Balkan Bosnien: Explosive Stimmung im Vielvölkerstaat

11. Oktober 2021, 14:14 Uhr

Der Krieg in Bosnien und Herzegowina endete vor knapp 26 Jahren, doch die Frage, was genau damals passierte, sorgt auch heute noch für Zündstoff in der Region. Aktuell erhitzt ein Gesetz, das die Leugnung des Genozids in Srebrenica unter Strafe stellt, die Gemüter.

Fotomontage Mann vor Fahne
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Zehntausende Menschen auf einem Friedhof wollen ihre Angehörigen beerdigen.
Auch Jahre nach dem Völkermord von Srebrenica werden noch neu identifizierte Opfer begraben. (Archivbild 2010) Bildrechte: IMAGO

Am 21. November werden es 26 Jahre sein, seit das Abkommen von Dayton nach dreieinhalb Jahren Krieg Bosnien und Herzegowina den Frieden brachte. In der Folge entstand das Amt des hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina. Der agiert als neutrale Instanz, hat aber gleichzeitig weitreichende Befugnisse – etwa, am Parlament vorbei Gesetze zu erlassen. Genau das ist nun geschehen.  

Der vor kurzem aus dem Amt geschiedene hohe Repräsentant, der Österreicher Valentin Inzko, verhängte im Juli ein Gesetz, das seither die Gemüter im ethnisch geteilten Land erhitzt: Das Leugnen des im Juli 1995 begangenen Völkermordes in Srebrenica steht – ähnlich wie die Leugnung des Holocaust in Deutschland – unter Strafe.

Und die sind drakonisch: Drei Jahre Haft riskiert, wer den Genozid in Abrede stellt, bei Amtspersonen sind es gar sechs Jahre, weitere drei Jahre Haft können verhängt werden, wenn die Tat von Drohungen und Beleidigungen begleitet wird. Auch wer Preise und öffentliche Ehrungen an verurteilte Kriegsverbrecher verleiht, muss für drei Jahre ins Gefängnis.

Völkermord oder "nur" ein Massaker?

Das Gesetz kommt einem Stich ins Wespennest gleich, denn Bosniaken, Serben und Kroaten pflegen jeweils eine eigene, oft gegensätzliche Geschichtsdeutung. Der tiefe Schatten der über 98.000 Kriegsopfer in Bosnien lässt das Land nicht zusammenwachsen, in dem die Helden der einen die Henker der anderen sind. Die Frage von Schuld und Sühne hat stets ein nationales Vorzeichen.

Zwischen dem 11. und 19. Juli 1995 richteten in Srebrenica bosnisch-serbische Streitkräfte systematisch, organisiert, mit im Voraus vorbereiteter Logistik rund 8.000 muslimische Männer und Jungen hin. UN-Gerichte klassifizierten das als Genozid.

Frau weint an einem Grabstein
Eine offene Wunde: Eine Frau trauert um Ihre Angehörgen, die in Srebrenica ermordet wurden. Bildrechte: imago images / ZUMA Press

Aus serbischer Sicht handelt es sich dabei zwar um ein fürchterliches Massaker, das allerdings in Reaktion auf die Kriegsverbrechen der "Anderen" begangen wurde - aber nicht um Völkermord. Die internationalen Gerichte, die das anders gesehen haben, seien schlicht "antiserbische Institutionen". Die Bosniaken dagegen glauben, dass die Gründung der Bosnischen Teilrepublik Republika Srpska auf dem Genozid an ihren Landsleuten fußt.

Was löste den Krieg in Bosnien aus? Nach dem Zerfall Jugoslawiens ist der Krieg in Bosnien im April 1992 ausgebrochen, weil bosnische Serben das ganze Land einem Bund mit Serbien angliedern wollten, Muslime die Unabhängigkeit Bosniens anstrebten und bosnische Kroaten einen Teil an Kroatien angliedern wollten. Die Bevölkerung war vermischt, im Kampf für Territorien kam es, neben allen anderen Kriegsverbrechen, zur massiven ethnischen Säuberung. Die Serben hatten die militärische Übermacht.

Heftige Reaktionen

Dementsprechend heftig fallen die Reaktionen auf das Gesetz aus – vor allem auf serbischer Seite: "Wenn jemand (wegen Leugnung des Völkermordes in Srebrenica – d. Red) versucht jemanden festzunehmen, zu verhaften, wird das die Polizei der Republika Srpska verhindern", sagte etwa der starke Mann in der serbischen Entität Republika Srpska, Milorad Dodik. Er rief alle Serben in Bosnien auf, solche Fälle zu melden und das Gesetz zu ignorieren.  

Nach dem Inkrafttreten des Leugnungs-Gesetzes verließen die Serben außerdem gesamtbosnische Institutionen, weswegen etwa der Haushalt des Landes nicht verabschiedet werden kann, da laut Verfassung eine Zustimmung aller drei "konstitutiven" Völker notwendig ist.

Milorad Dodik, serbisches Mitglied der dreigliedrigen Präsidentschaft von Bosnien und Herzegowina
Flirtet mit der Unabhängigkeit, sitzt aber auch im gesamtbosnischen Präsidium: Milorad Dodik Bildrechte: imago images/Xinhua

Dodik, der auch im gesamtbosnischen Präsidium sitzt, nutze die Gelegenheit, erneut die territoriale Einheit von Bosnien infrage zu stellen. Er erklärte, dass es in Bosnien zu keiner Stabilität kommen könne, bevor sich Serben, Kroaten und Bosniaken nicht voneinander trennen.

Herausforderung für den Westen

Valentin Inzko hat seinem Nachfolger im Amt des hohen Repräsentanten, dem Deutschen Christian Schmidt (CSU), ganz schön was eingebrockt – und dem Westen gleich mit: Was soll geschehen, wenn bosnische Serben tatsächlich die Verordnung des hohen Repräsentanten einfach ignorieren? Wenn serbische Polizisten Menschen beschützen, die bosnische Polizisten wegen der Leugnung der Genozids in Srebrenica verhaften wollen?

Es geht um die Glaubwürdigkeit der internationalen Gemeinschaft und um die Existenz Bosniens. Und die Trennlinie zwischen Farce und Tragödie in Bosnien ist sehr dünn.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | 11. Juli 2020 | 22:39 Uhr

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