Homophobie in PolenBotschafter aus 50 Ländern gegen LGBT-freie Zonen
In Deutschland haben sich Lesben und Schwule ein großes Stück Gleichstellung erkämpft. In Polen findet eine entgegengesetzte Entwicklung statt. Nun kommt Protest von über 50 Botschaftern im Land.
Dass sich Botschafter aus mehr als 50 Länder zusammentun und einen Offenen Brief an Polen schreiben, dürfte auf internationalem Parkett wohl einmalig sein. Unter anderem haben Deutschland, die USA, Tschechien und Frankreich gemeinsam an Polen appelliert, die Rechte von Minderheiten im Land zu respektieren.
In dem Offenen Brief heißt es: "Die Achtung dieser Grundrechte verpflichtet die Regierungen, ( ... ) alle Bürger vor Gewalt und Diskriminierung zu schützen und dafür zu sorgen, dass sie Chancengleichheit haben."
Weiter würdigen die Verfasser die harte Arbeit der "LGBTI und anderer Gemeinschaften in Polen und auf der ganzen Welt sowie die Arbeit all jener, die sich dafür einsetzen, die Menschenrechte für LGBTI und andere Personen, die Gemeinschaften angehören, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen, zu gewährleisten." Der Grund für den Brief: In Polen verabschieden immer mehr Gemeinden Resolutionen gegen eine angebliche "LGBT-Ideologie".
Wenige Reaktionen aus Polen
Doch Polens Regierung zeigt sich unbeeindruckt. Eine offizielle Stellungnahme gab es bisher nur vom stellvertretenden Außenminister Pawel Jablonski – auf Twitter.
Polen stimme der Botschaft voll zu. "Jeder Mensch genießt den gleichen Schutz durch das polnische Recht." Er fügte hinzu: "Wir erinnern auch daran, dass nach der polnischen Verfassung die Ehe eine Verbindung zwischen einer Frau und einem Mann ist." Die Bekundung dieser Tatsache sei keine Diskriminierung, sondern Zeichen des Respekts für die Werte, die den Polen am Herzen liegen.
Traditionelles Familienbild
Die regierende PiS-Partei in Polen setzt sich für das traditionelle Familienbild, bestehend aus Vater, Mutter, Kind, ein und wird dabei von der Katholischen Kirche unterstützt. Der polnischen Regierung geht es – wie der Außenminister bei Twitter als Reaktion auf den Offenen Brief verdeutlichte - darum, die Werte der Mehrheitsgesellschaft zu respektieren. Den Kampf gegen Diskriminierung von LGBT stellen die Nationalkonservativen verzerrt als Kampf für unbegründete Privilegien dar. Sexuelle Minderheiten würden der Mehrheitsgesellschaft aggressiv ihre "LGBT-Ideologie" aufzwingen wollen – eine Gefahr für polnische Familien.
LGBT/LGBTIsteht als Abkürzung für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender-Personen oder Intersexuelle. Daneben existieren diverse Bezeichnungen, wie LGBT+, die Menschen mit anderen sexuellen Orientierungen oder geschlechtlichen Identitäten einbeziehen soll. Das Plus steht somit auch für queere und asexuelle Menschen.
LGBT-Freie Zonen
Im Ranking des internationalen Dachverbandes der Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen-, Trans- und Intersexorganisationen (ILGA) ist Polen mittlerweile auf den letzten Platz innerhalb der EU gerutscht. Kein Wunder, denn selbst auf politischer Ebene wird sich gegen eine vermeintliche "LGBT-Ideologie" gewehrt.
Regionalparlamente, Kreistage und Magistrate, in denen die PiS-Partei das Sagen hat, beschließen seit März 2019 regelmäßig Resolutionen gegen eine angebliche Homo-Propaganda. Den Anfang machte der Kreistag in Świdnik.
Der Landkreis werde "frei von LGBT-Ideologie" bleiben, heißt es in dem Beschluss. Radikale Aktivisten würden eine "Kulturrevolution" in Polen anstreben und den Wert der Familie in Frage stellen.
Dem Beispiel folgten inzwischen viele weitere Volksvertretungen auf allen Verwaltungsebenen. Direkte rechtliche Folgen für die Angehörigen sexueller Minderheiten haben diese Resolutionen nicht, sie schaffen aber ein Klima der Intoleranz.
Wiederwahl Dudas als Präsident verfestigt Feinbild
Seit der Wiederwahl Andrzej Dudas zum polnischen Staatsoberhaupt im August 2020 gebe es eine systematische von der Regierung finanzierte Homophobie und Transphobie im Land, sagt der Aktivist Bartek Staszewski. "Das ist eine Regierung, die sich Menschen aus der LGBT-Community als schwarzes Schaf gesucht hat."
LGBT-Aktivist muss vor Gericht
Staszewski wurde international bekannt, weil er Schwule, Lesben oder Transsexuelle vor Ortsschildern der "LGBT-freien Zonen" fotografiert. Staszewski muss nun vor Gericht: Eine der Gemeinden, deren Ortsschild er für sein Projekt fotografiert hatte, hat ihn angezeigt. Sie wirft ihm vor, den örtlichen Behörden und der Gemeinde ein homophobes Gesicht zu geben.
Staszewski wundert sich, schließlich nutzt die Gemeinde EU-Gelder, obwohl sie mit der LGBT-Resolution gegen internationales Recht verstößt. "Anstatt den Kopf mit Asche zu bestreuen und von der Resolution zurückzutreten, beschlossen die Ratsmitglieder, mich zu verklagen."
Der Aktivist fühlt sich in seinem Land nicht mehr sicher. "2019 haben wir erstmal massive Propaganda und Hass gegenüber LGBT-Menschen ausgehend von der Regierung erlebt – alles mit Hilfe des staatlichen Fernsehens." Beobachter sehen, dass das Thema LGBT seit den Parlamentswahlen 2019 verstärkt im Wahlkampf genutzt wird, um mit Feindbildern, die Wählerschaft zu aktivieren. "Seit Fall des Kommunismus in Polen war die LGBT-Community noch nie solchen Angriffen und Hass insbesondere von Seiten der Politiker ausgesetzt. Wir haben es hier mit etwas so Heftigem zu tun, das wir bislang so nicht kannten."
(adg/baz)
Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | MDR AKTUELL | 28. September 2020 | 07:30 Uhr