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Kosovare mit einer Flagge der Republik Kosovo in Pristina. Bildrechte: imago/ITAR-TASS

BalkanKosovo: Im Dauerkonflikt mit Serbien

02. August 2022, 18:59 Uhr

Wieder eskalieren die Spannungen zwischen Serbien und dem Kosovo. Diesmal geht es um verschärfte Grenzkontrollen. Ein Konflikt ohne Aussicht auf ein Ende, denn Serbien erkennt den Kosovo bis heute nicht als Staat an. Das ist problematisch – ohne diese Anerkennung wird den Serben ein Beitritt zur EU wohl verwehrt bleiben. Wie kam es zu dem Streit zwischen Kosovo und Serbien?

von Andrej Ivanji, Belgrad

Am 28. Februar 1998 war ein Krieg im Kosovo ausgebrochen, nachdem bei einer Vergeltungsaktion serbischer Polizisten im kosovarischen Dorf Likoshan zehn Menschen getötet worden waren. Warum kippte die Stimmung? Warum unterstützte der Westen die albanische Kosovo-Befreiungsarmee (UCK), die er zuvor als "terroristisch" einstufte? Sogar die Bundeswehr nahm daran teil - erstmals mit Kampfeinsätzen im Ausland überhaupt. Dem Einsatz hatte der Bundestag am 16. Oktober 1998 zugestimmt.

Bereits Anfang der 1990er-Jahre waren die Fronten zwischen den Kovoso-Albanern und Serben so stark verhärtet, dass eine friedliche Lösung nicht mehr in Sicht war. Der Konflikt der "niedrigen Intensität" stand jedoch lange im Schatten des Krieges in Kroatien und Bosnien. Für den Westen war er ein Nebenschauplatz der jugoslawischen Krise. Nach dem Motto: Keine Toten, keine Eile.

Auf passiven Widerstand gesetzt

Die damalige Symbolfigur der albanischen Unabhängigkeitsbewegung war der Literat und Philosoph Ibrahim Rugova. Er hielt nichts von Gewalt. Während in Kroatien und Bosnien Dörfer und Städte brannten, Serben, Kroaten und Muslime sich heftige Gefechte lieferten, setzte sich Rugova für einen gewaltfreien Widerstand der Kosovo-Albaner gegen die serbische Staatsmacht ein.

Autonomie aufgehoben

Als Serbien 1989 die Autonomie zweier Provinzen aufhob - der Vojvodina im Norden und des Kosovo im Süden des Landes - gründete Rugova die "Demokratische Liga des Kosovo" (LDK). Als ihr Vorsitzender setzte er sich für die Unabhängigkeit des Kosovo ein – auf eine Autonomie wollte er sich gar nicht mehr einlassen. Die Albaner waren zwar eine nationale Minderheit in Serbien, im Kosovo aber stellten sie die überragende Mehrheit dar. Als sich der Zerfall Jugoslawiens abzeichnete, erkannte Rugova die historische Chance für die Kosovo-Albaner.

Schriftstellerverband war Spiegelbild der Staatskrise

Ich lernte Ibrahim Rugova Ende der 1980er-Jahre kennen, er war Vorsitzender des kosovarischen Schriftstellerverbandes in Belgrad. Die jugoslawische Staatskrise spiegelte sich im jugoslawischen Schriftstellerverband wider, in dem jede Teilrepublik und die autonomen Provinzen vertreten waren.

Man stritt, man schrie sich an. Jedem, der sich den serbischen Vorstellungen vom gemeinsamen jugoslawischen Staat nicht beugen wollte, warfen die Serben "sezessionistische Bestrebungen" vor. Die kommunistische Ideologie von "Brüderlichkeit und Einigkeit" wurde durch den widererwachten Nationalismus der jugoslawischen Völker abgelöst. Schnell war die Floskel zu hören: "Alle Serben in einem Staat". Sollte heißen: Wenn Jugoslawien auseinanderfällt, würde Belgrad alle Territorien, wo Serben lebten, Serbien angliedern. Später bezeichnete man das als "großserbische" Ideologie.

Mitten in diesem Streit wirkte der Literat Rugova ruhig, fast scheu. Während sich seine Kollegen gegenseitig anbrüllten, sah er mit seinem Schal, den er immer trug, ein wenig weltfremd, nachdenklich aus. Vielleicht ist er schon damals zum Schluss gekommen, dass sich das Kosovo von Serbien loslösen sollte.

Albanischer Staat im Staat

Ich sah Rugova viele Jahre später in Pristina wieder – es muss 1994 gewesen sein. In Bosnien tobte der Krieg, ein Drittel des kroatischen Territoriums stand unter serbischer Kontrolle. Seine LDK-Bewegung war inzwischen die tragende politische Kraft im Kosovo. Ihr Ziel: die Loslösung von Serbien. Rugova setzte dabei ausschließlich auf gewaltfreien Widerstand, auf den kompletten Boykott des serbischen Staates.

Die LDK hatte eine Schattenregierung, ein paralleles, albanisches Staatssystem organisiert, von dem jedoch nur das Bildungs- und Gesundheitswesen halbwegs funktionierte. Albanische Kinder hatten Unterricht in Baracken, Garagen oder Kellern. Ambulanzen und Krankenhäuser waren provisorisch in privaten Wohnungen untergebracht. Die Kosovo-Albaner organisierten ihre eigenen Wahlen, die Rugova jedes Mal haushoch gewann. Es war ein von Serbien geduldeter albanischer Staat im Staat.

Der "Gandhi vom Balkan"

Die serbische Polizei und Spezialeinheiten waren überall. Sie nahmen fest, wen sie wollten, wann sie wollten, hielten ihn in Untersuchungshaft, solange sie wollten. Junge Albaner konnten sich nie sicher sein, ob sie bei einer Razzia in einem Nachtklub nicht festgenommen werden. Da sie den serbischen Staat nicht akzeptieren wollten, wurden sie wie Bürger zweiter Klasse behandelt. Die Jüngeren verloren allmählich die Geduld. Für den "Ausdauer-Wettbewerb", den Rugova eingegangen war, hatten sie kein Verständnis.

Ich fragte Rugova, wie lange die absurde Lage dauern könnte. "So lange es nötig ist", antwortete er. Seine Meinung wollte er nicht ändern, er sträubte sich gegen bewaffneten Widerstand, den manche auch in seiner LDK forderten. Man nannte ihn deswegen auch den "Gandhi vom Balkan".

Gelegentlich reiste Rugova ins Ausland, um sich über die Verletzung aller möglichen Menschenrechte im Kosovo zu beklagen und für die Unabhängigkeit zu werben. Man hörte ihm geduldig und höflich zu, doch der Westen hatte alle Hände voll mit dem Krieg in Bosnien und Kroatien zu tun.

Die Ungeduld der jungen Generation

1995 endete der Krieg in Bosnien und Kroatien. Es sah nicht gut aus für die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kosovo-Albaner. Der Westen wollte endlich Frieden auf dem Balkan, keine weiteren Grenzänderungen. Doch die jungen Albaner wurden immer ungeduldiger. Sie dachten, der "gewaltfreie Widerstand" habe ihnen nur den Hohn und Spott der Serben gebracht. Auch LDK-Chef Rugova wollte nicht nachgeben und sich auf Verhandlungen über eine Autonomie einlassen.

1997 organisierten albanische Studenten gegen den Willen Rugovas Massendemonstrationen in Pristina. Man spürte die geballte Energie auf den Straßen. Es hatte sich etwas in der Stimmung verändert. Einige junge Männer, die ich kannte, hatten Steine in den Taschen. Sie waren bereit, sich mit der serbischen Polizei zu prügeln.

Wie die Kosovo-Befreiungsarmee entstand

Zuvor war es erstmals zu bewaffneten Angriffen auf serbische Polizisten im Kosovo gekommen. Man hörte von einer Organisation, die sich "Kosovo-Befreiungsarmee" (UCK) nannte. Ihre Mitglieder töteten serbische Polizisten und flüchteten in die Wälder. Es waren klassische "hit and run" Aktionen. Die USA setzten die UCK zunächst auf die Liste internationaler terroristischer Organisationen.

Auch Rugova wollte nichts von ihnen wissen. Doch seine Autorität schwand rasant. Die Aktionen der UCK wurden immer gewagter. Sie richteten sich nicht mehr allein gegen serbische Sicherheitskräfte, sondern auch gegen Albaner, die "mit den Serben kollaborieren". Laut serbischen Angaben war die UCK für Dutzende terroristische Anschläge und Morde verantwortlich. Die Gegenaktionen der serbischen Polizei wurden immer ungezügelter. Die Spirale der Gewalt steigerte sich rasant.

Es war überhaupt nicht mehr angenehm mit Belgrader Nummernschild durch das Kosovo zu fahren. Auf leeren Landstraßen hatte ich dauernd das Gefühl, dass jemand auf mein Auto schießen würde. Serbische Polizisten waren nervös und hatten Angst. Es war ein Katz-und-Maus-Spiel, das die UCK allmählich für sich gewann. Die Folge immer härterer serbischer Vergeltungsmaßnahmen war, dass der UCK immer mehr junge Albaner beitraten. Gleichzeitig reagierte der Westen verhalten auf die Unabhängigkeitsbestrebungen im Kosovo.

Wende im Kosovo-Konflikt

Formal begann der Krieg im Kosovo am 28. Februar 1998. Eine serbische Patrouille wurde in der Nähe des kosovarischen Dorfes Likoshan angegriffen. Es folgte eine Vergeltungsaktion der serbischen Polizei, bei der laut Amnesty International zehn Jungen und Männer einer Familie im Alter von 16 bis fünfzig Jahren ermordet wurden. Sie hatten nichts mit der UCK zu tun.

Am 3. März wurden bei Likoshan insgesamt 24 Leichen begraben, auch zivile Opfer aus dem benachbarten Dorf Cirez. Eingewickelt in rötlich-weiße Tücher waren sie zuvor auf einer Wiese ausgestellt. Trotz Versammlungsverbot kamen Tausende Albaner zum Begräbnis. Es war mehr eine Kampf- als eine Trauerstimmung zu spüren. Es war die Wende im Kosovo-Konflikt.

Nato koordinierte Aktionen

Die UCK wurde danach immer aggressiver, die serbischen Streitkräfte immer brutaler. Auch im Westen kippte die Stimmung, was das Kosovo anging. Die USA organisierten in Albanien Trainingslager für Kämpfer der UCK und rüsteten sie auf. Am 24. März 1999 begannen die Luftangriffe der Nato auf die Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro), die bis zum 10. Juni dauerten.

In diesem Gebäude in Belgrad saß der ehemalige Generalstab. Das Haus wurde 1999 bei einem Nato-Bombenangriff zerstört. Bildrechte: Andrej Ivanji/MDR

Die Nato koordinierte ihre Aktionen im Kosovo mit der UCK. Auch deutsche Soldaten beteiligten sich an dem Kampfeinsatz - das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg. Serbische Streitkräfte wurden zum Rückzug gezwungen, über 200.000 Serben flüchteten aus der Provinz. Am 17. Februar 2008 rief das Kosovo die Unabhängigkeit aus. Rugova erlebte das nicht, er war zwei Jahre zuvor in Pristina gestorben.

Der Konflikt ist längst nicht aus der Welt

Serbien erkennt die Unabhängigkeit des Kosovo - der "Wiege des Serbentums" - nicht an. Und die politischen Folgen der Luftangriffe der Nato auf Serbien sind heute noch zu spüren: Eine Großzahl der Serben ist gegen eine Mitgliedschaft Serbiens im westlichen Militärbündnis, das viele für eine "verbrecherische Allianz" halten, dafür aber für eine enge Bindung an Russland.

Zuerst veröffentlicht am 15.07.2020

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Über dieses Thema berichtet MDR AKTUELL auch im:Fernsehen | 02.03.2017 | 17:45 Uhr

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell Fernsehen | 01. August 2022 | 19:30 Uhr

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