Voller Einkaufswagen zwischen Supermarktregalen
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Lebensmittelqualität als Wahlkampfthema Doppelte Standards in Ost und West

25. Mai 2019, 06:00 Uhr

Seit Jahren klagen Verbraucher in Osteuropa über doppelte Qualitätsstandards bei Markenwaren. Die Bürger in den reichen, alten EU-Ländern bekämen bessere Produkte zu niedrigen Preisen, so die landläufige Meinung. In Tschechien sorgt das für besonders viel Aufregung - so viel, dass die Qualitätsunterschiede zwischen einzelnen EU-Märkten eines der Hauptthemen des Europawahlkampfs geworden sind.

"Wir sind tatsächlich die Mülltonne Europas", tönte vor kurzem empört der tschechische Regierungschef Andrej Babiš mit Blick auf die unterschiedlichen Qualitätsstandards. "Irgendjemand in Europa denkt sich wohl, dass wir noch auf Bäumen hausen, dass wir diese Ossis sind, Bürger zweiter Klasse. Dem ist nicht so."

Damit versucht Babiš im Europa-Wahlkampf mit einem Thema zu punkten, das vielen Tschechen auf den Nägeln brennt. Sie sind überzeugt, dass die internationalen Lebensmittelkonzerne sie mit schlechterer Ware abspeisen als deutsche und österreichische Verbraucher – mit Produkten, die trotz gleicher Marke und Verpackung schlechter schmecken und riechen als im Westen.

Stichproben belegen Qualitätsunterschiede

Breit angelegte Studien, die das belegen, gibt es zwar nicht, Stichproben dagegen schon. 2015 etwa untersuchte die Universität Prag 24 Lebensmittel, die jeweils in tschechischen und deutschen Supermärkten gekauft worden waren. Bei acht Produkten fanden die Forscher deutliche Unterschiede. Iglo-Fischstäbchen aus dem tschechischen Supermarkt enthielten zum Beispiel sieben Prozent weniger Fisch als die in Deutschland angebotenen – und waren obendrein mehr als doppelt so teuer.

Das Thema hat in Tschechien so viel Aufregerpotential, dass es sich die beiden Regierungsparteien ANO und Sozialdemokraten (ČSSD) kurz vor den Europawahlen regelrecht aus den Händen reißen. Eigentlich sollte eine EU-Richtlinie das Problem lösen, die von Europa-Abgeordneten aus Tschechien und anderen osteuropäischen Ländern angestoßen wurde. Sie wurde schon Anfang April verabschieden – allerdings in deutlich abgeschwächter Form.

EU-Richtlinie reicht den Tschechen nicht

Die ursprüngliche Idee war einfach: Ob Nutella, Tulip-Frühstücksfleisch oder Iglo-Fischstäbchen – in allen EU-Ländern sollten Markenprodukte dieselbe Qualität und Zusammensetzung aufweisen, wenn sie in der gleichen Verpackung angeboten werden. Ansonsten müsste der Unterschied deutlich auf der Verpackung vermerkt sein. In der letztlich verabschiedeten Richtlinie gilt das aber nur bei "erheblichen" Qualitätsunterschieden. Nach Ansicht der Kritiker ist das ein "Gummiparagraph", der kaum etwas ändern wird.

West-Schund in Osteuropas Supermärkten?

Seit Jahren klagen Verbraucher in Osteuropa über doppelte Qualitätsstandards bei Markenware. Trotz gleicher Verpackung sind manche Produkte in Polen oder Tschechien anders als "dasselbe" Markenprodukt in Deutschland.

Frühstücksfleisch der dänischen Firma Tulip
Beim "Frühstücksfleisch" der dänischen Firma Tulip fanden die Prager Prüfer 2015 heraus, dass es beim deutschen Produkt auf Schweinefleisch basiere, das tschechische aber hauptsächlich auf Separatorenfleisch - zumeist maschinell von den Knochen gelöstes Restfleisch, das bei vielen Verbrauchern als minderwertig gilt. Tulip konterte, die Dosenfleischprodukte würden weltweit mit unterschiedlichen Rezepten vertrieben und berücksichtigten den regionalen Geschmack und die jeweilige Preislage. Bildrechte: Tulip Food Company, Tulipvej
Frühstücksfleisch der dänischen Firma Tulip
Beim "Frühstücksfleisch" der dänischen Firma Tulip fanden die Prager Prüfer 2015 heraus, dass es beim deutschen Produkt auf Schweinefleisch basiere, das tschechische aber hauptsächlich auf Separatorenfleisch - zumeist maschinell von den Knochen gelöstes Restfleisch, das bei vielen Verbrauchern als minderwertig gilt. Tulip konterte, die Dosenfleischprodukte würden weltweit mit unterschiedlichen Rezepten vertrieben und berücksichtigten den regionalen Geschmack und die jeweilige Preislage. Bildrechte: Tulip Food Company, Tulipvej
EU-Flaggen vor dem Sitz der EU-Kommission in Brüssel
Das Europäische Parlament hat im April 2019 zwar eine Richtlinie erlassen, die doppelte Qualitätsstandards verbietet, sie wurde aber stark aufgeweicht. So sind nur "erhebliche" Unterschiede unzulässig - ein dehnbarer Begriff. Außerdem gibt es viele erlaubte Ausnahmen. Viele Politiker und Verbraucher glauben deshalb, dass alles beim Alten bleibt. Und so bleiben Qualitätsunterschiede zwischen Ost und West nach wie vor ein Wahlkampfthema in Polen und Tschechien. Bildrechte: Colourbox.de
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Und so profilieren sich die beiden Regierungsparteien in Tschechien weiterhin mit dem Thema. Den Anfang machte der sozialdemokratische Landwirtschaftsminister Miroslav Toman, der noch im April einen aufsehenerregenden Gesetzentwurf ankündigte. Händler, die in der gleichen Verpackung in Tschechien minderwertige Produkte verkaufen, sollen künftig mit Geldbußen bis zu 50 Millionen Kronen (rund 2 Millionen Euro) bestraft werden.

Aufregerthema soll Stimmen bringen

Plakatwand der Politischen Bewegung ANO zeigt Andrej Babis und Dita Charanzova
Ministerpräsident Babiš will die tschechischen Gaumen vor minderwertigen Lebensmitteln bewahren - passend zur Losung auf diesem Wahlplakat: "Wir werden Tschechien beschützen". Bildrechte: imago images / CTK Photo

Wenig später entdeckte aber auch Ministerpräsident Babiš von der ANO-Partei, dass das Thema viele Wählerstimmen bringen kann, und verkündete erzürnt, dass Milka-Schokolade in Tschechien deutlich mehr Fett und Zucker und gleichzeitig weniger Kakao enthält. Damit erzürnte er seinen sozialdemokratischen Koalitionspartner ČSSD, der das Gefühl hatte, Babiš habe den Sozialdemokraten kurz vor der Wahl ein Thema gestohlen, für das er sich nie vorher ernsthaft interessiert hatte.

Am Ende gelang es den beiden Politikern aber, Geschlossenheit zu demonstrieren. Anfang der Woche, wenige Tage vor der Euopawahl, wurde der Gesetzentwurf des Landwrtschaftsministers bei einer Regierungssitzung mit Babiš offiziell auf den Weg gebracht und ans Parlament überwiesen. "Es ist ein wichtiges Thema und wir werden uns lagfristig damit befassen", sagte Ministerpräsident Babiš.

Der Preis entscheidet

Marktkenner weisen allerdings auf einen wichtigen Fakt hin: Die tschechischen Kunden richten sich bei ihrer Kaufentscheidung fast ausschließlich nach dem Preis. Auf gut Deutsch: Die Lebensmittel sollen vor allem billig sein. Die Tschechische Republik zählt auch zu den europäischen Ländern mit den meisten Rabattaktionen. Wird das Verbot "doppelter Qualitätsstandards" beschlossen, würde das aber zumindest bei einigen Produkten zwangsläufig zu Preissteigerungen führen. Und das ist etwas, was die Tschechen gar nicht mögen.

(baz)

Über dieses Thema berichtete auch MDR AKTUELL im TV: 18.05.2019 | 19:30 Uhr

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