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Für die Serben ein Held: der Tennisprofi Novak Đoković. Bildrechte: imago images/ThomasReiner.pro

WimbledonSerbiens Novak Đoković: Der große Held eines kleinen Landes

12. Juli 2021, 15:19 Uhr

Novak Đoković, die Nummer eins der Tennisweltrangliste, ist mehr als ein Nationalheld für die Serben. Nach seinem 6. Wimbledonsieg am 11. Juli ist er kurz davor, der beste Tennisspieler aller Zeiten zu werden. Für die seit Jahrzehnten von Krisen erschütterte Nation sind seine Erfolge ein Trost – der Beweis, dass nichts unmöglich ist. In Wimbledon hat er jetzt die Chance, endgültig als GOAT hervorzugehen – als "The Greatest of All Time", als bester Tennisspieler aller Zeiten. Und zwar aller Welt zum Trotz.

von Andrej Ivanji, Belgrad

Die Serben lieben ihn. Der Rest der Welt kann ihn nicht ausstehen. Zumindest gewinnt man als Serbe diesen Eindruck. Denn wo immer Novak Đoković spielt und wer immer auch sein Gegner ist, das Publikum ist gegen ihn, pfeift ihn aus, feuert seinen Gegenspieler an. Das nationale Kollektivbewusstsein schlussfolgert: Alle sind gegen Serbien. Die Welt mag unseren "Nole" nicht, weil die Welt, das heißt der Westen, Serbien nicht mag.

So entstand der Mythos, dass Đoković siegt und siegt und siegt. Und wenn er eigentlich verlieren sollte, siegt er trotzdem, aller Welt zum Trotz. Dieser Mythos vom "trotzigen" Đoković bestätigt den Mythos vom "serbischen Trotz" als einer nationalen Eigenschaft. Getreu dem Motto: Ihr könnt uns alle mal. Auch wenn wir ein kleines Land sind, haben wir große Helden.

Der "trotzige" Novak Đoković hier bei den French Open im Juni 2021. Bildrechte: imago images/IP3press

Ist Novak Đoković vielleicht zu perfekt?

Dabei ist Novak Đoković (34) ein durchaus sympathischer, witziger und hochintelligenter junger Mann. Auf dem Tennisplatz ist er ein echter Sportsmann, außerhalb des Sportplatzes ein Showman, im Geschäft ein cleverer Businessman. In London spricht er Englisch, in Paris Französisch, in Madrid Spanisch, in Rom Italienisch. Seine Geschäftspräsentationen legt er so professionell im besten Englisch dar, dass er damit selbst Investmentbanker begeistert.

Đoković zeigt auch gesellschaftliches Engagement. Er hat eigene Stiftung gegründet, die die Bildung und Entwicklung von Kindern unterstützt. Als vor einigen Jahren eine Flutwelle den Balkan überschwemmte, stiftete er nicht nur Geld für Serbien, sondern auch für Kroatien sowie Bosnien und Herzegowina. Wir in Serbien können nicht verstehen, warum ihr ihn nicht alle liebt?

Vielleicht, weil der verheiratete Vater von zwei Kindern fast zu perfekt, irritierend vollkommen zu sein scheint. Für alle, außer für die Serben. Für sie ist er ein Vorbild. Die anderen, die ihn auspfeifen, wenn er Schmerzen hat und ein medizinisches Timeout nimmt, die ihm vorwerfen, dass seine Stiftung nur der Verbesserung seines Images dienen soll, die können uns mal.

Denn schon bis zum Jahresende könnte Novak Đoković unbestreitbar GOAT – The Greatest of All Time, der beste Tennisspieler aller Zeiten – werden.

Sieger der French Open 2021: Gönnt man ihm die Trophäe nicht? Bildrechte: imago images/Hasenkopf

Novak Đoković – The Greatest of All Time

Für diesen Titel fehlen ihm nur noch zwei Grand-Slam-Titel. Zwanzig hat er nun schon, ebensoviele wie seine Rivalen für den GOAT-Titel Roger Federer und Rafael Nadal. Die Grand-Slam-Turniere – Australian Open, French Open, Wimbledon Championships und US Open – sind sowohl in Bezug auf das Preisgeld, als auch auf die dort vergebenen Weltranglistenpunkte die am höchsten dotierten und dementsprechend wichtigsten Turniere im Spielplan. Wie dominierend die "drei Großen" sind, zeigt allein schon die Tatsache, dass sie zusammen 59 Grand-Slam-Titel gewonnen haben – in den letzten 17 Jahren hat nur neunmal jemand dazwischen gefunkt.

Boris Becker, der eine Zeit lang Trainer von Đoković war, hat beispielsweise "nur" sechs Grand-Slam-Titel in seiner Karriere gewonnen.

In vielen anderen Segmenten ist Novak Đoković schon jetzt der Rekordhalter: Sechs Saisons (2011, 2012, 2014, 2015, 2018 und 2020) beendete er auf dem ersten Platz (geteilter Rekord mit Pete Sampras). Wenn er bis zum Jahresende diese Position hält, wird er einsam an der Spitze sein. Außerdem hält er den Rekord mit den meisten Wochen auf dem Spitzenplatz mit derzeit 325 Wochen. In seiner Karriere gewann er bislang 84 Titel im Einzel sowie ein Turnier im Doppel.

Novak Đoković ist einer von nur drei Spielern, die jedes der vier Grand-Slam-Turniere mindestens zweimal für sich entscheiden konnten. Zudem ist er der einzige Spieler, der alle vier Grand-Slam-Turniere in Folge gewann und bis dato auch der einzige, dem ein Golden Masters, ATP Tour Masters 1.000, mindestens einmal gelang. 2016 übersprang Đoković als erster Tennisspieler in der Geschichte die Schwelle von 100 Millionen US-Dollar an Turnierpreisgeldern.

Doch das alles reicht nicht. Um allen Zweiflern zum Trotz der unbestrittene GOAT zu werden, wird er wenigstens den Grand-Slam-Rekord seiner zwei Rivalen brechen müssen. Die erste Chance wird er nun im Juli 2021 in Wimbledon haben. "Nole" ist der Favorit. Er spielt für seinen Platz in der Tennisgeschichte, er spielt für die Serben. Er ist der große Held eines kleinen Landes.

Đoković beweist, dass nichts unmöglich ist

Wir werden stundenlang vor den Fernsehern zittern, schreien, fluchen, und selbst wenn er sich in einer aussichtslosen Situation befindet, an seinen Sieg glauben. Denn wenn wir es schon nicht können, "Nole" kann alles. Er ist der lebendige Beweis, dass nichts unmöglich ist. Und wir wollen so sehr, dass ein Serbe der Größte aller Zeiten wird. Das würde die Hoffnung aufrechterhalten, dass es den seit über drei Jahrzehnten von Krisen geprägten Serben irgendwann besser gehen wird.

"Das mythische Narrativ von Đoković ist ein Narrativ über Leiden, fundiert auf der berühmten Geschichte, wir er in einem leeren Schwimmbecken trainiert während die Sirenen heulen und drum herum Nato-Bomben fallen, wo der kleine Junge immer weiter trainiert, obwohl es die größte militärische Allianz der Weltgeschichte auf ihn abgesehen hat. Sein ganzer Erfolg ist definiert durch das Narrativ über Schmerz, Leiden und dem dornigen Weg zum Erfolg", erklärt der Anthropologe Ivan Đordjević.

Und damit kann sich jeder Serbe identifizieren.

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Dieses Thema im Programm:MDR Aktuell | 04. Oktober 2016 | 17:45 Uhr