Nach dem Doppelmord in BratislavaSlowakei: Wie Hass auf sexuelle Minderheiten geschürt wird
Auch wenn die Situation sexueller Minderheiten in der Slowakei nicht ganz so schlimm ist wie in Ungarn oder Polen: Die slowakische LGBTQ-Community sieht sich stetig mit Hetze und Anfeindungen konfrontiert. Am 12. Oktober 2022 erschoss ein 19-Jähriger vor einer Queer-Bar in Bratislava zwei junge Männer. Für viele eine Folge der herrschenden Intoleranz. Konservative schürten den Hass, beklagen Vertreter der slowakischen Zivilgesellschaft.
"Ich frage mich, ob ich auch auf der Liste des Täters aus Bratislava stand", schrieb der slowakische Fernsehmoderator Richard Dírer im Internet, nachdem er von dem homophoben Mord vor einer Queer-Bar erfahren hatte. Bei dem Angriff in der slowakischen Hauptstadt starben Mitte vergangener Woche zwei Männer. Dírer ist einer der wenigen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, der vor kurzem seine Homosexualität öffentlich gemacht hat und auf die Diskriminierung von LGBTQ-Menschen in der Slowakei hinwies. "Unsere Gesellschaft wird immer vulgärer. Auch andere Angriffe, nicht nur auf sexuelle Minderheiten, werden häufiger. Schlimm ist, dass sie oft von Politikern kommen. Dadurch nehmen die Aggressionen in der Gesellschaft zu", kritisierte er bei seinem Coming-out.
LGBTQsteht als Abkürzung für lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, transgender oder intersexuell. Daneben existieren diverse Bezeichnungen, wie LGBT+, die Menschen mit anderen sexuellen Orientierungen oder geschlechtlichen Identitäten einbeziehen soll. Das Plus steht somit auch für queere und asexuelle Menschen.
Dírer ist nicht der einzige, den dieser Angriff auf die gesamte slowakische LGBTQ-Szene schockiert hat. Etwa 12.000 Slowaken schlossen sich zwei Tage nach dem doppelten Mord einem Protestmarsch an, um ihre Solidarität zu zeigen. Aufgetreten sind dabei auch hochrangige slowakische Politiker, etwa der konservative Premierminister Eduard Heger, der darauf hinwies, dass die Grundrechte unteilbar sind.
Auch Roman Samotný ist geschockt. "Viele nennen LBGTQ eine Ideologie. Ich habe das Blut meiner Freunde auf dem Bürgersteig gesehen. Ich habe ihre toten Körper gesehen und keine Ideologie", sagt der Besitzer der Bar "Tepláreň", vor der die zwei Männer erschossen wurden. Samotný ist noch unentschlossen, ob er sein Lokal schließen soll, andere Bars der LGBTQ-Community in Bratislava sind aber aktuell geschlossen oder dabei, zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen einzuführen.
Homophobie und Hass auf Minderheiten
"Tepláreň" war ein bekannter Treffpunkt der LGBTQ-Szene in einem wohlhabenden Stadtteil von Bratislava. Die Bewohner des zentral gelegenen Viertels zwischen Burg und der Altstadt waren schon immer vorwiegend weltoffene, gut situierte Menschen aus Bratislava und dem Ausland. Auch die Gay-Pride findet nicht weit weg von hier jedes Jahr statt. Deswegen konnten viele Augenzeugen nicht glauben, dass es sich um einen Hassmord an zwei Limonade trinkenden homosexuellen Studenten handelte. Als das Manifest des Mörders anschließend im Internet zu lesen war, wurde klar, dass der Anschlag rassistisch motiviert war. In seiner Botschaft behauptete der 19-jährige Mann die Überlegenheit der weißen Rasse. Er war ein hochbegabter Absolvent eines Elitegymnasiums in Bratislava und Sohn eines nationalistischen Politikers. Dessen Partei, die allerdings nicht im Parlament vertreten ist, hatte sich in der Vergangenheit juden-, flüchtlings- und islamfeindlich geäußert. Bekannt wurde auch, dass sich der Mörder nach dem Anschlag selbst erschoss, und das mit einer Waffe, die sich legal im Besitz seines Vaters befand.
Dass Hass auf alle die anders sind in der Slowakei verbreitet ist, bestätigen auch Umfrageergebnisse von 2019: Etwa 59 Prozent der Slowaken gaben im Eurobarometer an, sie würden der LGBTQ-Gemeinschaft im Land nicht die gleichen Rechte wie allen anderen Menschen gewähren. Zum Vergleich: In Schweden sind es nur etwa zwei Prozent.
"In der Slowakei spricht sich ein großer Teil der Politiker und auch die katholische Kirche für den Erhalt der traditionellen Familie aus," erklärt der slowakische Soziologe Michal Vašečka. So hätte 2015 die Kirche in einem Brief dazu aufgerufen, ein Referendum für den Erhalt der traditionellen Familie zu unterstützen. "Der junge Nationalist, der in Bratislava mordete, wollte auch andere Minderheiten und die jüdische Gemeinde angreifen. Er betrachtete besonders eine 'jüdische Weltverschwörung' als Ursache aller Probleme in der Slowakei", so der Soziologe weiter.
Auf ähnliche Gefahren weist auch die slowakische Präsidentin Zuzana Čaputová hin: "Seit drei Jahren sage ich, dass Worte Waffen sind. Dass wir Politiker für jedes einzelne Wort, das wir sagen, verantwortlich sind. Und doch füllen viele den öffentlichen Raum rücksichtslos mit Hass," schrieb sie nach dem Doppelmord auf Facebook. Auch ein Video, in dem die Präsidentin unter Tränen den Besitzer der "Tepláreň"-Bar umarmt, verbreitete sich in sozialen Netzwerken schnell. Andere Politiker hielten sich dagegen zurück. In ihren zweideutigen Reaktionen benannten manche nicht einmal den Hauptgrund des Mordes, nämlich Hass gegen sexuelle Minderheiten, andere nannten Homosexualität einen Lebensstil.
Konservative Agenda der Regierung
Zwar betonte Premierminister Heger nach dem Anschlag, dass die Grundrechte für alle gelten, doch soweit, die rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zu befürworten, ging die Regierungspartei OĽANO zuvor nicht. Den Antrag auf eine entsprechende Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches hatte die liberale Oppositionspartei "Freiheit und Solidarität" gestellt. Der wurde in erster Lesung unter anderem von der Regierungspartei blockiert. Die nationalistische Oppositionspartei ĽSNS diskreditierte den Vorschlag mit der Anmerkung, damit würden "sexuelle Orgien der Homosexuellen, die sich mit Fäkalien einreiben" unterstützt. Praktisch bedeutet diese Ablehnung der Gesetzesinitiative auch, dass sich das Parlament erst in einem Abstand von einem halben Jahr wieder mit diesem Thema beschäftigen kann. So bleibt die Slowakei neben Lettland, Litauen, Polen und Rumänien eins derjenigen EU-Länder, die homosexuelle Partnerschaften in keinerlei Form anerkennen.
Ohnehin erlebt die Slowakei seit der Parlamentswahl 2020 die konservativste Führung in den 29 Jahren ihrer Unabhängigkeit. Zur Regierungsagenda gehörten wiederholt Vorschläge zum Verbot von Abtreibungen oder dem Verbot von Regenbogen-Flaggen an öffentlichen Gebäuden. Der Premierminister selbst gehörte vor seinem Amtseintritt der informellen Gruppe "Christliche Kandidaten" an, die sich gegen die Homoehe aussprach. Seine zwei Parteikollegen, der Finanz und-Verteidigungsminister, wurden von den slowakischen Nichtregierungsorganisationen Human Rights Institute und Dúhové Slovensko sogar zu den "Homophoben des Jahres" gekürt. Der Vorsitzende der Koalitionspartei Sme-Rodina Boris Kollar bezeichnete Homosexuelle in Vergangenheit sogar als "perverse Menschen, die in eine Anstalt anstatt auf die Straße gehören." Für diese Äußerungen entschuldigte er sich jedoch nach den jüngsten Ereignissen.
Angesichts dieser Situation, so der Soziologe Vašečka, sei die Slowakei nicht gut aufgestellt, um mit dem Hass auf die LGBTQ-Community umzugehen. Zudem setze sich der Trend, dass sich Teile der slowakischen Gesellschaft nicht von der Politik repräsentiert fühlen, nach dem Anschlag fort. In Anspielung auf den Eisernen Vorhang sprechen deshalb manche Aktivisten von Ausweitung des "Regenbogen-Vorhangs", der Ost und West in der Europäischen Union voneinander trenne. Bisher gehörten zu diesem Osten vor allem Polen und Ungarn – nach den neusten Entwicklungen könnte aber auch die Slowakei dazugehören.
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MDR (usc)
Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 06. Oktober 2022 | 17:40 Uhr