Affären um EU-Gelder in Bulgarien Der "Hallo, ich bin's!"-Skandal - Wie Machtkämpfe und Intrigen Bulgariens Politik bestimmen
Hauptinhalt
Die TV-Journalistin Elena Iontscheva gilt als wahrscheinliche Spitzenkandidatin der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) für die Europawahlen im Mai. Schon jetzt ist sie als Oppositionsabgeordnete die schärfste Waffe der Sozialisten gegen das Kabinett von Boiko Borissov. Seit zudem eine Anklage wegen Geldwäsche gegen sie läuft, gilt sie ihren Anhängern als Bulgariens Jeanne d'Arc. Nun hat Iontscheva ihrerseits die Regierung angezeigt – eine Affäre, die typisch für die Politik im Land ist.

"Ich heiße Boil Banov und bin ein bulgarischer Regisseur", sprach Bulgariens Kulturminister in sichtlicher Erregung, als er Ende Januar im Foyer des Ministerrats vor die Presse trat. "Ich bin nicht als Minister geboren und erachte meinen Rücktritt jederzeit als deklariert, es genügt, dass Ministerpräsident Borissov ihn animmt."
Eine knappe Stunde zuvor hatte Elena Iontscheva auf einer Pressekonferenz die Affäre "Alo, Banov sam" ("Hallo, ich bin's Banov") losgetreten. Sie veröffentlichte Abhöraufnahmen von Gesprächen vom März 2016. In ihnen spricht Boil Banov noch als stellvertretender Kulturminister über die Ausgrabungen der römischen Siedlung Ulpia Serdica im Zentrum von Sofia.
EU-Gelder für Sofias römische Stadt
Worum geht es? Die Europäische Union hat den 15 Millionen BGN (ca. 7,5 Millionen Euro) teuren "Antiken Kultur- und Kommunikationskomplex Serdica" finanziert. In ihm soll man heute auf original Römerstraßen aus dem 6. Jahrhundert wandeln und sich die Grundmauern von Wohn- und Geschäftshäusern der Bürger Serdicas anschauen können. Allerdings: Obwohl er bereits im April 2016 eröffnet wurde, ist der interessanteste Teil des Projekts unterhalb des Boulevards Maria Louisa bis heute nicht öffentlich zugänglich.
Die von Elena Iontscheva veröffentlichten Gespräche scheinen nun zu belegen, dass Boil Banov als stellvertretender Minister Untergebene angewiesen hat, Dokumente "händisch" zu modifzieren, um der bauausführenden Firma eine Entschädigungszahlung in Höhe 700 000 BGN (ca. 350 000 Euro) wegen Bauverzögerung zu ersparen. Diese "Urkundenfälschung", so Iontscheva, habe nicht nur den bulgarischen Staat materiell geschädigt, sondern auch den europäischen Steuerzahler. Dies hat sie dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) angezeigt.
Wer ist die Quelle?
Und damit hat Bulgarien wieder einen politischen Skandal, der von Korruption über politische Revanche bis hin zu angeblicher Erpressung alles zu bieten hat. Und in dem auch Iontscheva mehr ist, als nur Berichtende. "Die Aufnahmen wurden von einem beteiligten Mitarbeiter des Kulturministeriums gemacht, um sich im Falle des Vorwurfs unrechtmäßiger Handlungen verteidigen zu können", behauptet Elena Iontscheva. Sie wollte die Identität ihrer Quelle nicht preisgeben, doch Minister Banov nannte sie frei heraus beim Namen: "Es handelt sich um Angel Angelov; ein ehemaliger Mitarbeiter, der mich über vier Jahre systematisch erpresst hat", sagte er. Banov bestreitet die Authentizität der Abhöraufnahmen: "Wir haben tausende Arbeitssitzungen durchgeführt. Vermutlich können sie noch sechsundfünfzig solche Aufnahmen erstellen aus den tausenden Wörtern, die ich gesagt habe."
Hauen und Stechen um EU-Gelder
Boil Banov behauptet, Angelov habe ihn während seiner Zeit als stellvertretender Minister zusammen mit einem Komplizen außerhalb des Ministeriums regelmäßig unter Druck gesetzt, um die Vergabe von EU-Projekten an jeweils mit ihm verbundene Personen und Firmen zu erwirken. Warum er aber Angelovs angebliche Erpressungsversuche jahrelang geduldet hat, ohne Anzeige zu erstatten, konnte Banov nicht schlüssig erklären.
Kurios wird die ganze Affäre dadurch, dass Angel Angelov nach seinem unfreiwilligen Ausscheiden aus dem Kulturministerium sofort eine neue Anstellung im Bildungsministerium fand. Dort soll er sein erpresserisches Tun fortgesetzt haben, behauptet nun sein dortiger Vorgesetzter, Kiril Geratliev, Direktor der "Agentur Operatives Programm Wissenschaft und Bildung für intelligentes Wachstum". Angelov habe ihm gar Reifen seines Autos zerstochen.
Gegenüber dem Fernsehsender Nova TV hat Angel Angelov diese Vorwürfe bestritten und seinerseits Geratliev vorgeworfen, seine Machtposition missbraucht zu haben, um Mitarbeiter zu erniedrigen und zu diskriminieren. Zusammen mit Kollegen habe er Geratlievs Psycho-Mobbing bereits am 21. Dezember 2018 angezeigt. Nun nutze Geratliev die durch "Alo, Banov sam" eingetretene Situation, um sich als Opfer zu präsentieren.
Korruptionsvorwürfe gegen Iontscheva
Elena Iontscheva, die die Affäre ins Rollen gebracht hat, ist die frühere Lebensgefährtin des sozialistischen Ex-Ministerpräsidenten Sergej Stanischev, der heute der "Partei Europäischer Sozialisten" (PES) vorsitzt. Sie hat in ihrer journalistischen Karriere bulgarischen Fernsehsendern viele Reportagen von den Kriegsschauplätzen dieser Welt geliefert. Seit Mai 2017 sitzt sie als Abgeordnete der BSP in der Bulgarischen Nationalversammlung. Mit "Alo, Banov sam" ist die seit über einem Jahr andauernde Konfrontation zwischen ihr und der Regierung eskaliert.
Immer wieder hat Iontscheva im Rahmen ihrer oppositionellen Parlamentsarbeit das Kabinett Borissov auch mit journalistischen Mitteln kritisiert. So zeigte sie im November 2017 in ihrer TV-Dokumentation "Granitsa" (Grenze), wie Migranten mit Leitern den Zaun an der türkischen Grenze überwinden. Die Regierung habe den Grenzzaun nicht entsprechend seiner Projektierung zweireihig, sondern nur einfach ausgeführt und so für den Zaun bewilligte Finanzmittel aus dem Staatshaushalt unterschlagen, alarmierte Elena Iontscheva damals.
Abgeordnete der Regierungsmehrheit im Parlament reagierten darauf mit Korruptionsvorwürfen gegen Iontscheva. Ex-Wirtschaftsminister Deljan Dobrev beschuldigte sie im Juli 2018, eine gemeinsame Offshore-Firma mit dem flüchtigen Eigner der im Juni 2014 Bankrott gegangenen Handelsbank "Korporativna Targovska Banka" (KTB) betrieben zu haben – ein Skandal, der Bulgarien seit Jahren in Atem hält. Tatsächlich erhob die Staatsanwaltschaft nun am 22. Januar 2019 eine entsprechende Anklage, der Vorwurf: Geldwäsche.
Der Tatvorwurf sei unhaltbar und politisch motiviert, weist Iontscheva die Anschuldigung zurück. Wie sie, so erachten auch ihre Parteifreunde die Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft als einen Angriff der Macht auf eine kritische Stimme im Land. Mit "Alo, Banov sam" hat Iontscheva diesen nun effektvoll gekontert. Nun hofft die BSP darauf, ihre gegenwärtige Konjunktur nutzen zu können, um GERB bei der Europawahl Paroli zu bieten. Je nach Ausrichtung sehen manche Meinungsforschungsinstitute BSP derzeit knapp vorne, andere GERB. Für den Fall aber, dass GERB die Europawahl verlieren sollte, werden selbst vorgezogene Parlamentswahlen nicht ausgeschlossen. Es sei nicht die Frage, ob es solche geben werde, sondern wann, hat der von den Sozialisten auf den Schild gehobene Staatspräsident Rumen Radev vor wenigen Tagen gesagt.
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: MDR aktuell | 11.01.2018 | 19:30 Uhr