
Polen Angriff auf Danzigs OB vertieft Gräben zwischen den Polen
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14. Januar 2019, 18:47 Uhr
Der Danziger Oberbürgermeister Paweł Adamowicz war einer der prominentesten Politiker in Polen. Der 53-Jährige erlag am Montag den schweren Stichverletzungen, die ihm ein Attentäter am Sonntagabend während einer Spendengala zugefügt hatte. Auch wenn es sich eher um die Tat eines Einzelnen zu handeln scheint, so sehen dennoch viele in dem Angriff ein Symptom für die politische Lage im Land. Die Tat vertieft die Gräben zwischen den Polen.
Paweł Adamowicz steht auf einer Bühne – vor ihm ein Meer aus Wunderkerzen. So wie die meisten hält auch der Oberbürgermeister der Stadt Danzig am Abend des 13. Januar eine Kerze in der Hand. Die Veranstaltung "Lichter zum Himmel" sollte der Höhepunkt einer landesweiten Spendenaktion werden und endete tragisch.
Zeuge: "Der war auch noch stolz"
"Das ging alles so schnell", sagt Krzysztof Wojtczyk. Der Kameramann stand vor der Bühne und hatte an diesem Abend gefilmt. "Auf der Bühne tauchte plötzlich eine Person auf, bahnte sich den Weg durch die Menschen, die dort standen und rannte zum Oberbürgermeister. Mit voller Wucht stach der Mann dem Bürgermeister mehrmals in die Brust, bis dieser zusammenbrach. Dann nahm der Angreifer das Mikrofon und gab bekannt, er habe Rache für einen Gefängnisaufenthalt geübt. Das war gut hörbar, aber nicht alle haben sofort verstanden, was dort passiert", erzählt der Kameramann weiter.
Der brüstete sich sogar noch mit seiner Tat, stolzierte auf der Bühne umher, reckte die Hände in die Luft: in einer Hand das Mikrofon, in der anderen das Messer.
Es habe eine große Verängstigung in der Masse gegeben, erzählt der Kameramann Wojtczyk. "Alle fragten einander, was passiert, denn das ging alles so schnell vor sich."
Danziger standen für Blutspende Schlange
Der Tatverdächtige wurde noch auf der Veranstaltung festgesetzt. Paweł Adamowicz musste wiederbelebt und über mehrere Stunden notoperiert werden. Am Montagnachmittag wurde bekannt, dass der 53-jährige Vater zweier Kinder seine schweren Verletzungen erlegen ist. Wie das Krankenhaus mitteilte, war Adamowicz an mehreren Organen verletzt worden. Der Blutverlust sei sehr groß gewesen. Die Ärzte hatten noch am Sonntagabend zu Blutspenden aufgerufen, zahlreiche Menschen waren daraufhin zum Danziger Blutspendezentrum gekommen.
Spendenfest sollte Höhepunkt landesweiter Sammelaktion werden
Die Bilder vom Sonntagabend schockieren: Nicht nur, weil die Security-Männer viel zu spät eingriffen. Auch, weil es eigentlich ein fröhliches Fest werden sollte. Denn einmal im Jahr sammeln Tausende Freiwillige in Polen Geld für den guten Zweck. Keiner kann sich ihnen mit ihren Sammelboxen an diesem Tag entziehen. Organisiert wird der Spendentag vom "Großen Orchester der Weihnachtshilfe", in diesem Jahr bereits zum 27. Mal – es ist die bekannteste und wohl auch die größte landesweite Wohltätigkeitsaktion in Polen, an der sich fast alle Gemeinden beteiligen, von einer Großstadt wie Danzig bis hin zum kleinsten Ort in der Provinz. Und so gab es auch in Danzig am Abend den Höhepunkt der Festveranstaltung, wo "Lichter zum Himmel" geschickt werden sollen – als Dankeschön für die Helfer.
Politische oder persönliche Rache?
Adamowicz zählte zu den prominentesten Politikern in Polen. Bis 2015 gehörte er zu den bekanntesten Mitgliedern der ehemaligen Regierungspartei "Bürgerplattform", die inzwischen die größte Oppositionskraft im Parlament darstellt. Bei der Kommunalwahl im Herbst 2018 trat der inzwischen parteilose Adamowicz ebenfalls mit ihrer Unterstützung an. Für den 27-jährigen Tatverdächtigen war das möglicherweise Grund genug, ihn niederzustechen. Denn unter der damaligen Regierung der "Bürgerplattform" war der Mann 2013 wegen eines bewaffneten Raubüberfalls zu mehreren Jahren Haft verurteilt worden.
Laut Polizei soll der mutmaßliche Täter auch in psychiatrischer Behandlung gewesen sein. Auch wenn zunächst ein politischer Hintergrund angenommen werden konnte, scheint es inzwischen doch eher die Einzeltat eines geistig Verwirrten gewesen zu sein. Trotzdem bleibt ein bitterer Beigeschmack. Viele der Kommentare in den sozialen Netzwerken sehendie Gewalttat als Symptom der enormen Spaltung in der polnischen Gesellschaft – die politischen Gräben sind so tief wie noch nie seit der Wende.
Attentat gerät zwischen die politischen Fronten
Präsident Andrzej Duda schrieb nach der Tat und der Notoperation des Oberbürgermeisters auf Twitter, dass der Zustand von Paweł Adamowicz noch kritisch sei, Adamowicz jedoch wieder atme. "Wer kann, den bitte ich um Solidarität in Gedanken und im Gebet". Prompt folgten die Reaktionen: Viele Nutzer kritisieren das Staatsoberhaupt, da selbst die Ärzte sich mit Informationen über den Gesundheitszustand zurückhielten. Auch die Familie habe um Diskretion gebeten. Und was mache der Präsident: "Er haut diese vertraulichen Informationen raus", so ein Tweet.
Nicht nur die Diskussion um die wohl gut gemeinten Worte vom Präsidenten Andrzej Duda zeigt erneut, wie gespalten das Land ist und wie sehr selbst ein kleiner Funken die Spaltung im Land weiter vertiefen kann. Präsident Duda lud nach der Meldung von Adamowicz' Tod zu einem Krisentreffen nach Warschau ein. Die Vorsitzenden der Oppositionsparteien "Bürgerplattform" und "Nowoczesna" kündigten jedoch an, nicht daran teilzunehmen und beziehen sich auf einen Appell der Hinterbliebenen von Adamowicz, dessen Tod nicht für politische Zwecke zu instrumentalisieren.
Owsiak von der "Weihnachtshilfe" tritt zurück: "Dies ist ein wildes Land"
Auch der Veranstalter des "Großen Orchesters der Weihnachtshilfe", Jerzy Owsiak, stand nur ein paar Minuten nach der Messerattacke auf der Bühne in Warschau und zeigte sich schockiert: "In diesem Land sind wir seit drei Jahren so weit, dass wir nicht einmal einen Tag wie diesen (…) respektieren können. Dies ist ein wildes Land. Gewalt lässt sich nicht mit Gewalt bekämpfen." Die drei Jahre, die Owsiak erwähnt, sind eine deutliche Anspielung auf die PiS-Regierung, die so lange im Amt ist.
Als am Montagnachmittag bekannt wurde, dass Adamowicz an den Folgen des Attentats gestorben ist, gab Owsiak seinen Rücktritt als Chef der Wohlfahrtsorganisation bekannt.
Protest gegen Hass und Gewalt geplant
Unterdessen versuchen die meisten Polen, den Schock zu verarbeiten. Am Montagabend wollen viele ein Zeichen gegen Gewalttaten wie die an Adamowicz setzen – mit einer "Rallye gegen Hass und Gewalt". "Lasst uns unabhängig von unseren politischen Ansichten zusammenhalten", schreiben die Organisatoren. Ob das realistisch ist, ist angesichts der tiefen Gräben im Land mehr als fraglich.
Das Große Orchester der Weihnachtshilfe Die nichtstaatliche Wohltätigkeitsorganisation "Wielka Orkiestra Świątecznej Pomocy" (WOŚP) zählt zu den größten Hilfsorganisationen in Polen. Sie wurde 1993 von Jerzy Owsiak, bis heute das Gesicht der Aktion, und anderen Aktivisten gegründet. Mit den Spenden wird medizinische Ausrüstung für Krankenhäuser gekauft. Dabei steht jedes Jahr eine andere Krankheit oder Patientengruppe im Mittelpunkt - anfangs waren es oft kranke Kinder, später aber zum Beispiel auch Senioren. Jeden ersten oder zweiten Sonntag im Januar findet das große Finale mit zahlreichen Veranstaltungen in den größeren Städten statt. Den ganzen Tag sammeln über 120.000 Freiwillige im ganzen Land Spenden. Außerdem werden Gegenstände von prominenten Polen versteigert. In diesem Jahr konnte man auch ein Diner mit EU-Ratspräsident Donald Tusk ersteigern. Die Aktion fand 2019 zum 27. Mal statt.
(adg)
Über dieses Thema berichtete MDR Aktuell auch im: TV | 14.01.2019 | 08:48 Uhr