur, weil sich die Weißrussen, Umfragen zufolge, selbst zwar eine enge Bindung an Russland wünschen, jedoch mit überwältigender Mehrheit eine Mitgliedschaft in der Russischen Föderation ablehnen.

Lukaschenko ist offensichtlich nicht bereit, seine Macht aufzugeben und wird weiter mit Russland verhandeln.

Andrei Suzdalzew Politikwissenschaftler, Moskauer Higher School of Economics

Eine Vereinigung mit Belarus wäre auch nicht im russischen Interesse, meint etwa Andrei Suzdalzew, Belarus-Experte und Politikwissenschaftler der Moskauer Higher School of Economics. Im Fall einer Vereinigung müsste Russland Dutzende Milliarden Euro investieren.

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV: MDR | 28.04.2018 | 10:00 Uhr

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