Polen, 08. Oktober 2018 Pädophile Priester, Intrigen, Machtmissbrauch: Der Film "Klerus" bricht mit polnischen Tabus

Im kontroversen Spielfilm "Klerus" werden Missstände in der katholischen Kirche wie Pädophilie, Intrigen und der Reichtum der Bischöfe angeprangert. Die Menschen stürmen die Kinos. In nur drei Tagen sahen den Film fast eine Million Polen. Kein anderer Film hat in den vergangenen 30 Jahren mehr Besucher in die polnischen Kinos gelockt. Nun läuft die Missbrauchsdebatte auf Hochtouren. MDR-Ostbloggerin Monika Sieradzka hat mit Kinobesuchern gesprochen.

Szene aus dem Film Klerus
"Klerus": Heizt die Debatte um sexuellen Missbrauch durch katholische Priester an Bildrechte: Bartosz Mroczkowsk/Kler

Man hätte sich kaum eine bessere Reklame für den Film vorstellen können: Schon zwei Monate vor der Premiere hatte der Streifen Schlagzeilen gemacht, als der Trailer mit einer angeblich scharfen Szene aus dem Netz entfernt wurde. In fraglicher Szene sah man einen Priester mit seiner Partnerin im Bett. Dabei ist das nur eines der Tabuthemen, die im Film angegangen werden, und zwar ein leichteres. Der Film nimmt vor allem die Pädophilie ins Visier und zeigt, wie die Kirche die Missbrauchs-Skandale vertuscht.

Eine heftige Debatte

Regisseur Wojtek Smarzowski hätte den Finger nicht schmerzhafter in die Wunde legen können. Die Kritik an den Missständen in der Kirche ist nicht nur für die Kirche selbst unakzeptabel, sondern auch für Millionen gläubige Menschen in Polen, die jeden Sonntag den Gottesdienst besuchen. Der Verband katholischer Journalisten hat den Film für "antikatholisch" und "antipolnisch" erklärt und in einigen Städten haben nationalkonservative Lokalpolitiker die Vorführung gestoppt. Der Ombudsmann für Menschenrechte untersucht, ob damit nicht die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird. Doch in den Warschauer Kinos wird der Film zehn Mal pro Tag oder noch häufiger gezeigt. Ich habe einige Zuschauer nach ihren Eindrücken gefragt.

Wojtek Smarzowski
Hätte die Finger nicht tiefer in die Wunde legen können: Regisseur Wojtek Smarzowski Bildrechte: IMAGO/Eastnews

Keine Transparenz der kirchlichen Finanzen

"Oberflächlich", sagt Dominik, Jurastudent, der vom Film "mehr Tiefe" erwartet hätte. Der Film beruhe tatsächlich auf Fakten, die die Öffentlichkeit schon kenne. So sei er zwar glaubwürdig, doch gleichzeitig klischeehaft. "Der Film bestätigt das, was man über die Kirche hört. Die Szenen mit dem Bischof, der mit hohen Geldsummen in Plastikbeuteln herumläuft, waren schon überspitzt und etwas kitschig, da musste ich lachen". Doch er finde es gut, dass der Film überhaupt entstanden ist, weil es ihn immer wieder empöre, dass die Finanzen der Kirche unüberschaubar sind und dass etwa von der Sonntagskollekte keine Steuern abgezogen würden.

Ein Filmplakat zum film "Kler" von Wojtek Smarzowski.
Besucheransturm: In nur drei Tagen sahen fast eine Million Polen den "Skandalfilm". Bildrechte: IMAGO/ZUMA Press

Das Pädophilie-Problem der Kirche

Ich spreche eine Frau an, die sich nach dem Film in einer offensichtlich nachdenklichen Stimmung ins Kinocafé setzt. Sie heißt Maria und arbeitet als Bankangestellte in einer kleinen Stadt in Schlesien. Sie nutzt ihre Dienstreise nach Warschau, um den Film zu sehen. "Bei uns würde sofort unser Priester erfahren, wer den Film gesehen hat. Ich will nicht, dass meine Kinder danach Probleme in der Schule bekommen." Der Priester habe die Gemeinde bei der Sonntagspredigt davor gewarnt, sich den Film anzusehen. Er sei ein Teufelswerk. Doch Maria hat, wie sie sagt, viel über die Skandale in der Kirche gelesen und findet es gut, dass die Missstände jetzt endlich offen angesprochen werden. "Ich gehe jeden Sonntag in die Kirche, weil ich an Gott glaube, aber die Arroganz der Bischöfe kann ich nicht leiden. Vielleicht werden sie jetzt wach und werden wenigstens die Pädophilen aus der Kirche entlassen", sagt sie hoffnungsvoll. Doch sie glaubt, dass noch viele Jahre vergehen werden, bis so etwas in Polen tatsächlich passiert.

Ich frage Maria, was sie davon hält, dass die Bischöfe jetzt einen Bericht zur Pädophilie in der Kirche ankündigen, der noch in diesem Jahr erscheinen soll. Will wissen, ob das aus ihrer Sicht ein Zeichen dafür sei, dass die Bischöfe "wach“ geworden sind? "Jetzt merken sie vielleicht, dass sie in der Frage aktiv werden müssen und wollen zeigen, dass sich in der Sache etwas tut. Wenn sie aber für diesen Bericht nur eigene Leute, eigene Experten nehmen, dann wird wieder alles vertuscht", meint Maria.

Szene aus dem Film Klerus
Trotz Zölibat: Einer der Protagonisten hat eine heimliche Beziehung zu einer Frau. Bildrechte: Bartosz Mroczkowsk/Kler

Ein Spiegel der Gesellschaft

Eine Frau Mitte 50 sagt mir, es sei eigentlich ein Film über Polen, über den Zustand unserer Gesellschaft. "Wir haben im Film gesehen: Der Priester darf betrunken Auto fahren und der Polizist hat Angst ihn zu bestrafen, weil der Polizeichef für gute Beziehungen mit der Kirche sorgt. Seilschaften und Korruption überall, genauso ist es im wirklich Leben." "Schockierend und abscheulich" findet sie die Mauer des Schweigens in den Familien, die den sexuellen Missbrauch der eigenen Kinder dulden. Der Film "Klerus" liefert auch dafür Beispiele.  

Der Ticketverkäufer im Warschauer Kino, der hier nur gelegentlich arbeitet und sonst Soziologie studiert, erzählt mir, was er schon an Reaktionen erlebt hat. Einige Leute würden von einer "Schande" sprechen und fürchteten, dass der Film der Kirche schaden könnte. Er sieht das nicht so. "Einer der Hauptprotagonisten, der pädophile Priester, bekennt irgendwann seine Schuld und will sein Leben ändern. Das ist also kein total negatives Bild der Kirche." Er meint, dass die Priester im Film, zumindest einige von ihnen, nicht wie Monster sondern wie normale Menschen dargestellt würden. "Das habe ich auch meiner Mutter erklärt und sie hat sich schließlich überwunden, sich den Film anzuschauen, obwohl sie anfangs empört war, dass es ihn überhaupt gibt", sagt der 26-Jährige.

Szene aus dem Film Klerus
Machtmissbrauch: Im Film nehmen katholische Geistliche gerne auch Geld in die Hand, um so Einfluss auf die Politik zu üben. Bildrechte: Bartosz Mroczkowsk/Kler

Keine offiziellen Zahlen zum Missbrauch

"Klerus" hat der bislang vagen Debatte über die Missstände in der Kirche enormen Schwung verliehen. Plötzlich ist das Thema in allen Medien präsent. Die Tageszeitung "Rzeczpospolita" veröffentlichte eine Umfrage, in der vier Fünftel der Befragten die Pädophilie in der Kirche problematisch finden. Die Warschauer Stiftung "Fürchtet Euch nicht" ("Nie lękajcie się"), die dem Regisseur des Films "Klerus" inhaltlich zur Seite stand, hat mehr als 300 Missbrauchsfälle von Priestern dokumentiert. Doch offizielle Zahlen zum Missbrauch in der polnischen Kirche gibt es nicht. 


Über dieses Thema berichtet MDR AKTUELL auch im: TV | 12.10.2018 | 17:45 Uhr

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