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PräsidentenwahlKommt eine Zeitenwende in Montenegro?

01. April 2023, 05:00 Uhr

Seit 32 Jahren ist Milo Đukanović in Montenegro an der Macht. Mal als Ministerpräsident, mal als Staatspräsident, steuerte er Montenegro durch Krieg und Frieden in die Unabhängigkeit, Mitgliedschaft in der Nato und zu Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union. Doch nun scheinen seine Tage gezählt, der Herausforderer Jakov Milatović könnte ihn bei der Stichwahl am Sonntag in die politische Rente schicken.

Immer wieder schaffte es der zwei Meter große Milo Đukanović (61), Spitzname "Rasierklinge", seine Kontrahenten zu besiegen, wenn auch – nach Ansicht seiner Kritiker – oft mit demokratischen Schönheitsfehlern. Doch am 2. April, bei der Stichwahl für das Amt des Präsidenten, sieht es nicht gut für ihn aus. Meinungsumfragen sagen das Ende einer Ära voraus – der Epoche des neuzeitlichen "Herrschers" Montenegros, des "Königs" des kleinen Adriastaates, des "Capo di tutti i capi" der Montenegriner, des aktuellen Staatspräsidenten. In die politische Rente will ihn nun Jakov Milatović (36) schicken, der noch im Kindergarten war, als Đukanović zum ersten Mal an die Regierungsspitze kam.

Generationenwechsel im Präsidentenamt?

Die zwei Widersacher könnten nicht verschiedener sein: Đukanović, ein Kader aus dem sozialistischen Jugoslawien, der noch als Wirtschaftsstudent dem Bund der Kommunisten beitrat; Milatović, der ebenfalls in Podgorica Wirtschaft studierte und mit Bestnote abschloss. Seine Bildung vervollständigte er danach an der London School of Economics, der Universität Stanford und der Universität Peking, seinen Magister machte er in Oxford, außerdem war er Stipendiat der Konrad Adenauer Stiftung und arbeitete für die Deutsche Bank sowie für die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung.

Der Badeort Budva an der Adriaküste lebt von Touristen – Tourismus ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige in Montenegro. Bildrechte: IMAGO/Panthermedia

Đukanović: Drei Jahrzehnte an der Macht

Đukanović schleppt den Ballast einer über drei Jahrzehnte langen Herrschaft in turbulenten Zeiten mit sich. Er steht für einen autoritären Regierungsstil und für Personenkult, seine Gegner werfen ihm vor, aus Montenegro einen "Mafiastaat" gemacht zu haben, außerdem Zigarettenschmuggel, Vetternwirtschaft, Korruption, Medienunterdrückung, Einflussnahme auf die Justiz, Wahlfälschung ...

Doch er hatte bisher immer ein sicheres Gespür für den politischen Zeitgeist. Er löste sich rechzeitig, 1997, von Slobodan Milošević, ebenso von Wladimir Putin, noch vor dem Ukraine-Krieg, und setzte alle seine (und Montenegros) Karten auf den Westen. Das wurde natürlich in Brüssel und Washington hoch geschätzt, da drückte man gern ein oder auch beide Augen zu, wenn es um demokratische Standards und die Bereicherung der Familie Đukanović ging.

Die Weste des Herausforderers Milatović ist auf der anderen Seite rein. In die große Politik kam er bei den Parlamentswahlen 2020. Damals erlitt Đukanovićs Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) ihre erste Niederlage gegen eine breite Koalition von grundverschiedenen Parteien, die nur der Wille vereinigte, Đukanović endlich los zu werden. Die DPS verfehlte die parlamentarische Mehrheit um ein einziges Mandat, doch es schien der Anfang von seinem Ende zu sein.

Milatović: zufälliger Präsidentschaftskandidat

Jakov Milatović wurde Entwicklungsminister in der "Anti-Đukanović-Koalitionsregierung". Doch bald zeigte sich, dass die Unterschiede zwischen den Koalitionspartnern zu groß sind. Eine politische Krise jagte die andere, den "ersten demokratischen Regierungschef" löste ein anderer ab, die Koalitionsparteien konnten sich fast über gar nichts mehr einigen und das Land war regierungsunfähig.

Milatović sah bald ein, dass dieses politische Konglomerat keine Zukunft hat. Mit dem ebenfalls jungen Politiker Milojko Spajić gründete er die Partei "Europa jetzt", die bei den Kommunalwahlen im Oktober 2022 aus dem Stand große Erfolge feiern konnte. In der Hauptstadt Podgorica kam sie zwar "nur" auf Platz zwei, wird aber aller Voraussicht nach in Koalition mit anderen Parteien die Stadt regieren und den neuen Bürgermeister stellen.

Präsidentschaftskandidat wurde Milatović zufällig, als die Kandidatur seines Parteigenossen Spajić aus technischen Gründen abgelehnt wurde. Niemand sah ihn in der Stichwahl, doch die Wähler entschieden anders.

Đukanović löst Parlament von Montenegro auf

Im ersten Wahlgang am 19. März gewann Milo Đukanović mit rund 36 Prozent der Stimmen, Milatović landete mit 29 Prozent auf Platz zwei. Doch das Reservoir der Stimmen des aktuellen Präsidenten sei, meinen Analytiker vor Ort, ziemlich ausgeschöpft. Fast alle anderen Präsidentschaftskandidaten riefen ihre Wähler auf, in der Stichwahl für den jungen Milatović zu stimmen.

Nur drei Tage vor den Präsidentschaftswahlen zog Đukanović in der Manier eines echten Zockers einen All-In-Zug: Unter Berufung auf die Verfassung setzte er der – mittlerweile – Minderheitsregierung ein Ende und schrieb für den 11. Juni vorgezogene Parlamentswahlen aus. Seine Entscheidung ist umstritten, doch da das Verfassungsgericht ebenfalls handlungsunfähig ist, weil nicht alle Richterposten besetzt sind, konnte niemand etwas dagegen ausrichten.

Jedenfalls rückt damit ein Ende der tiefen politischen Krise in Sichtweite, die das Land seit über zwei Jahren lähmt. Sollte Đukanović am Sonntag eine Niederlage erleiden, würde das bei den danach folgenden Parlamentswahlen wahrscheinlich auch seine DPS in den Abgrund stürzen, denn die DPS ist Milo Đukanović.

Montenegros amtierender Präsident Milo Đukanović mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (2019) Bildrechte: imago images / Jürgen Heinrich

Streitpunkt: Verhältnis zu Serbien, EU und USA

Doch so weit ist es noch nicht, meint zumindest der Staatspräsident, der sich kämpferisch gibt, der alle Techniken der Machtausübung meisterhaft beherrscht und den bis zuletzt niemand abschreiben kann. Seinen Kontrahenten bezeichnet Đukanović als Teil der "Klero-nationalistischen" Parlamentsmehrheit, die gerade aufgelöst wurde. Er verkörpere eine "ausgesprochen unverantwortliche" Politik, die auf Auslandskredite setze und die sich "mehr um die serbisch-orthodoxe Kirche, als um den montenegrinischen Staat kümmere".

In Montenegro betrachten sich rund 33 Prozent der Bürger als Serben. Die meisten von ihnen waren gegen die Unabhängigkeit Montenegros, gegen die Mitgliedschaft in der Nato und gegen die Anerkennung des Kosovo. Sie pflegen enge Beziehungen zu Belgrad und erkennen den serbischen Patriarchen als ihren Oberhirten an. Immer wieder konnte Đukanović die Mehrheit der Montenegriner überzeugen, dass sie es mit ihm besser als mit diesen "klerikalen Nationalisten" haben. Das meinte auch der Westen, der zu dem erprobten Partner der EU und USA Đukanović keine Alternative sah.

Die Montenegriner hätten die Wahl zwischen einer "Politik der Vergangenheit, Armut und Spaltung" und der Politik der "Zukunft und Entwicklung", kontert Milatović gelassen. Er habe vor, Milo Đukanović und alles, was er verkörpere, an der Wahlurne zu besiegen. Über drei Jahrzehnte an der Macht – das sei keine Demokratie, genug sei genug.

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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Heute im Osten – Der Osteuropa-Podcast | 01. April 2023 | 07:17 Uhr