Wahlkampfauftakt in der Ukraine: Poroschenko kämpft ums Überleben
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Mit dem Jahreswechsel hat der offizielle Wahlkampf zur Präsidentschaftswahl in der Ukraine begonnen. Der amtierende Präsident Poroschenko liegt trotz Kriegsrecht und erfolgreicher Abspaltung der ukrainischen Kirche von Russland hinter der Favoritin Timoschenko zurück. Und dann ist da ja noch der Komiker Selenskyj...
Anders als in den meisten europäischen Staaten ist Neujahr der wichtigste Winterfeiertag in der Ukraine. Doch noch wichtiger war dieses Mal der Silvestertag in der Ukraine. Denn exakt drei Monate später, am 31. März, findet der erste Wahlgang der ukrainischen Präsidentschaftswahlen statt. Weil bislang keiner der potenziellen Kandidaten es in den unterschiedlichsten Umfragen in die Nähe der 50-Prozent-Marke schafft, geht man in der Ukraine bereits von einer Stichwahl aus – und es bleibt völlig offen, wer in dieser gegen wen antreten wird. Am 31. Dezember hat offiziell der Wahlkampf begonnen, obwohl die massive Wahlwerbung spätestens seit dem Frühsommer nicht zu übersehen ist.
Tritt Poroschenko erneut an?
Die endgültige Liste aller Kandidaten soll bis zum 9. Februar stehen. Ob allerdings der amtierende Präsident Petro Poroschenko, der in den Umfragen deutlich hinter der Favoritin und zweimaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko zurückliegt, antreten wird – daraus macht er weiterhin ein Geheimnis. Auf einer Pressekonferenz Mitte Dezember meinte der 53-Jährige, er könnte theoretisch auf eine Kandidatur verzichten, falls es einen besseren Kandidaten geben sollte. Daran glaubt aber in Kiew kaum jemand. Zum einen wegen der massiven Wahlwerbekampagne, die Poroschenko unter den Slogans "Armee, Sprache, Glauben" und "Weg von Moskau" führt. Zum anderen wegen der Ereignisse der letzten Wochen, die Poroschenko eigentlich in die Hände spielen sollten.
Kriegsrecht und nationale Kirche als Trumpf im Vor-Wahlkampf
Dabei geht es vor allem um die Ausrufung des 30-tägigen Kriegsrechts in zehn ukrainischen Gebieten zwischen dem 26. November und dem 26. Dezember. Das geschah als Reaktion auf den Vorfall vor der Straße von Kertsch, als Russland auf ukrainische Militärschiffe schoss, die ins Asowsche Meer fahren wollten. Im politischen Kiew war der Verdacht groß, Poroschenko wolle mit der Verhängung des Kriegsrechts die Präsidentschaftswahlen verschieben. Denn eigentlich sollte das Kriegsrecht sogar für zwei Monate gelten und dann wäre es mit dem Wahlkampf kollidiert. Gesetzlich ist das nicht zulässig Die Umfragen zeigen jedoch, dass die Themen Kriegszustand und Armee zwar viel diskutiert wurden, aber die Ausrufung des Kriegsrechts viereinhalb Jahre nach Beginn des Donbass-Krieges bei der Bevölkerung nicht so gut ankam. Einer aktuellen Umfrage des unabhängigen Ukrainischen Instituts für soziale Studien zu Folge unterstützen nur 24,9 Prozent den Schritt, 64,9 Prozent sind dagegen, weitere 10,2 Prozent bleiben unentschlossen.
Anders ist es bei der Gründung der neuen vereinten ukrainischen orthodoxen Kirche Mitte Dezember. Diese Entwicklung wird von der Bevölkerung sehr stark als Erfolg Poroschenkos gewertet. Der Präsident saß u.a. im Präsidium des Vereinigungskonzils. Ist dieser Erfolg aber angesichts der Wahlen wichtig genug? Die offizielle Gründung der ukrainischen Nationalkirche war noch nicht vollzogen, das Kriegsrecht aber bereits in Kraft, als ein zweites unabhängiges Kiewer Institut, das KISS (Kiewer Institut für internationale Studien), seine Präsidentschaftsumfrage startete.
Umfragen: Timoschenko auf Platz eins
Demnach wollten Anfang Dezember nur noch 7,2 Prozent der Befragten Poroschenko (Block Poroschenka) als neuen Präsidenten wählen. Im Vormonat waren es noch acht Prozent. Damit liegt Poroschenko auf dem dritten Platz. Auf Rang eins steht nach wie vor Julia Timoschenko (Vaterlandspartei), wenngleich auch sie von 16 Prozent auf 13,1 Prozent abrutschte.
Es bleibt demnach unwahrscheinlich, dass Poroschenko Timoschenko im ersten Wahlgang überholen kann. Vielmehr kämpft er mit weiteren potenziellen Kandidaten um den zweiten Rang der Wählergunst. Das wären der Schauspieler und Komiker Wolodymyr Selenskyj (9%), der Kandidat der neu geschaffenen Oppositionsplattform Jurij Bojko (6,8%), der Anführer der Radikalen Partei Oleh Ljaschko (5,4%) und der liberale Ex-Verteidigungsminister Anatolij Hryzenko (5,1%) – sie alle sind heiße Kandidaten beim Einzug in die wahrscheinliche Stichwahl.
Komiker als neuer Präsident ?
Vor allem die Person Selenskyj bleibt spannend. Viele haben damit gerechnet, dass der Fernsehkomiker, der den ukrainischen Präsidenten in der Satire-Serie "Diener des Volkes" spielt, als nicht seriös genug abgestempelt wird, doch in Wirklichkeit verliert Selenskyj nicht an Prozentpunkten. Seine Kandidatur hat der Gründer des in der Ukraine sehr erfolgreichen Filmstudios "Kwartal 95" noch nicht angekündigt, mittlerweile ist aber von einer solchen fest auszugehen. Selenskyj hätte Umfragen zufolge in der Stichwahl gegen jeden Kandidaten eine Chance; Timoschenko wiederum würde die Stichwahl gegen Poroschenko derzeit gewinnen. Allerdings bleibt die Anzahl der Unentschlossenen enorm hoch – was typisch für das politische Chaos in der Ukraine ist.
Das große Wahlrennen, das den Beginn des Jahres im politischen Kiew bestimmen wird, ist also weiterhin komplett offen. Nicht zu vergessen auch, dass 2019 neben den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr dann im Herbst die Parlamentswahlen stattfinden werden – und zumindest auf dem Papier sind Parlament und Regierung in der Ukraine viel mächtiger als der Präsident.
Sollte Timoschenko in der Tat zur Präsidentin gewählt werden, müsste sie also noch ein halbes Jahr mit dem aktuellen Parlament zusammenarbeiten, was sich schnell als ein großes Problem erweisen könnte, denn die derzeitige Parlamentsmehrheit steht zumindest auf dem Papier hinter Poroschenko. Auf die Ukraine wartet also ein spannendes politisches Jahr.
Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im TV: 27.11.2018 | 19:30 Uhr