Ukrainer in russischer Haft: Hungern für die Freiheit
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Seit mehr als 40 Tagen hungert der in Russland inhaftierte ukrainische Filmregisseur Oleh Senzow für die Freilassung ukrainischer Häftlinge in Russland. Doch der Kreml zeigt sich bislang unbeeindruckt.
Seit gut anderthalb Wochen befindet sich Russland im Ausnahmezustand. Zehntausende Fans bevölkern die Innenstädte des Landes. Die anfängliche Angst davor, die Fußball-WM könne zu einem Flop werden, ist längst verflogen. Ausnahmezustände anderer Art in Russland werden kaum wahrgenommen. Beispielsweise, dass sich in Labytnangi, einer Kleinstadt am Polarkreis, der ukrainische Filmregisseur Oleh Senzow seit mehr als 40 Tagen im Hungerstreik befindet. 20 Jahre soll der Ukrainer in der Strafkolonie verbringen. Ein Gericht in Russland hatte ihn für schuldig befunden, Terroranschläge auf der Krim geplant zu haben, nachdem Russland die Halbinsel vor vier Jahre annektierte. Mit seinem Hungerstreik will Senzow jedoch nicht seine eigene Freilassung erzwingen, sondern die von etwa 70 Ukrainern, die als politische Häftlinge in russischen Gefängnissen sitzen.
Hungerstreik oder Heilfasten?
Nach Angaben der ukrainischen Menschenrechtsbeauftragten Ljudmyla Denisowa, ist Oleh Senzows Gesundheitszustand mittlerweile kritisch. "Oleh sieht sehr schlecht aus, steht aus seinem Bett fast nicht mehr auf. Die Ärzte berichten, dass seine Rezeptoren langsam versagen. Eine gesundheitliche Krise wäre jederzeit möglich", sagt sie und beruft sich auf den russischen Anwalt des Gefangenen, Dimitrij Dinse, der Senzow besucht hat. Nach dessen Angaben hat Senzow mittlerweile Probleme mit Herz und Nieren. Um den Tod des Regisseurs zu verhindern, soll er notfalls zwangsernährt werden. Ein ganz anderes Bild zeichnet die russische Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa. Folgt man ihrer Darstellung, dann nimmt Senzow freiwillig alle nötigen Vitamine, habe sogar etwas zugenommen. Moskalkowa spricht von Heilfasten.
Das Problem mit der Staatsbürgerschaft
Die Situation ist vertrackt. Der 41-jährige Oleh Senzow war auf der Krim gemeldet. Nach der Annexion der Halbinsel durch die Russen bekam jeder Bewohner automatisch die russische Staatsbürgerschaft, wenn er nicht innerhalb eines Monats schriftlich darauf verzichtete. Das hatte Senzow versäumt. Deshalb betrachtet ihn Moskau nun als russischen Staatsbürger, ebenso wie einen Teil der in Russland inhaftierten Ukrainer, deren Freilassung Senzow fordert. Das macht einen Austausch beispielsweise gegen russische Kämpfer in ukrainischen Gefängnissen schwierig. "Nach dem jetzigen Stand der Gesetze ist es unmöglich, Häftlinge mit russischer Staatsbürgerschaft an ein anderes Land zu übergeben. Dazu braucht es eine Sondervereinbarung", so die russische Menschenrechtsbeauftragte Moskalkowa.
Reden ohne Konsequenzen
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin haben in der Sache wiederholt telefoniert, auch die Menschenrechtsbeauftragten beider Länder tauschen sich aus. Konkretes kam dabei bislang nicht heraus. Wladimir Putin beharrt darauf, dass es sich bei Senzow um einen Schwerverbrecher handelt. Den russischen Sicherheitsbehörden zufolge soll er unter anderem ein Attentat auf das Büro der Regierungspartei "Einiges Russland" in Simferopol geplant haben. Einziger "Beweis" dafür sind die Aussagen zweier ebenfalls verhafteter Ukrainer. Einer der Männer behauptet, man habe die Aussage von ihm erpresst.
Die offizielle russische Linie in der Causa Senzow hat Kremlsprecher Dmitrij Peskow kürzlich bekanntgegeben. Bevor man über einen Gefangenenaustausch sprechen könne, müsse der ukrainische Filmregisseur beim russischen Präsidenten um Begnadigung bitten. Senzows russischer Anwalt Dmitrij Dinse schließt aus, dass sein Mandant dies tun wird.
Auch andere im Hungerstreik
Senzow ist übrigens nicht der einzige Ukrainer in russischer Haft, der sich im Hungerstreik befindet. Olexander Schumkow, dem die russischen Behörden vorwerfen, Mitglied im "Rechten Sektor" zu sein, einer in Russland verbotenen Organisation, verweigert seit vier Wochen die Nahrungsaufnahme. Und auch der ukrainische Aktivist Wolodymyr Baluch, der auf der Krim Waffen und Bomben beschafft haben soll, befindet sich seit mehr als drei Monaten im partiellen Hungerstreik.
Ukrainische Außenministerium könne mehr tun
Die Kiewer Journalistin Olexandra Jefimenko findet, dass man den Ukrainern, die in russischen Gefängissen sitzen, zu wenig Beachtung schenkt. Im Westen, aber auch in der Ukraine selbst. Wichtig sei, dass man nicht nur Senzow und Baluch, sondern alle politischen Gefangenen im Blick behalte. Auch von Senzows Cousine Natalja Kaplan kommt Kritik. Aus ihrer Sicht unternimmt das ukrainische Außenministerium zu wenig, um das Thema international prominent darzustellen. Die Fußball-WM in Russland habe dafür große Möglichkeiten geboten.
Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im: TV | 25.08.2015 | 21:19 Uhr