Energie-WendeElektromobilität: Polens Exportschlager, der daheim kaum verbreitet ist
Die Automobilindustrie gehört zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen in Polen. Auch dort orientiert man sich immer stärker auf E-Mobilität um. Vor allem Akkus sind ein polnischer Exportschlager geworden. Auch viele Elektroautos auf Deutschlands Straßen fahren mit Akkus aus Polen. Drei polnische Hochschulen haben inzwischen die Zeichen der Zeit erkannt und bieten eigenständige Studiengänge für E-Mobilität an. Doch in der eigenen Garage haben nur die wenigsten Polen ein E-Auto stehen.
Auf den ersten Blick sieht es wie eine Tüftler-Werkstatt aus: eine größere Garage, an den Wänden Regale mit Werkzeug. Doch bei näherem Hinsehen merkt man, dass hier keine Hobbyschrauber, sondern angehende Ingenieure am Werk sind – denn in den Regalen ist auch so manches Messgerät verstaut, das ein gewöhnlicher Schrauber nicht braucht.
Studenten der TU Breslau machen sich hier an einem Motorrad zu schaffen, dass sie in Eigenregie entworfen und gebaut haben. Thunder 2 heißt es und kann mit seinen 55 PS auf 120 km/h beschleunigen – mit einem rein elektrischen Antrieb, denn der "Wissenschaftliche Arbeitskreis Fahrzeuge und mobile Roboter" hat sich das Thema E-Mobilität auf die Fahnen geschrieben – und das nicht erst seit gestern.
"Unsere Studenten waren uns Lehrkräften ein wenig voraus und haben schon vor zehn Jahren angefangen, Elektrofahrzeuge zu konstruieren", erzählt Dozentin Monika Magdziak-Tokłowicz, die den Arbeitskreis an der TU Breslau betreut. 60 Studentinnen und Studenten machen mit – unter dem Dach und mit Unterstützung der Hochschule, aber in ihrer Freizeit, zusätzlich zum regulären Unterricht. Man merkt ihnen an, dass sie für das Thema brennen. In den letzten Jahren haben sie einige Modelle gebaut und damit sogar Preise bei internationalen Rennen geholt.
Neuer Studiengang "Elektromobilität" in Breslau
Dass elektrische Fahrzeuge die Zukunft sind, hat inzwischen auch ihre Hochschule begriffen. 2021 eröffnete sie einen eigenständigen Studiengang " Elektromobilität" – als dritte in Polen. Die Anregung kam aus der Industrie.
Vertreter der Industrie haben seit Jahren darauf hingewiesen, dass es zu wenig Ingenieure gibt, die sich auf Elektroautos spezialisieren.
Prof. Mateusz Dybkowski, Technische Universität Breslau
Die 90 Studienplätze waren schnell vergeben, und doch dürften die neuen Ingenieurskader ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Denn Polen entwickelt sich gerade zu einem Global Player in Sachen E-Mobilität. Der Branchenverband "Alternative Antriebe", mit dem die TU Breslau kooperiert, schätzt, dass der Sektor 100.000 Arbeitskräfte in den nächsten fünf Jahren aufnehmen könnte.
Akkus vieler E-Autos kommen aus Polen
Was viele nicht wissen: Die Batterien vieler Elektroautos, die auf deutschen Straßen fahren, stammen aus Polen. Denn das Land ist inzwischen zum größten Batterieexporteur in der EU aufgestiegen. 2020 wurden mit polnischen Batterien 3,99 Mrd. Euro Umsatz gemacht – das sind nahezu zwei Prozent der polnischen Exporte überhaupt. Fast die Hälfte der Produktion ging nach Deutschland.
Einen großen Anteil daran hat die Akkufabrik von LG Energy Solution direkt vor den Toren Breslaus. Das Werk mit 9.500 Mitarbeitern ist nach Produktionszahlen die Nummer 1 in Europa und will zur Nummer 1 weltweit aufsteigen. Akkus von hier werden in E-Autos von Audi, BMW, Fiat, Ford, Jaguar, Porsche, Renault, Volkswagen und Volvo verbaut – Marken, die auch in Mitteldeutschland produzieren. Studenten des neuen Fachs "E-Mobilität" an der TU Breslau sollen hier im Rahmen einer Kooperation Schulungen absolvieren. Einige werden hier sicherlich später arbeiten. Ein weiteres, kleineres Akkuwerk unterhält Mercedes-Benz in Jawor, rund 60 Kilometer westlich von Breslau. Auch dort wird Ingenieursnachwuchs gebraucht, wenn die Batterieproduktion in Polen weiter so schnell wächst wie bisher. Ein Wachstum, mit dem sich auch die Politik gerne schmückt.
Polen ist schon heute ein Vorreiter der E-Mobilität in Europa, das muss man ganz klar sagen.
Mateusz Morawiecki, Ministerpräsident von Polen | 18. November 2021
Was die Herstellung betrifft, mag der Regierungschef Recht haben, im Konsum hinken die Polen jedoch weit hinterher. Lediglich rund 41.000 Pkw mit Elektromotor (rein elektrische Fahrzeuge und Plug-In-Hybride) waren in Polen Ende Februar 2022 zugelassen – von insgesamt etwa 25 Mio. Pkw, die auf polnischen Straßen verkehren. In Deutschland sind es 1,2 Millionen Elektro-Pkw (Plug-In-Hybride inklusive) von insgesamt knapp 49 Millionen.
In Polen selbst sind Elektroautos aber rar
Bis heute spotten Polen über Mateusz Morawiecki, der 2016 noch als Entwicklungsminister ankündigte, Polen werde bis 2025 die Marke von einer Million Elektroautos knacken. Die vollmundigen Versprechen wurden später auf 600.000 reduziert und die Frist bis 2030 verlängert. Selbst das ist Experten zufolge aber nicht realistisch – sie halten eine Zahl von knapp 200.000 Elektroautos auf Polens Straßen bis 2025 für machbar. Hauptproblem ist die fehlende Lade-Infrastruktur. Momentan gibt es nur 2.000 Ladesäulen in ganz Polen.
Wenn ich quer durch Polen von Süd nach Nord fahren will, zum Beispiel an die Ostsee, um dort Urlaub zu machen, habe ich keine Garantie, dass sich eine Ladesäule findet, wenn ich sie gerade brauche.
Monika Magdziak-Tokłowicz, Technische Universität Breslau
Außerdem sind Elektroautos für die Polen trotz staatlicher Zuschüsse noch zu teuer, meint Prof. Dybkowski: "Unsere Gesellschaft ist noch nicht so wohlhabend wie die Gesellschaften in Westeuropa, das muss man ganz klar sagen. Deshalb ist ein Preis von ungefähr 30.000 Euro ein relativ starkes Hindernis. Zumal man für 30.000 Euro ein Fahrzeug bekommt, dass nur als Zweitwagen für den Stadtverkehr geeignet ist. Wenn man ein Auto kaufen will, dass sich als erstes Auto der Familie eignet, muss man deutlich mehr Geld in die Hand nehmen."
Erschwinglicher werden Elektroautos in Polen aber in ein paar Jahren, wenn ein Gebrauchtwagenmarkt entsteht, erwartet Dybkowski. Denn Gemeinden oder Behörden sind gesetzlich verpflichtet, einen bestimmten Anteil Elektroautos in ihrer Flotte zu besitzen. Wenn sie die abgeschriebenen Fahrzeuge wie üblich nach einiger Zeit weiterverkaufen, werden sie preislich in die Reichweite normaler Privathaushalte rücken.
E-Autos: selbst mit "dreckigem" Kohlestrom ökologischer
Dabei wären mehr E-Autos für alle vorteilhaft. Passanten müssten dann weniger Abgase einatmen und die CO2-Bilanz wäre besser – selbst in einem Land wie Polen, wo 68 Prozent der elektrischen Energie noch mit der "dreckigen" Kohle erzeugt werden. Professor Dybkowski beruft sich auf entsprechende Berechnungen, die den kompletten Lebenszyklus eines Elektroautos einbeziehen, also die Batterieherstellung, eine snenommene Nutzungsdauer von 200000 Kilometern Laufleistung und die anschließende Entsorgung.
Selbst wenn ein Großteil der Energie aus fossilen Brennstoffen stammt, ist die CO2-Spur eines Elektroautos deutlich kleiner als eines Autos mit Verbrennungsmotor.
Prof. Mateusz Dybkowski, Technische Universität Breslau
Wann die Millionenmarke, die Polens Regierung ursprünglich anvisiert hatte, geknackt wird, vermag Dybkowski allerdings nicht zu sagen. Vorerst werden die Absolventen des neuen Studiengangs "Elektromobilität" wohl noch eine Weile überwiegend für den Export arbeiten. Ideen werden ihnen dabei wohl nicht so schnell ausgehen. Denn das nächste Projekt der Studierenden vom wissenschaftlichen Arbeitskreis ist schon in Arbeit – diesmal ein Fahrzeug auf vier Rädern. Es ist ein kleiner Geländewagen der SSV-Klasse mit Elektromotor, mit dem sie bei der Dakar-Ralley antreten wollen.
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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 30. März 2022 | 17:45 Uhr