
Polens umstrittene Legende Solidarność-Pfarrer ein Kinderschänder?
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12. Dezember 2018, 17:03 Uhr
Es ist die Nachricht, die ganz Polen bewegt: Pfarrer Henryk Jankowski, der legendäre Priester der Solidarność-Bewegung, soll sich an Kindern vergangen haben. In einem ausführlichen Artikel der "Gazeta Wyborcza" wurden Fälle aus den vergangenen Jahrzehnten beschrieben. Die Zeitung stützt sich auf eine Vielzahl von Augenzeugenberichten.
Einer der ältesten Missbrauchsfälle soll sich bereits Ende der 1960er ereignet haben. Ein Mädchen, das möglicherweise von Jankowski schwanger wurde, soll sich sogar das Leben genommen haben. Im Umkreis der Danziger Kirchen, an denen der Geistliche tätig war, soll sein Treiben ein offenes Geheimnis gewesen sein. Niemand habe sich aber getraut, laut darüber zu sprechen, schreibt das Blatt. Sexuelle Vergehen von katholischen Priestern seien damals ein Tabuthema gewesen und später sei der Pfarrer einfach zu einflussreich gewesen.
Eine Ikone – schon zu Lebzeiten
Für viele Polen war das ein Schock, weil der 2010 verstorbene Priester als einer der Helden der Solidarność galt. Zunächst wurde er im Priesterseminar abgewiesen, erst beim zweiten Versuch im Nachbarbistum wurde er angenommen. Nach der Priesterweihe macht er aber dank seinem Organisationstalent schnell Karriere. So gelingt es Jankowski trotz aller Widrigkeiten, die im Krieg ausgebombte St. Barbara-Kirche wideraufzubauen - unter anderem dank Spenden aus Deutschland.
Seine große Stunde schlägt aber auf dem Höhepunkt der Solidarność-Streiks in der Danziger Lenin-Werft im August 1980. Jankowski wird zu den Streikenden geschickt, um für sie eine Messe zu feiern. In einer Atmosphäre, wo viele Angst haben, das Militär könnte den Streik niederschießen, eine ungeheuer wichtige und symbolträchtige Handlung. Danach wird Jankowski offizieller Kaplan der Solidarność-Bewegung, Ikone und Legende schon zu Lebzeiten.
Im nachfolgenden Kriegsrecht erweisen sich seine deutschen Verbindungen als Trumpf - seine Mutter war eine Danziger Deutsche, sprach Zeit ihres Lebens nur schlecht polnisch, weshalb in Jankowskis Elternhaus bei Tisch deutsch gesprochen wurde.
Im Kriegsrecht, das Ende 1980 verhängt wurde, ist er auf polnischer Seite eine der wichtigsten Anlaufstellen für Hilfstransporte aus Westdeutschland. Alle paar Tage halten vor seinem Danziger Pfarrhaus Lkw voller Lebensmittel, Kleidung und Arzneimittel - ungeheure Reichtümer in dieser kargen Zeit, und Jankowski ist für deren Verteilung zuständig. Er wird auch inoffizieller "Außenminister" der Solidarność-Bewegung und pflegt ein enges Verhältnis zu deren Anführer Lech Walesa. Seine Position erstarkt so sehr, dass er selbst für seinen Bischof unantastbar wird.
Erste Hinweise
Dabei hätte es wohl genügend Gründe gegeben. Dass er schon damals auf großem Fuß lebt, teure Autos fährt und sich mit Luxus umgibt, ist noch das kleinste Problem. Wie die "Wyborcza" schreibt, legt er sich in seinem Pfarrhaus wohl eine Art Harem mit jungen Burschen im Teenager-Alter zu.
Die Recherchen der "Wyborcza" und Befragungen von Zeitzeugen deuten an, dass zumindest manche von ihnen eine Doppelrolle erfüllen mussten - nachts als Bettgenossen und tagsüber, bei den luxuriösen Empfängen des Prälaten, in einheitliche Anzüge gekleidet, als Butler. Selbst sein Bischof soll davon gewusst und Jankowski nur sanft gerügt haben: "Ein ernsthaftes Problem, das mich bereits seit einigen Jahren beunruhigt, ist dein Verhältnis zu jungen Männern", zitiert das Blatt den inzwischen verstorbenen Erzbischof Tadeusz Goclowski.
Opfer gehen in die Öffentlichkeit
Bereits 2004 hat sich einer der missbrauchten jungen Männer bei der Staatsanwaltschaft gemeldet. Doch damals konnte oder wollte noch niemand an seine Berichte glauben. Die Staatsanwaltschaft wollte ihn zunächst gar nicht offiziell vernehmen, erst nach einigem Mediendruck tat sie das - hat ihn dann aber als unglaubwürdig eingestuft und das Verfahren eingestellt.
Der jüngste Zeitungsbericht vom Dezember, der sich auf viele Zeitzeugenaussagen stützt, hat nun Polen erschüttert und den Stein ins Rollen gebracht. In Danzig wurde das Denkmal für den 2010 verstorbenen Pater Jankowski am 7. Dezember von Unbekannten mit Farbe übergossen. Seit der Veröffentlichung des Artikels finden dort Proteste und Mahnwachen statt.
Eine Initiative sammelt Unterschriften für dessen Rückbau. Oberbürgermeister Paweł Adamowicz sprach sich bei der letzten Stadtratssitzung inzwischen ebenfalls für einen Abbau des Denkmals aus und ruft die Kirche auf, einen Untersuchungsausschuss ins Leben zu rufen.
Im Januar will der Stadtrat über die Umbenennung des Jankowski-Platzes und die Aberkennung der Ehrenbürgerschaft der Stadt für Jankowski abstimmen. Die noch lebenden Schwestern des Solidarność-Kaplans haben unterdessen angekündigt, die Redaktion der "Gazeta Wyborcza" zu verklagen.
(GW/baz)
Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im: TV | 12.10.2018 | 17:45 Uhr