Ukrainischer Komiker und Präsidentschaftskandidat Wolodymyr Selenskyj in seiner Rolle als Präsident Goloborodko
Kurz vor dem ersten Wahlgang lief im ukrainischen TV eine Satire-Serie an, in der Präsidentschaftskandidat Wolodymyr Selenskyj bereits das Staatsoberhaupt spielt. Bildrechte: Kwartal 95

Ukraine: Heimspiel der Oligarchen im Fernsehen

15. April 2019, 18:19 Uhr

77 Prozent der Menschen in der Ukraine informieren sich laut einer Studie der Medienorganisation "Internews Ukraine" durch das Fernsehen. Dieses wird allerdings fast komplett von Oligarchen kontrolliert. Das macht sich vor allem jetzt im Wahlkampf bemerkbar.

So etwas kann man sich woanders kaum vorstellen: In der Woche vor dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl läuft auf einem großen ukrainischen Fernsehsender die neue Staffel einer Satire-Serie, in der der aussichtsreichste Präsidentschaftskandidat das Staatsoberhaupt spielt. Die Rede ist von Wolodymyr Selenskyj, dem nun großen Favoriten für die Stichwahl am 21. April 2019. Sein plötzlicher politischer Erfolg hat viel mit der Serie "Diener des Volkes" zu tun. Diese läuft seit 2015 auf 1+1, dem zweitwichtigsten Fernsehsender der Ukraine, der dem Oligarchen Ihor Kolomojskyj gehört. Offenbar unterstützt er den TV-Wahlkämpfer Selenskyj. Immerhin gehört Kolomojskyj zu den Erzfeinden des Amtsinhabers Petro Poroschenko.

Oligarchen kontrollieren die Top 6

Obwohl die verdeckte Wahlwerbung durch "Diener des Volkes" ein eher extremes Beispiel ist, unterscheidet sich 1+1 kaum von fünf weiteren Sendern, die zu den sogenannten Top 6 der ukrainischen Fernsehlandschaft gehören. Sie werden nämlich alle von wichtigen Oligarchen kontrolliert. So gehört TRK Ukrajina, der seit Jahren die besten Quoten vorweist, dem reichsten Mann des Landes, Rinat Achmetow. Wiktor Pintschuk kann gleich mit drei Sendern punkten: ICTV, STB und Nowyj Kanal. Die Top 6 wird von Inter komplettiert, dem einst führenden Sender des Landes, der wiederum Dmytro Firtasch gehört.

Unerwartete Allianzen

Die politische Ausrichtung der Sender entspricht meist den Interessen des jeweiligen Eigentürmers. Der aus Donezk stammende Rinat Achmetow kam mit Kohle- und Bankgeschäften an sein Vermögen und gehörte früher zu den größten Geldgebern der Partei der Regionen rund um Wiktor Janukowitsch, der während der Maidan-Revolution 2014 nach Russland geflohen ist. Achmetow unterstützte bei der Präsidentschaftswahl einerseits den Chef der nominell nationalistischen Radikalen Partei und Politclown Oleh Ljaschko sowie andererseits Olexander Wilkul, der für den russischsprachigen Osten des Landes steht. Auf dem Papier könnten sie kaum unterschiedlicher sein – und doch bekamen sie gemeinsam auf TRK Ukrajina viel Sendezeit. Mit dem Präsidenten Poroschenko pflegt Achmetow zudem angeblich gute Beziehungen. So überraschte es kaum, dass der Sender des Oligarchen im Januar etwa die sogenannten "Weihnachtstreffen mit dem Präsidenten" übertrug. Zu sehen war, wie Poroschenko auf drei einfache Familien mit unterschiedlichem Hintergrund traf.

Der vor allem mit Stahlröhren reich gewordene Schwiegersohn von Ex-Präsident Leonid Kutschma, Wiktor Pintschuk, der sich heute dem Publikum als Kunstmäzen präsentiert, blieb während des Wahlkampfs überwiegend neutral. Kritik an Präsident Poroschenko wurde eher leise geäußert. So waren bei den Talkshows mit seiner Teilnahme fast nur Poroschenkos Verbündete als weitere Gäste anwesend. Dmytro Firtaschs Sender Inter wiederum unterstützte den prorussischen Kandidaten Jurij Bojko, was kaum jemanden überraschte. Der in Wien lebende Oligarch, der unter anderem vom russisch-ukrainischen Gasgeschäft profitierte und dem von den USA gigantische Schmiergeldzahlungen vorgeworfen werden, spielt in der ukrainischen Politik nach wie vor eine Rolle – und richtet sich eher nach Moskau aus.

Poroschenko investiert vergeblich

Petro Poroschenko selbst investierte zuletzt viel über einen Mittelsmann in den Fernsehsender Prjamyj, der sein Büro im teuersten Businesszentrum Kiews hat und darüber hinaus noch über ein schickes Talkshow-Studio verfügt. Als Informationssender kann Prjamyj, wo Poroschenko stets gelobt wird, kaum mit den Großen mithalten. Der Marktanteil liegt trotz großzügiger Investitionen bei rund einem Prozent und ist damit eher enttäuschend. Der weitere Sender Poroschenkos, Kanal 5, war 2004 das Sprachohr der Orangen Revolution. Dieser ist aber noch weniger erfolgreich und kommt meist nicht mal in die Top 30 der meist gesehenen Sender.

Öffentlicher Sender ein Dorn im Auge

Die Ukraine kann zwar mit einer vielfältigen Fernsehlandschaft glänzen – von der politischen Unabhängigkeit der wichtigsten Kanäle kann aber keine Rede sein. Die meisten von ihnen dienen einzig und allein dem Interesse des jeweiligen Eigentümers. Um diese Ausgangslage zu ändern, wurde im April 2015 der öffentliche Sender UA Perschyj gestartet, in dem unter anderem kritische Antikorruptionssendungen laufen. Im Wahlkampf hat UA Perschyj zudem versucht, echte politische Debatten mit kritischen Journalisten hinzubekommen.

Unter den Top-Kandidaten stellte sich jedoch nur Ex-Verteidigungsminister Anatolij Hryzenko den Fragen. Der Versuch einer unabhängigen Berichterstattung ist vielen ein Dorn im Auge: Surab Alassanija, der Chef des Senders, muss seinen Posten am 6. Mai räumen, obwohl er einen gültigen Vertrag für zwei weitere Jahre hatte. Alassanija zufolge hat seine Entlassung mit mangelnden Berichten über Petro Poroschenko zu tun. Er reichte Klage gegen seine Entlassung ein.

Putin-Freund ebenfalls in TV-Landschaft vertreten

In Sachen Informationssender ist auch Wiktor Medwedtschuk gut aufgestellt. Er ist ein persönlicher Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin. 2018 hat Medwedtschuk über einen Mittelsmann die Sender Kanal 112 und News One erworben. Seitdem standen sie grundsätzlich auf der Seite des prorussischen Kandidaten, Jurij Bojko. Außerdem berichteten sie überraschend viel über Petro Poroschenko – mit einem durchaus positiven Unterton.

Über dieses Thema berichtete der MDR Aktuell auch im TV: 31.03.2019 | 19:30 Uhr

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