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Chinas Premier Li Keqiang begrüßt Alexander Lukaschenko Anfang März 2023. Bildrechte: IMAGO/ITAR-TASS

AnalyseBelarus: Lukaschenko sucht Verbündete

14. März 2023, 13:57 Uhr

Flugzeuge bestiegen hat Alexander Lukaschenko eigentlich nie gern. Und noch weniger, als nach den Massenprotesten 2020 sein "Thron" wankte. Doch in den vergangenen Wochen scheint der belarusische Machthaber seinen traditionellen Mangel an Begeisterung für Auslandsreisen überwunden zu haben. Nachdem er kürzlich Simbabwe, die Vereinigten Arabischen Emirate und China besuchte, wird er in den kommenden Tagen in den Iran reisen. Doch kann sich Belarus aus "Russlands Schlinge" lösen? Eine Analyse.

von Krystap Ruschkin

Fast könnte der Eindruck entstehen, dass der gewiefte Langzeitmachthaber Alexander Lukaschenko zu seiner einstmals so vielgepriesenen "Politik der Multivektorialität" zurückgekehrt ist. Damit wurde Lukaschenkos Außenpolitik bezeichnet, in der er lange Zeit zwischen Russland und dem Westen hin und her lavierte und so die eine wie die andere Seite immer wieder gegeneinander ausgespielt hatte.

Ambitionen versus Wahrnehmung im Ausland

Mit dem kleinen Unterschied, so kommentierte es vor wenigen Tagen der bekannte belarusische Politanalyst, Artjom Schraibman, dass es "noch nie eine so große Kluft zwischen Lukaschenkos außenpolitischen Ambitionen und Minsks schierer Bedeutungslosigkeit in den Augen jener, deren Aufmerksamkeit er jetzt so verzweifelt auf sich zu ziehen versucht" gegeben hat.

Treffen von Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko am 17. Februar 2023. Die beiden Partner einigten sich auf auf die Verlängerung eines gemeinsamen Großmanövers. Bildrechte: IMAGO/ITAR-TASS

Wann immer die Außenpolitik des Regimes in Minsk in den vergangenen Monaten internationale Medienberichterstattung erhalten hat, dann im Zusammenhang mit den zahllosen Treffen zwischen Alexander Lukaschenko und seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin. Alle Treffen und Reisen Lukaschenkos, so Analyst Schraibman, hätten deshalb letztlich nur ein Ziel: Den Belarusen selbst und vor allem auch dem Westen zu zeigen, dass alle Versuche, ihr Land zu isolieren, gescheitert sind und dass Minsk außer Russland noch viele andere Partner auf der ganzen Welt hat.

Chinas Schlüsselrolle

Auf Staatsbesuch in China: Alexander Lukaschenko und Xi Jinping. Bildrechte: IMAGO/Xinhua

Eine Schlüsselrolle kommt dabei sicherlich China zu, das sich in den Augen Lukaschenkos wohl ganz besonders gut dazu eignet, um sich der fast schon totalen Umklammerung durch den großen Bruder zu entziehen. Entsprechend gezuckerte Worte hatte Lukaschenko für seinen "alten Freund", Xi Jingpin im Gepäck. Kein einziges Problem auf der Welt könne ohne China noch gelöst werden und überhaupt, sei der chinesische Staatschef eine "sehr schlaue, weise, kreative und moderne Person". Tatsächlich hatte das Handelsvolumen zwischen Belarus und China mit 1,8 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr einen für beide Seiten signifikanten Umfang. Aber der traditionelle Standort Belarus, als stabiler und geordneter Transitknotenpunkt für chinesische Waren auf ihrem Weg in die EU, hat durch westliche Sanktionen und die dadurch verursachten logistischen Störungen seit 2020 stetig an Wert verloren.

Eine kleine Trumpfkarte hatte Lukaschenko dann allerdings doch noch im Gepäck: die Unterstützung des jüngst von Peking vorgestellten Zwölf-Punkte-"Friedensplans" für die Ukraine. Von allen anderen Interessengruppen in dem Konflikt wurde dieser abgelehnt. Auch von Russland, was einen weiteren Hinweis darauf gibt, wie ambivalent es im Verhältnis zwischen den, wie es Lukaschenko nannte, "rechtlichen, moralischen und politischen Verbündeten" gerade aussieht.

Kein Entrinnen vor Russlands Zugriff?

Für viel Aufruhr hatte auf jeden Fall ein kürzlich aufgetauchtes "offizielles Strategiepapier" gesorgt, in dem die schrittweise Einverleibung von Belarus durch den russischen "Bruder" bis 2030 skizziert wird. Lukaschenko hatte die Existenz eines solchen Papiers "für möglich" gehalten, aber ihm keine große Bedeutung beigemessen. Sein lapidarer Kommentar: "Russland habe seine eigene Strategie, so auch in Bezug auf Belarus – um mit seinen Brüdern in Frieden und Freundschaft zu leben". Dabei ist dem Machthaber von Minsk natürlich längst klar, dass er sich seit den Protesten 2020 in eine Situation manövriert hat, in der es vor einem Zugriff durch Russland kaum noch sicher scheint.

Laut einer Analyse des belarusischen Journalisten und Politologen Alexander Klaskowski droht Belarus in den nächsten Jahren tatsächlich der komplette Verlust seiner Souveränität. "Schon jetzt laufen bereits mehr als 60 Prozent des Außenhandels über Russland. Auch die Abhängigkeit im Transitbereich erhöht sich fatal", so Klaskowski. Minsk müsse in den nächsten Jahren 28 Projekte der Russisch-Belarusischen Union (Anm. d. R. projektierter Staatenbund) umsetzen, die auf eine stärkere, auch institutionelle, Anbindung der belarusischen Wirtschaft an die russische abzielten. Der Krieg in der Ukraine hätte dem Prozess der "Unionsintegration" nochmal zusätzlich die Sporen gegeben, an dessen Ende die Einverleibung drohe. "Auch für eine neue belarusische Regierung dürfte es höchst kompliziert werden, diese Schlinge wieder zu lösen."

Umso größer der Wunsch des "Alleinherrschers" von Minsk die "Politik der Multivektorialität" wieder aufzunehmen, um vielleicht doch ein paar Strippen noch selber und ohne die Erlaubnis aus Moskau ziehen zu können. Laut Artjom Schraibman scheint Lukaschenkos Wunsch, zum alten Zustand zurückzukehren, aufrichtig zu sein "im Gegensatz zu seiner beharrlichen Botschaft, dass Belarus den Westen nicht brauche, was nur zeigt, dass das Gegenteil der Fall ist."

Mit seiner Lieblingsbeschäftigung nämlich der, seine eigene Macht zu sichern, scheint Lukaschenko allerdings mehr und mehr bedroht zwischen die Interessenlager zu geraten. Und gerade der Kreml scheint das Spiel des gerissenen Partners genau zu überwachen. Putin ließ ihm durch den russischen Außenminister sogar eine verdeckte Drohung zukommen. Sergej Lawrow hatte am 19. Januar bei einem Besuch in Minsk mittels eines Interviews unmissverständlich verlauten lassen, dass er ein Doppelspiel des belarusischen Machthabers nicht dulden werde. Gemeint war die Vermutung, dass Lukaschenkos Regierung schon seit einiger Zeit heimlich diplomatische Absprachen mit der ukrainischen Führung trifft.

Belraus‘ Verhältnis zur Ukraine

Lukaschenko machte die Ukraine für die sich verschlechternden Beziehungen zwischen den beiden Ländern verantwortlich und wiederholte, dass Belarus nicht die Absicht habe, sich am Krieg gegen die Ukraine mit eigenen Truppen zu beteiligen: "Wenn Sie denken, dass Sie uns ab morgen in den Krieg verwickeln können, der heute in ganz Europa stattfindet, indem Sie uns einen so offensichtlichen Fehdehandschuh hinwerfen, dann irren Sie sich."

Nur wenige Tage vorher hatte Lukaschenko auf einer Pressekonferenz gesagt: "Ich bin nur unter einem einzigen Umstand bereit, mit den Russen vom belarusischen Territorium aus gegen die Ukraine zu kämpfen, nämlich dann, wenn mindestens ein Soldat von dort [der Ukraine] auf das belarusische Territorium kommt, um mein Volk zu töten".

Repressionen gegen Opposition im eigenen Land

Lukaschenko weiß, dass die wenigsten Belarusen gegen die Ukraine in den Krieg ziehen wollen. Noch schafft er es sein Regime stabil zu halten und vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine ein wackliges Gleichgewicht herzustellen, in dem sein Land paradoxerweise sowohl als Komplize der Aggression, als auch – zumindest in den Augen einiger Staaten – vermittelnder Dritter auftritt.

Im Wissen, dass ihn nur die Unterstützung aus Russland und die eigenen Repressionen an der Macht halten, führt Lukaschenko auf der einen Seite seinen Rachefeldzug gegen die belarusische Opposition in unverminderter Härte fort. Nachdem Nobelpreisträger Ales Bialiatski, wegen angeblicher Unterschlagung und Finanzbetrug medienwirksam zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden war, fiel in der vergangenen Woche auch das Urteil gegen die belarusischen Oppositionsführer Swetlana Tichanowskaja und Pawel Latuschka. In Abwesenheit wurden beide zu 15 beziehungsweise 19 Jahren Lagerhaft verurteilt.

Alexander Lukaschenkos sehnsüchtiger Blick in die Vergangenheit ist angesichts des irreversiblen Ausmaßes seiner Abhängigkeit von Moskau kaum überraschend. Wenig verwunderlich deshalb auch seine kürzlich entdeckte Reiselust, um neue Freunde zu finden. Aber im Gegensatz zu früher, besteht das Europäische Parlament nun auf der Schaffung eines internationalen Sondertribunals, vor dem sich auch Lukaschenko verantworten soll. Das dürfte dem "letzten Diktator Europas" mehr schlaflose Nächte verursachen, als er momentan zugeben will.

MDR (adg)

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 19. Dezember 2022 | 19:30 Uhr