
Wahl in Albanien Edi Rama: Europäer, Selbstdarsteller, Machtmensch
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10. Mai 2025, 14:26 Uhr
Der 61-jährige Edi Rama ist der am längsten amtierende Premierminister Albaniens. Am 11. Mai wird seine Partei aller Voraussicht nach zum vierten Mal in Folge die Wahlen gewinnen und erneut die absolute Mehrheit im Parlament erringen. Für die einen ist Rama ein Autokrat, der die Macht an sich reißt. Für die anderen ist er ein Kosmopolit, der das Land in die Europäische Union führen wird.
Großen Schrittes gleitet er durch die Menge. Ein hochgewachsener Mann, weißer Bart, schwarzes Basecap. Auf seinem Pullover leuchtet ein gelber Stern. Manche weichen ihm aus, andere strecken ihm die Hand entgegen. Es ist Sonntagabend in der Stadt Korça im Osten des Landes. Die Luft ist warm, aus den Boxen dröhnt albanischer Hiphop. Doch wer ist Edi Rama, der Mann, der sich wie ein Popstar feiern lässt?
Albanien ist gespalten
Fest steht: Edi Rama polarisiert, und das in einem Land, das ohnehin tief gespalten ist. Die Trennlinie verläuft zwischen der regierenden Sozialistischen Partei (PS) und der oppositionellen Demokratischen Partei (PD). Die Lagerbildung prägt nicht nur die staatlichen Institutionen, sondern auch die Medien. Der öffentliche Diskurs wird zunehmend von parteipolitischer Rhetorik und Desinformation bestimmt.
Vor diesem Hintergrund fällt es schwer, eine eindeutige Bilanz zu ziehen – auch weil in Albanien Fortschritt und Rückschritt oft nah beieinander liegen. So hat der Premierminister mit großem politischem Aufwand eine Justizreform durchgesetzt, die mit der Einrichtung einer Sonderstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität einherging. Seither wurden Politiker beider Lager verhaftet – zuletzt der Bürgermeister der Hauptstadt Tirana, Erion Veliaj, der eigentlich schon als möglicher Nachfolger Ramas gehandelt worden war. Für Ramas Anhänger war dies ein Beweis für seinen erfolgreichen Kampf gegen die Korruption. Kritiker werfen ihm dagegen vor, die Behörde für politische Zwecke zu instrumentalisieren, um die innerparteiliche Konkurrenz auszuschalten. Beweise für eine direkte Einflussnahme Ramas auf die Ermittlungen gibt es allerdings nicht.
EU-Beitritt bis 2030?
Eine funktionierende Justiz gilt als Schlüsselvoraussetzung für den EU-Beitritt Albaniens – und der bleibt Ramas erklärtes Ziel. Die Albaner gelten als glühende Europäer, eine deutliche Mehrheit befürwortet die EU-Mitgliedschaft. Doch der Beginn der Beitrittsverhandlungen hatte sich immer wieder verzögert – Vetos einzelner Mitgliedsstaaten strapazierten die Geduld der Bevölkerung. Vielleicht formuliert Rama sein Wahlversprechen deshalb besonders konkret: Bis 2030 soll Albanien EU-Mitglied sein. Viele Experten halten das für überambitioniert.
Und doch: Nach zwölf Jahren an der Macht gilt Rama als der Einzige, dem dieses Vorhaben gelingen könnte. Kein anderer Kandidat verfügt über eine vergleichbare Erfahrung oder ein ähnlich engmaschiges Netzwerk auf dem internationalen Parkett. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte ihn bei einer Pressekonferenz im Oktober 2024 schlicht "lieber Edi". Zahlreiche Fotos zeigen ihn in vertrauter Pose, mal mit dem ehemaligen niederländischen Premierminister Mark Rutte, mal mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Und die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni soll mindestens einen Sommerurlaub mit ihrer Familie in Ramas Sommerresidenz verbracht haben.
Wahlslogan: Nur mit Edi
Wenig überraschend lautete der Wahlslogan: "Vetëm me Edin" – Nur mit Edi. Tatsächlich drängt sich zunehmend der Eindruck auf, dass sich alles um ihn dreht. Ehemalige Parteimitglieder beklagen eine wachsende Machtkonzentration, die Züge von Alleinherrschaft trage. Rama entscheide über Aufstieg und Fall seiner Parteikollegen, besetze zentrale Positionen und wähle neue Abgeordnete aus. Schon so manche politische Karriere habe mit einem "Anruf von Edi" begonnen. Auch parteiintern gilt es als nahezu ausgeschlossen, dass ein anderer an die Spitze aufrückt.
Ramas Erfolg kann überraschend wirken angesichts der Tatsache, dass die PS kein erkennbares Parteiprogramm hat und keine klare ideologische Linie verfolgt. Stattdessen setzt der Regierungschef auf Selbstinszenierung: Bei internationalen Auftritten kombiniert er Anzug und weiße Turnschuhe – ein modisches Statement, das die Botschaft eines modernen, weltoffenen Albaniens nach Europa senden soll. Gewisse Freiheiten genießt er auch deshalb, weil er nicht nur Politiker ist, sondern auch ehemaliger Basketball-Nationalspieler und international anerkannter bildender Künstler.
Politik als Performance
Beim EU-Westbalkan-Gipfel im Oktober 2023 in Tirana überreichte er den anwesenden europäischen Staats- und Regierungschefs jeweils eine PizzaSchachtel, auf der er als Koch abgebildet war. Darin befand sich ein von ihm gestalteter Keramikteller sowie eine Botschaft in der jeweiligen Landessprache des Empfängers. Rama bricht mit traditionellen politisch-diplomatischen Normen. Er ist der Unkonventionelle – und ein PR-Genie. Denn während man im eigenen Land noch über die Angemessenheit seines Verhaltens diskutierte, hatte er bei seinen Gesprächspartnern längst Sympathien gewonnen.
Fast schon legendär ist eine Aktion aus seiner Zeit als Bürgermeister von Tirana: Damals ließ er heruntergekommene Gebäude in leuchtenden Farben streichen. Nach dem Ende des stalinistischen Regimes und den Unruhen der 1990er Jahre sollten die bunten Fassaden eine neue Ära einläuten. Kritiker warfen ihm vor, nur das äußere Erscheinungsbild der Stadt zu verschönern, während die Gebäude hinter den bunten Fassaden weiter verfielen.
Heute ist Tirana eine lebendige europäische Hauptstadt mit futuristischen Hochhäusern. Und Rama hat sich vom Bürgermeister über das Kulturministerium bis zum Regierungschef emporgearbeitet. Doch seine Strategie ist die gleiche geblieben: Er inszeniert die Modernisierung so lange, bis sie dann tatsächlich kommt. So gelang ihm zwar der Imagewandel Albaniens vom "Armenhaus Europas" zur beliebten Tourismusdestination, doch Bereiche wie Bildung und Gesundheit blieben auf der Strecke.
Geschwächte Opposition
Bei seiner als sicher geltenden Wiederwahl dürfte Rama auch von einer geschwächten Opposition profitieren. Denn auch gegen den Parteichef der Demokratischen Partei (PD), Sali Berisha, wird wegen Korruption ermittelt. Er soll während seiner Amtszeit als Premierminister öffentliche Mittel veruntreut und seine politische Macht zur persönlichen Bereicherung missbraucht haben. Bis November 2024 stand er deshalb unter Hausarrest. Berisha bezeichnet die Ermittlungen als politisch motivierte Verfolgung. Allerdings haben auch die USA und Großbritannien wegen Korruptionsverdachts und Verbindungen zur organisierten Kriminalität Einreiseverbote gegen ihn verhängt.
Infrastruktur als Wahlgeschenk
Bei den Parlamentswahlen 2021 hatte Edi Rama vor allem mit dem Ausbau der Infrastruktur gepunktet – neue Schnellstraßen, Tunnel und ein neuer Flughafen in Kukës im Norden des Landes versprachen wirtschaftlichen Aufschwung durch bessere Verkehrsanbindung. Kurz vor der Wahl flog Edi Rama medienwirksam aus London ein und landete auf dem neu eröffneten Flughafen. Doch vier Jahre später liegt er brach – offiziell wegen technischer Probleme. Tatsächlich dürfte es vor allem an mangelnder Nachfrage gelegen haben.
Doch auch bei dieser Wahl landete drei Tage vor dem Urnengang ein erster Testflug auf einem neuen Flughafen – diesmal in Vlora im Süden des Landes. Dieser ist umstritten, weil er im Delta eines Fluss-Nationalparks liegt. Umweltschützer schlagen Alarm und auch aus der EU regt sich Kritik. Ob diese Symbolpolitik langfristig funktioniert und 2030 noch Flugzeuge in Vlora landen, bleibt abzuwarten.
MDR (baz)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR um 4 | 12. Mai 2025 | 16:00 Uhr