Interview mit Ostblogger "Die Krim taugt nicht mehr als Trostpflaster für die Russen"

Zum fünften Jahrestag der Annexion der Krim besucht Wladimir Putin die Halbinsel. Die Einverleibung hatte seine Beliebtheitswerte in die Höhe schnellen lassen. Heute nützt sie ihm politisch jedoch kaum noch etwas. Daran durfte auch das mediale Großaufgebot bei Putins Besuch kaum etwas ändern. Denn die Russen leiden mehr und mehr unter der Wirtschaftskrise, die Krim-Euphorie ist längst verflogen, meint MDR-Ostblogger Maxim Kireev.

Wladimir Putin
Am Jahrestag der Krim-Annexion hat Wladimir Putin das neu errichtete Wärmekraftwerk in Sewastopol in Betrieb genommen, das aus russischer Sicht wichtig für die Energieversorgung auf der Krim ist. Bildrechte: imago images/ITAR-TASS

Die Krim-Annexion hat seinerzeit viel Zustimmung in Russland gefunden. Die Umfragewerte von Präsident Putin waren damals so hoch wie nie. Wie stehen die Russen heute dazu?

Insgesamt sind die Russen natürlich zufrieden, dass die Krim jetzt aus russischer Sicht wieder zu Russland gehört. Was sich aber verändert hat, ist, dass Putin und seine Zustimmungswerte dadurch nicht mehr so gepusht werden. Es gab einen großen Anstieg nach der Annexion – oder der Wiedervereinigung, wie die Russen es nennen. Dieser Anstieg ist aber wieder verpufft und Putins Zustimmungswerte sind auf das Vor-Krim-Niveau gesunken. Sie liegen derzeit bei 60 bis 64 Prozent. 2015 lagen sie bei sagenhaften 86 Prozent.

Wenn man die Russen jetzt fragen würde, ob es richtig war, die Krim zu annektieren – was würden sie antworten?

Ich glaube, sie würden immer noch "Ja" sagen. Denn viele Russen sind immer noch der Meinung, dass man eigentlich gar keine Wahl hatte, sonst wären ja jetzt die NATO-Soldaten vor Ort stationiert. Das ist hier seit Jahren die Propaganda-Strategie und viele Russen glauben das. Aber sie taugt heute nicht mehr, um über die inneren Probleme des Landes hinwegzutäuschen. Sie taugt auch nicht mehr als Trostpflaster für die Leute, die die Wirtschaftskrise jetzt ausbaden müssen.

Wie schaut es denn vor Ort auf der Krim aus? Gibt es da heute Menschen, die bereuen, wie sie vor fünf Jahren beim Referendum gestimmt haben?

Es gibt mittlerweile auch Menschen, die ein bisschen nüchterner auf das Thema schauen. Ein gutes Beispiel sind die Krim-Tataren. Sie haben unter der Wiedervereinigung gelitten. Viele von ihnen standen unter Extremismus-Verdacht, sie wurden vom Geheimdienst befragt und als potentielle Gegner eingestuft. Das ist der eine Punkt. Der zweite ist, dass die russischen Politiker, die auf die Krim gekommen sind, nicht weniger korrupt sind als ihre ukrainischen Vorgänger. Die Menschen hatten die Hoffnung, dass sich das bessert. Aber es gab auf der Krim viele Korruptionsskandale in den letzten Jahren. Da hat sich Ernüchterung breit gemacht.

Sie haben schon gesagt, Putin kann die Krim nicht mehr nutzen, um politisch zu punkten. Wie könnte seine Strategie künftig aussehen?

Das Problem ist, dass das Thema Außenpolitik bei den Russen nicht mehr so gut ankommt. Man merkt das jetzt zum Beispiel an der Venezuela-Krise, bei der sich Russland stark für den dortigen Präsidenten Maduro einsetzt. Viele Leute hier fragen sich: Wir Russen haben kein Geld, unsere Löhne steigen seit Jahren nicht mehr, warum helfen wir dann irgendeinem Diktator in Lateinamerika? Deswegen ist das Einzige, das Putin jetzt machen kann, sich verstärkt auf die Innenpolitik zu konzentrieren. Er muss versuchen, die Probleme jetzt anzugehen, damit er das Sinken seiner Beliebtheitswerte noch aufhalten kann.

Über dieses Thema berichtet der MDR auch im TV: MDR aktuell | 18.03.2019 | 19:30 Uhr

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