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Streit um Taiwan-AnerkennungDavid gegen Goliath: Litauen und China liegen im Clinch

23. September 2021, 05:00 Uhr

Litauen baut seine Beziehungen zu Taiwan aus und legt sich damit mit China an – aus wirtschaftlichem Kalkül, aber auch einer Art historischem Sendungsbewusstsein. China reagiert verschnupft, denn Taiwan ist aus chinesischer Sicht nur seine abtrünnige Provinz und kein selbstständiges Land.

von Markus Nowak, Vilnius

Die unansehnliche Baustelle vor der chinesischen Botschaft in Vilnius gibt symolisch den momentanen Zustand der gegenseitigen Beziehungen wieder: holprig. Bildrechte: Markus Nowak

Bagger, Walzenzug und jede Menge Baufahrzeuge dominieren derzeit das Leben auf der Algirdo-Straße in der litauischen Hauptstadt Vilnius – dort, wo auch die Botschaft der Volksrepublik China steht. Diese Straßensanierung ist zwar zufällig, kann aber auch symbolisch gesehen werden: Nicht nur der Asphalt vor der chinesischen Botschaft in Litauen ist derzeit aufgerissen, auch die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind seit einigen Wochen im Umbruch und alles andere als gut.

Kalter Krieg zwischen Litauen und China

Litauen ist aus dem China-Mittel-Ost-Europa-Gipfel, dem sogenannten 17+1-Format, ausgestiegen. China wiederum stoppt Medienberichten zufolge Güterzüge, die nach Litauen gehen sollen. Zeitungen in China veröffentlichen Memes und Karikaturen, die sich gegen Litauen richten. Beide Länder haben außerdem ihre Botschafter zurückgeordert, was eine der höchsten Eskalationsstufen in der Sprache der Diplomatie darstellt. Was ist passiert, dass die Beziehungen des kleinen, drei Millionen Einwohner zählenden EU-Landes Litauen mit dem 1,4 Milliarden Menschen starken China, dem bevölkerungsreichsten Staat der Welt, so frostig sind?

Streitpunkt Taiwan

Nun, wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte: Denn dem Konflikt liegen Litauens Pläne zugrunde, engere Beziehungen zu Taiwan zu knüpfen. Litauen kündigte im Sommer an, dass in der Hauptstadt Vilnius die erste diplomatische Taiwan-Vertretung öffnen wird, die das Wort "Taiwan" auch offiziell im Namen trägt und nicht, wie in den anderen europäischen Hauptstädten üblich, nur "Taipeh-Vertretung" heißt. Das stößt Peking übel auf, denn es sieht das demokratische Taiwan, das sich 1949 vom Festland abspaltete, als seine abtrünnige Provinz und nicht als einen unabhängigen Staat an. Die Volksrepublik versucht, Taiwan politisch zu isolieren und lehnt jede Form formeller Beziehungen anderer Länder mit Taipeh ab.

Litauen gibt sich im Streit mit China so kämpferisch, wie der legendäre Stadtgründer von Vilnius, Gediminas, der hier sein Schwert über der Stadt ausstreckt. Bildrechte: Markus Nowak

Witschaftlich steht für Litauen wenig auf dem Spiel

Es wirkt wie der Kampf von David gegen Goliath, wenn sich das kleine Litauen gegen das mächtige China stellt. "Für andere Staaten, wie Deutschland oder die USA, ist es selbstverständlich, dass sie sich mit ihrer Politik nicht gegen China stellen. Sie sind ökonomisch zu stark verflochten und hätten viel zu verlieren", erklärt Marius Laurinavičius, ein anerkannter politischer Analyst aus Litauen.

"Unsere wirtschaftlichen Verflechtungen mit China sind dagegen nicht so groß und daher haben wir keine Furcht, dass man uns bestraft", so Laurinavičius weiter. In der Tat sind Litauens größte Handelspartner die Nachbarn Russland, Lettland und Polen, gefolgt von Deutschland und den USA. China rangiert auf Platz 22 der litauischen Exportmärkte. Für Deutschland dagegen ist China einer der wichtigsten Exportmärkte.

Geringe wirtschaftliche Verflechtungen...

Und auch umgekehrt ist Litauen – obwohl es das größte der drei baltischen Länder ist – wirtschaftlich ein Winzling für das Reich der Mitte: 2020 hat China Medienberichten zufolge Investitionen im Wert von rund acht Millionen Euro in Litauen getätigt. Nach Laurinavičius Urteil liegt das geringe Handelsvolumen zwischen beiden Wirtschaften an Litauens Sicherheitserwägungen. "Wir waren immer vorsichtig mit chinesischen Investitionen in strategische Wirtschaftsbereiche", erklärt der Analyst. So hielt man etwa chinesische Investitionen in  Litauens einzigem Ostseehafen Klaipėda fern. Das macht das baltische Land wenig attraktiv für chinesisches Geld.

...und kaum chinesische Investitionen in Litauen

"Die chinesische Investitionspolitik verfolgt sehr klare Ziele: Man will dort kooperieren, wo es um den strategischen Sektor geht", sagt Laurinavičius. Das kennt man auch aus Deutschland, wo aus Furcht vor Abhängigkeiten sehr lange über Chinas Beteiligung am Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes gerungen wurde. Die bis 2020 amtierende Vorgängerregierung in Vilnius habe sich noch als "Chinas Tor zu Europa" anbiedern wollen, "aber die Erwartungen wurden nicht erfüllt", resümiert Laurinavičius. Engere Beziehungen zu Taiwan scheinen nun aussichtsreicher.

Die Wolkenkratzer in Litauens Hauptstadt Vilnius vermitteln den Eindruck einer Witschaftsmetropole. Doch das Land ist alles andere als ein wirtschaftliches Schwergewicht - und für das Riesenreich China nahezu unbedeutend. Bildrechte: Markus Nowak

Taiwan erinnert Litauer an eigene Geschichte

Aber auch andere Überlegungen spielen in Vilnius eine Rolle, wenn man sich mit dem mächtigen China anlegt und auf die Seite des kleinen Taiwans schlägt: Es ist die eigene Geschichte. Als sich Litauen 1990 für unabhängig von der Sowjetunion erklärte, war es das kleine Island, das 1990 die damals "frischgebackene" Demokratie im Baltikum anerkannt hat. Deutschland und die meisten anderen Staaten konnten sich erst ein Jahr später 1991 dazu durchringen. Zu Reykjavík unterhält Vilnius daher besondere diplomatische Beziehungen. "Ein Teil der Gesellschaft sagt nun, wir sollten wie Island damals das gleiche mit Taiwan machen, das sich von China lossagt", sagt Laurinavičius.

Die litauische Regierungskoalition aus Christdemokraten und zwei liberalen Parteien unterstreicht immer wieder, dass ihre Außenpolitik auf moralischen Werten basiere, weshalb sie die Demokratiebewegung im Nachbarland Belarus aktive Unterstützung oder bei Staatsbesuchen in Polen immer wieder auf demokratische Werte und Rechtstaatlichkeit hinweist. Und während in China dieser Tage die öffentliche Meinung immer mehr gegen Litauen mobilgemacht wird, indem etwa die Spende von litauischen Covid-19-Impfdosen an Taiwan karikiert wird, versichert sich Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis der Rückendeckung seines US-Kollegen Antony Blinken. Denn auch zwischen Washington und Peking gibt es nicht erst seit Donald Trumps Wirtschaftssanktionen Streitigkeiten.

Peking befürchtet Präzedenzfall

Wohin die Spannungen zwischen "David und Goliath" führen werden? Den biblischen Kampf gewinnt bekanntlich der schwächere David. Doch China wird wohl nicht einfach locker lassen. Mögen Chinas Sanktionen Litauen angesichts der geringen Wirtschaftsverflechtungen beider Länder wenig ausmachen, doch sie sind auch als Warnung an andere EU-Länder zu verstehen, nicht ebenfalls eine der vielen "roten Linien" Pekings zu überschreiten. Die Algirdo-Straße, in der sich die chinesische Botschaft befindet, wird bald fertig saniert sein. Ob der chinesische Botschafter dann in die Botschaft zurück kommt, ist aber unklar.

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