Ukraine Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko muss wieder in den Ring

05. Juni 2021, 04:29 Uhr

Gegen mehrere Beamte der Stadtverwaltung von Kiew laufen gerade Korruptionsermittlungen. Präsident Selenskyj versucht dabei den Fokus auch auf Bürgermeister Klitschko zu lenken, nicht, weil er einer der Tatverdächtigen ist, sondern ein ernstzunehmender politischer Gegner. Der Ex-Boxweltmeister nimmt das ganze nicht kampflos hin.

Vitali Klitschko auf Pressekonferenz
Der frühere Box-Weltmeister Vitali Klitschko ist Bürgermeister von Kiew. 2020 wurde er mit über 50 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Bildrechte: imago images / ZUMA Press

Der ehemalige Boxweltmeister im Schwergewicht und Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko muss sich im politischen Ring behaupten. Diesmal kämpft er jedoch nicht gegen Lennox Lewis oder Corrie Sanders, sondern wird vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj herausgeforert. Seit Selenskyj im Frühjahr 2019 zum neuen Staatschef gewählt wurde, liefern sich die beiden Männer aus gegnerischen politischen Lagern einen erbitterten Machtkampf um die Hauptstadt Kiew.

Denn wer die Kontrolle über die Hauptstadt hat, spielt eine wichtige Schlüsselrolle in der landesweiten Politik. Selenskyjs Partei ist es bislang allerdings nicht gelungen, sich in Kiew durchzusetzen. Erst im vorigen Herbst wurde Vitali Klitschko bei der Kommunalwahl in der Hauptstadt erneut zum Bürgermeister gewählt. Nun ist der Kampf um die Stadt neu entflammt.

Straßenverkehr
Offiziell gibt es in Kiew drei Millionen Einwohner. Bildrechte: Kyiv Cyclists’ Association

Razzien in Klitschkos Umfeld

Die jüngste Kampfansage von Selenskyj kam Mitte Mai, als Polizei und Mitarbeiter des Geheimdienstes SBU in der Kiewer Stadtverwaltung eine Razzia durchführten. Tage später durchsuchten die Sicherheitskräfte auch den Wohnblock, in dem Klitschko lebt, nicht aber dessen Wohnung. Ermittelt wird gegen einen Parteifreund von Klitschko, dem vorgeworfen wird, illegale Geschäfte auf Kiews Straßen begünstigt zu haben. Auch sind elf Beamte der Kiewer Stadtverwaltung im Visier der Ermittler. Sie werden der Korruption verdächtigt, es soll um mutmaßliche Bereicherung an Staatsaufträgen gehen. Ukrainische Medien berichteten unter Berufung auf die Sicherheitskräfte, dass die Anschuldigungen ernst und begründet seien. Selenskyjs Berater, Mychajlo Podoljak, sprach von Betrugsfällen "in Höhe von mehreren Millionen Hrywnja".

Offener Schlagabtausch zwischen Selenskyj und Klitschko

Am 20. Mai lies Präsident Selenskyj in bester Boxtradition eine klassische, verbale Einschüchterung folgen: "Ich will nichts Schlechtes über Klitschko sagen", erklärte der Präsident auf seiner Jahrespressekonferenz. "Es gab jedoch Razzien in seinem Umfeld, die aus meiner Sicht gerechtfertigt sind. Man hätte davor eben nicht aus dem Haushalt stehlen sollen“. Der Ex-Boxweltmeister konterte umgehend. Er warf dem Präsidentenbüro in mehreren Statements und Interviews vor, es würde seine Absetzung als Bürgermeister betreiben.

Wolodymyr Selenskyj
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj führt einen Machtkampf gegen Klitschko. Bildrechte: imago images / ITAR-TASS

Präsident kann Klitschko entmachten

Die Entmachtung des Bürgermeisters von Kiew ist zwar schwierig, aber nicht unmöglich. Präsident Selenskyj spielt dabei eine Besonderheit im ukrainischen Recht in die Hände. Denn, so eigenartig das auch klingt, die eigentliche Macht in der Hauptstadt besitzt nicht der gewählte Bürgermeister, er ist nur eine Art Zeremonienmeister bei feierlichen Anlässen. Die eigentlichen Amtsgeschäfte führt der Leiter der Stadtverwaltung, den jedoch der Präsident ernennt. Selenskyj kann Vitali Klitschko also gewissermaßen jemanden aus seiner Partei vor die Nase setzen. Noch ist das nicht geschehen, doch in einem solchen Falle wäre Klitschkos Einfluss auf das Geschehen in der Hauptstadt trotz seines Bürgermeisteramtes äußerst gering.

Läuft sich Klitschko für den Wahlkampf warm?

Doch geht es im Zweikampf der beiden prominenten Politiker vielleicht um mehr? Etwa um die Präsidentschaftswahl 2024, auch wenn bis dahin noch gut drei Jahre Zeit ist? Klitschko gibt sich als Kiewer Bürgermeister schon längere Zeit gerne staatsmännisch. Im März hatte er für die ukrainische Hauptstadt einen strengen Lockdown verhängt und forderte kurz darauf die Regierung auf, seinem Beispiel im gesamten Land zu folgen. Als im Mai US-Außenminister Antony Blinken die Ukraine besuchte, um die Beziehungen mit dem Land zu intensivieren, twitterte Bürgermeister Klitschko, dass auch er den Staatsgast in Empfang genommen habe.

Schon 2014 wollte Klitschko bei der Präsidentenwahl antreten, zog aber die Kandidatur zurück, um seinen damaligen politischen Verbündeten Petro Poroschenko zu unterstützen, der die Wahl für sich entscheiden konnte. 2019 wendete sich das Blatt: Der TV-Star und politische Neuling Selenskyj gewann in der Stichwahl haushoch gegen Amtsinhaber Poroschenko.

Ob Klitschko zur nächsten Präsidentenwahl 2024 antreten will, lässt er bislang offen. Umfragen des Soziologie-Instituts Rating Group zufolge genießt er zumindest unter den Kiewern mehr Vertrauen als Staatschef Selenskyj. Dennoch hat er als Bürgermeister wenig Erfolge vorzuweisen, ganz anders als in seiner einstigen glorreichen Sportkarriere. Die Opposition im Kiewer Stadtrat kritisiert, dass Immobilienhaie die Stadtpolitik bestimmen würden. Vorwürfe, die Klitschko vehement zurückweist. Zudem hat Kiew seit Jahren akute Probleme im öffentlichen Nahverkehr, die auch in Klitschkos jahrelanger Amtszeit nicht gelöst wurden.

Wer ist der Favorit im Zweikampf?

Ob Präsident Selenskyj noch einmal antreten wird, lässt der Amtsinhaber offen. Im Augenblick ist seine Position gut. Zwar hat er an Beliebtheit eingebüßt, doch keiner seiner politischen Gegner kommt ihm bislang in den Umfragen gefährlich nahe. Bis zur nächsten Präsidentenwahl 2024 kann sich das allerdings noch ändern. Fest steht schon jetzt: An Siegeswillen fehlt es seinem politischen Widersacher Klitschko nicht, das hat der 49-Jährige bereits mehrfach in der Politik bewiesen. Der Ex-Profiboxer wurde erst im dritten Anlauf Bürgermeister – ein Amt, das ihn seit sieben Jahren niemand in Kiew streitig gemacht hat.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | 20. November 2020 | 17:15 Uhr

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