Beata Szydlo und Jaroslaw Kaczynski
Ex-Ministerpräsidentin Beata Szydło am Sonntag in Siegerpose neben PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński. Szydło holfe fast eine halbe Million Wählerstimmen, das landesweit beste Ergebnis und zieht ins EU-Parlament ein. Bildrechte: imago images / Eastnews

Europawahl Populisten und Newcomer gewinnen in den Visegrád-Staaten

27. Mai 2019, 16:46 Uhr

Noch nie war in den Visegrád-Staaten die Beteiligung an der Europawahl so hoch wie in diesem Jahr. Während in Ungarn und Polen rechtspopulistische Kräfte gewannen, wurde in der Slowakei eine Newcomer-Partei Wahlsieger. Hier ein Überblick der vier Visegrád-Staaten:

Polen: Europawahl ist Test für Herbst

Noch nie war das Interesse der Polen an der Europawahl so groß wie dieses Jahr. Die Wahlbeteiligung lag mit 45,6 Prozent fast doppelt so hoch wie 2014. Der Grund: Die Europawahl galt als Stimmungstest für die polnischen Parlamentswahlen im Herbst.

Für alle, die auf ein Ende der PiS-Regierung in Polen hoffen, weil sie ihre Politik als konfliktreich, zu konservativ und antieuropäisch empfinden, bedeutet das Wahlergebnis jedoch eine Enttäuschung: Die PiS kam als Wahlsieger auf 45,4 Prozent der Stimmen. Ihr Hauptkonkurrent, die liberal-konservative Europäische Koalition, – ein Bündnis aus fünf Oppositionsparteien – kam lediglich auf 38,5 Prozent. Weder die Aufdeckung von Finanz- und Immobilienskandalen der PiS, noch die Empörung über den Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche, die als Verbündete der PiS gilt, haben der Popularität der Nationalkonservativen einen Abbruch getan.

Politische Lager feiern Ergebnis

PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński kann mit dem Ergebnis vom Sonntag von einer verfassungsändernden Mehrheit im nächsten polnischen Parlament träumen. "Der entscheidende Kampf um die Zukunft unseres Landes wird sich im Herbst abspielen, und da muss unser Sieg noch größer sein als jetzt", sagte er.

Auch die Opposition feierte ihr Ergebnis. Noch vor einigen Monaten schien es undenkbar, dass die konservativ-liberale Bürgerplattform mit den Grünen, Postkommunisten (SLD), Bauern (PSL) und den ehemaligen liberalen Konkurrenten (Nowoczesna) zusammenarbeiten würden.

Tschechien: Babiš-Partei siegt

Andrej Babis bei Stimmabgabe
Tschechischer Premier Andrej Babiš bei der Stimmabgabe am Sonntag. Bildrechte: imago images / CTK Photo

Auch diejenigen, die auf eine Politikwende in Tschechien hoffen, sehen sich enttäuscht. Seit längerem gehen die Menschen in Prag und anderen Städten auf die Straße, um Ministerpräsident Andrej Babiš zum Rücktritt zu bewegen. Grund ist die sogenannte Storchennest-Affäre - der tschechische Regierungschef soll sich in seiner Zeit als Unternehmer EU-Subventionen erschlichen haben. Dennoch ging seine ANO-Partei als Sieger aus der Europawahl hervor - mit 21,2 Prozent.

Regierungskoalition in Prag gefährdet?

Doch auch wenn die ANO-Partei einen Wahlsieg eingefahren hat, könnte sie zuhause Probleme bekommen. So blieb ihr bisheriger Koalitionspartner, die sozialdemokratische ČSSD, bei der Europawahl unter der Fünf-Prozent-Hürde. Einst sogar stärkste Kraft im Land, befinden sich die Sozialdemokraten in Tschechien ähnlich wie in Deutschland seit einiger Zeit im freien Fall.

Das könnte am Kabinett Babiš stärker rütteln als die bisherigen Massenproteste. "Wahrscheinlich fängt in der Partei eine neue Debatte an, ob der Einstieg in die Regierung [mit der ANO-Partei – Anm. d. Red.] ein Fehler war", schreibt das Nachrichtenportal idnes.cz. Es sei nicht ausgeschlossen, dass manche einflussreichen Sozialdemokraten nach einem außerordentlichen Parteitag rufen werden, heißt es dort.

Hohe Wahlbeteiligung und viele Neulinge

Die Europawahl brachte in Tschechien noch weitere Überraschungen. Die Wahlbeteiligung lag bei 28,7 Prozent und damit so hoch wie noch nie in der Geschichte des Landes. Überraschend ist auch das gute Ergebnis der neuen Akteure. Die tschechischen Piraten ziehen erstmals ins EU-Parlament ein, ähnliches gelang der nationalistischen SPD von Tomio Okamura. Die migrations- und europakritische Partei konnte ihr Ergebnis auf 9,14 Prozent verdreifachen.

Ungarn: Orbán siegt, Opposition geht unter

In Ungarn lief eigentlich alles "nach Drehbuch" – und doch nicht ganz. Wie in allen Umfragen vorhergesagt, fuhr die Regierungspartei Fidesz von Viktor Orbán mehr als 52 Prozent ein. Die Verhältnisse in der Opposition haben sich allerdings komplett und unerwartet verändert: Die "klassische" Opposition, die sich seit 2010 der Fidesz entgegenstellt, ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die einst regierenden Sozialisten kamen auf 6,7 Prozent. Die rechtsradikale Jobbik, die bei den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr noch beinahe 20 Prozent erreichen konnte, schrumpfte auf 6,4 Prozent.

Die grüne LMP, wurde mit 2,18 Prozent regelrecht abgestraft – sie ist seit längerem mit inneren Streitereien beschäftigt. Nur Ex-Premier Ferenc Gyurcsány und seine linksliberale Partei DK konnte mehr als 16 Prozent holen und die Abgeordnetenzahl in Straßburg verdoppeln.

Neue Kraft im politischen System

Eine große Überraschung gelang der ungarischen Newcomer-Partei Momentum. Noch im vergangenen Jahr verpasste sie den Einzug ins einheimische Parlament – nun erreichte sie fast zehn Prozent der Stimmen, doppelt so viel wie in den Umfragen vorhergesagt. Auch die Wahlbeteiligung lag mit gut 43 Prozent so hoch wie noch nie bei einer Europawahl in Ungarn.

Slowakei: Klares Ja zu Europa

Während in Ungarn, Polen und Tschechien die Populisten die Europawahl gewannen, fährt die Slowakei einen ganz anderen Kurs. Dort gewann mit 20,1 Prozent die liberale, pro-europäische Partei Progressive Slowakei. Auch war die Wahlbeteiligung mit knapp 23 Prozent deutlich höher als beim EU-weiten Allzeittief 2014 mit 13 Prozent.

Die regierenden Sozialdemokraten (Smer-SD) von Ex-Premier Robert Fico mussten seit 2006 erstmals eine Wahlniederlage hinnehmen. Sie landeten mit 15 Prozent der Stimmen auf Platz zwei.

"Das Ergebnis der Europawahl bietet sicher eine Chance, die slowakische Politik zu verändern", schreibt die Online-Ausgabe der Zeitung "Dennik N". Robert Fico sei ohne Energie, Ideen, Mut und Chance, die Menschen zu überzeugen, dass er die Zukunft der Slowakei sei, so das Blatt. Das Nachrichtenportal pravda.sk schreibt den Wahlsieg der Pro-Europäer einer klaren Haltung zu. Die Progressive Slowakei habe die Wähler nicht mit verschiedenen "aber" irritiert.

Gutes Ergebnis für Nationalisten

Drittstärkste Kraft ist hingegen die nationalistische L'SNS, die einen Austritt der Slowakei aus der Europäischen Union will und auf 12 Prozent der Stimmen kam. Auch sie hätten den Wählern klar gesagt, was sie über die Europäische Union denken, schreibt pravda.sk.

(ms, hš, pb, baz)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 27. Mai 2019 | 17:45 Uhr

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