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07.02.2020Coronavirus - Der Kreml greift durch

12. März 2020, 20:19 Uhr

Ähnlich wie in Deutschland spielt sich die Corona-Epidemie in Russland bisher vor allem in den Medien ab. Doch die jüngste Rückführung russischer Staatsbürger via Flugzeug aus China und die dann folgende Zwangsquarantäne in Sibirien sorgen jetzt für mächtigen Ärger. Und stellt die Frage nach den Menschenrechten.

von Maxim Kireev

Mit dieser Iljuschin-76 wurden Russen aus China ausgeflogen. Ärzte empfangen die Maschine im sibirischen Tjumen. Bildrechte: imago images/Russian Look

An diesen Flug will Polina Andanowa lieber nicht zurückdenken. Zwölf Stunden mit Holzbänken statt Sitzen, ohne Heizung und als Toilette diente ein Eimer mit einer Zeltplane als Sichtschutz. Eine Iljuschin-76, eine Militärmaschine für den Transport von Soldaten und schwerem Gerät gebaut, hat am Mittwoch mehr als 150 Russen und einige Staatsbürger anderer ehemaliger Sowjetrepubliken aus China ausgeflogen und ins sibirische Tjumen gebracht. "Die Reise war sehr beschwerlich, jetzt bin ich gesund und glücklich", schrieb die Russin in ihrem Instagram-Profil unter einem Selfie mit Atemschutzmaske.

Mit an Bord: Polina Andanowa. An diesen Flug werde sie ewig denken, postet sie auf Instagram. Bildrechte: instagram.com/p/B8MBZEdHVie

Kreml feiert Evakuierung - Betroffene beschweren sich

Für den Kreml war die Operation ein voller Erfolg. "Wir lassen unsere Landsleute nicht im Stich", erklärte Russlands Vize-Regierungschefin Tatjana Golikowa. Es habe sich um eine humanitäre Aktion gehandelt. Organisiert wurde sie durch das Verteidigungsministerium. Doch nicht wenige der Evakuierten beschwerten sich bereits in sozialen Netzwerken und bei Journalisten über die Bedingungen. Viele der Betroffenen hätten nicht gewusst, wo sie in Russland landen und wie sie die nächsten Tage verbringen werden. Fast zwei Wochen müssen die ausgeflogenen Russen nun in einer Herberge ausharren, meist mit wildfremden Mitreisenden zu dritt oder zu viert auf einem Zimmer, das sie während der Quarantäne nicht verlassen dürfen. Die Herberge wird von Soldaten der Nationalgarde überwacht.

Zu den Kritikern gesellte sich ebenfalls der ehemalige oberste Amtsarzt Russlands, Gennadij Onischtschenko. "Es wäre besser, man hätte die Menschen nach Hause geschickt und regelmäßig medizinisch beobachtet", sagte er der Agentur Interfax. "Wo bleiben die Menschenrechte, warum sollte man einen Moskauer in ein Reservat nach Tjumen verfrachten", staunt der Experte.

Zwölf Stunden mit Holzbänken statt Sitzen, ohne Heizung und als Toilette diente ein Eimer mit einer Zeltplane als Sichtschutz. Bildrechte: imago images/ITAR-TASS

Übertriebene Maßnahmen?

Die Maßnahmen der russischen Regierung wirken tatsächlich harsch. Zumal bisher nur zwei Fälle in Russland bestätigt worden sind. Dabei handelt es sich um zwei chinesische Staatsbürger, die derzeit in Krankenhäusern im fernöstlichen Tschita und im westsibirischen Tjumen behandelt werden. Trotzdem hat Russland bereits Anfang Februar die Zugverbindungen nach China gekappt. Zuvor hatte die Regierung bereits die Schließung der mehrere Tausend Kilometer langen Landesgrenze in Russlands Osten zu China veranlasst. Russlands Premier Michail Mischustin stellte zudem in Aussicht, dass ausländische Infizierte in ihre Heimat abgeschoben werden könnten. In Russland selbst kontrollieren beispielsweise Sanitäter die Körpertemperatur von Zugreisenden mit kontaktlosen Fieberthermometern in den Schnellzügen zwischen Moskau und Sankt-Petersburg.

Quarantäne: In dieser Klinik werden die aus China ausgeflogenen Russen die nächsten zwei Wochen beobachtet. Bildrechte: imago images/ITAR-TASS

Fehlendes Vertrauen in staatliche Informationspolitik

Offenbar sollen die Maßnahmen des Kreml auch eine Massenpanik unter den Menschen in Russland verhindern. Nicht wenige Russen misstrauen den eigenen Behörden in Krisensituationen. Die angesehene Moskauer Zeitung Wedomosti warnte die Regierung bereits davor, das Ausmaß der Krise zu verschweigen und erinnerte an vergangene Katastrophen, etwa den Brand in einem Einkaufszentrum in der Großstadt Kemerowo, bei dem das lange Zurückhalten von offiziellen Informationen dazu führte, dass Gerüchte über massiv höhere Opferzahlen die Runde machten. Für Misstrauen sorgte diesmal bereits der erste bestätigte Fall einer Corona-Infektion in Russland. Der Infizierte, eine Mann mit chinesischer Staatsbürgerschaft, hatte gegenüber Journalisten darüber geklagt, dass ihn die Behörden nicht über seinen Zustand informiert hätten. Dass er tatsächlich infiziert sei, habe der Mann aus den Nachrichten erfahren.

Vorbeugen: In der Moskauer Metro desinfizieren Putzfrauen die Rolltreppen. Bildrechte: imago images/ITAR-TASS

Mediale Aufregung um Coronavirus

Seitdem sind keine neuen Fälle hinzugekommen. Stattdessen spielt sich die Krise bisher vor allem in den Medien ab, die minutiös über Chinas Kampf gegen die Infektion berichten. Oder aber über gierige Apotheker in Russland, die die Preise für Atemschutzmasken um das fünf- bis zehnfache in die Höhe geschraubt haben. Auch wenn in der Öffentlichkeit bisher kaum jemand einen Atemschutz trägt, sind in vielen Versandapotheken und in Großstädten wie Sankt-Petersburg einfache Papiermasken und aufwendigere Atemschutzmasken ausverkauft. Ein Umstand, der sogar den russischen Präsidenten kürzlich alarmiert hat. "Man sollte solchen Apotheken ganz einfach ihre Lizenz entziehen", sagte Wladimir Putin. Diese kämen beim nächsten Mal bestimmt nicht mehr auf die Idee, sich bereichern zu wollen.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 06. Februar 2020 | 00:30 Uhr

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