Geflüchtete aus der Ukraine Wie eine Familie ukrainischen Flüchtlingen hilft

11. März 2022, 05:00 Uhr

Heinz und Martina Nitzsche haben sich über Jahrzehnte in der Ukraine in der Suchthilfe engagiert. Jetzt holen die beiden Rentner aus Sachsen so viele Menschen wie möglich aus dem Kriegsgebiet an der polnischen Grenze ab und bringen sie in ihrem Wohnort unter.

Im Haus steht ein Kachelofen, wie diese in den Siebziger Jahren eingebaut worden sind: gelbe, verzierte Kacheln und mannshoch. Der Treppenaufgang ist mit Holzpanelen gestaltet, die Tapete ebenfalls ein paar Jahre alt – doch es wirkt gepflegt. "Aber es muss noch viel gemacht werden", sagt Heinz Nitzsche. Der 78-Jährige und seine Frau Martina wollen das leerstehende Gebäude für eine ukrainische Familie mieten.

Neben Heinz und Martina Nitzsche steht Olga in dem Einfamilienhaus in einem Dorf in der Nähe von Krakow am See an der Mecklenburgischen Seenplatte. Die beiden gebürtigen Sachsen sind bereits vor Jahrzehnten nach Mecklenburg gezogen und haben in Sehrran eine der ersten unabhängigen Suchthilfe-Einrichtungen der DDR aufgebaut. Die Ukrainerin Olga stammt aus Mariupol und hat zuletzt in der Nähe von Kiew gelebt. Für die Großstädterin wird das Leben auf dem Lande eine große Veränderung sein. Doch Hauptsache ist nun, ihre Kinder und sie kommen zur Ruhe, finden Sicherheit und Frieden. "Ich werde mich gewöhnen, an das neue Leben."

Tag und Nacht laufen Rettungsaktionen

Olga ist mit ihrem Mann und den beiden Kindern direkt nach dem Ausbruch des Krieges geflohen – mit Hilfe von Familie Nitzsche. Tochter Sandra und Sohn Vitaly spielen am Zaun mit dem Hund auf dem Nachbargrundstück. Für sie ist der Krieg nun weit weg.

Für ihren Vater Jura ist das Geschehen in der Ukraine allgegenwärtig. Er hilft den Nitzsches Tag und Nacht bei Rettungsaktionen für seine Landsleute. An Tag fünf des Krieges etwa sitzt der junge Mann am Steuer des Kleinbusses mit einer Kaffeetasse in der Hand.Rechts neben ihm sitzt Heinz Nitzsche und der fragt in Richtung Rücksitzbank: "Wie viele holen wir jetzt raus?" Auf der Bank hinter den beiden sitzt Martina Nitzsche, schmiert Leberwurst-Brötchen und antwortet: "Fünfe." Sechs weitere seien noch unterwegs. "Die sind schon über die Grenze und kommen jetzt zu uns." Die Nitzsches versuchen zu retten, wen sie retten können.

Familie Nitzsche lebte 20 Jahre in der Ukraine

Martina und Heinz Nitzsche lebten und wirkten selbst fast 20 Jahre lang in der Ostukraine. Als sie noch in Mariupol tätig waren, war Jura lange Zeit bei ihnen angestellt. In der Stadt am Ufer des Asowschen Meeres richteten sie damals Suchthilfeeinrichtungen ein, bauten ein Kinder-und Jugendhaus im Hafenviertel Gawan, eröffneten ein Hospiz und bauten Gemeindehäuser für die evangelische Gemeinde von Mariupol.

Dann eskalierte die Situation im Frühjahr 2014 im Osten der Ukraine. Separatisten griffen – von Russland unterstützt – nach der Macht im Donbass. Auch damals wird Mariupol beschossen, schon damals flohen die Menschen vor Krieg und Gewalt. Auch damals half Familie Nitzsche und schaffte mit Kleinbussen Hilfsgüter in die Ukraine.

Zwei Sachsen bringen Ukrainer von Polen nach Mecklenburg-Vorpommern

Seit Beginn des Krieges durch Russland finden die Nitzsches keine Ruhe mehr. Die beiden Sachsen versuchen nun, ihre damaligen Angestellten und Betreuten in Sicherheit zu bringen. Mit Jura fahren sie an diesem Tag bis nach Wrocław (Breslau) – es ist inzwischen dunkel geworden. Sie wollen eine fünfköpfige Familie abholen. Bis dorthin bringt diese ein polnischer Bus.

Erst nach einer längeren Suche finden sie schließlich die völlig erschöpfte Familie in einem Schnellimbiss. Sie wohnten vorher in einem heftig umkämpften Vorort von Kiew. Als im Nachbarhaus Bomben einschlugen, packten sie ihre Sachen und flohen. Drei Tage und Nächte haben sie auf der Flucht im Auto verbracht, erfährt MDR exakt später. Weil Galina und Alexander drei Kinder haben, durfte auch der Vater das Land verlassen.

Kontakt zu ehemaligen Mitarbeitern in Mariupol abgerissen

Es geht für alle direkt weiter – von Wrocław zurück nach Mecklenburg-Vorpommern. Als sie ankommen, ist es drei Uhr nachts. "So wir sind angekommen", sagt Martina Nitzsche in fröhlich-warmen Ton und erklärt auf Russisch: "Heute Nacht schlaft ihr hier." Dabei führt sie in ein großes Zimmer mit massiven Dachbalken, Herd und Betten."Die nächsten Nächte werden wir ein anderes Quartier finden."

Gegenüber dem Reporter von MDR exakt erklärt sie: "Das Haus gehört unserer jüngsten Tochter." Es sei eigentlich noch lange nicht fertig – nur oben. "Und das hat sie jetzt einfach zur Verfügung gestellt." Die gerade angekommene Familie wird eine Woche später weiter zu Verwandten nach Wolfsburg ziehen.

Doch Martina und Heinz Nitzsche haben da bereits neue Sorgen. Der Kontakt zu deutschen Mitarbeitern in Mariupol ist abgerissen: "Es sind ganz wertvolle Mitarbeiter noch unten geblieben." Um diese wollten sie sich nun kümmern. Heinz ist selbst im Krieg geboren worden. Er ist fast sprachlos angesichts des Grauens in der Ukraine. Er und seine Frau Martina helfen weiter so viel sie können.

Quelle: MDR exakt/ mpö

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 09. März 2022 | 20:15 Uhr

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